Wie geht es der Wirtschaft? "Krisenmodus lässt sich nicht ewig fortsetzen"
30.03.2024, 14:30 Uhr Artikel anhören
Die Stimmung war schon besser als jetzt.
(Foto: Peter Kneffel/dpa/Symbolbild)
Die führenden Forschungsinstitute haben ihre Konjunkturprognose für die deutsche Wirtschaft drastisch eingedampft. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr nur um 0,1 Prozent zulegen. Im Herbst hatten sie noch ein Wachstum von 1,3 Prozent vorhergesagt. Ein Interview mit Stefan Kooths, Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel.
Zeigt sich Deutschlands Wachstumsschwäche also doch hartnäckiger als erwartet?
Stefan Kooths: Ja, insgesamt ist die lahmende gesamtwirtschaftliche Entwicklung zäher als noch vor sechs Monaten erwartet. Hierbei ist es immer ein Zusammenspiel zwischen konjunkturellen und strukturellen Faktoren. Konjunkturell muss man sagen, dass das Wiederanziehen im Winterhalbjahr ausgeblieben ist. Im Gegenteil: Die Gesamtwirtschaft ist in die Unterauslastung gerutscht. Deshalb spiegelt diese drastische Abwärtsrevision eher das schwache zurückliegende Halbjahr wieder, als die Erwartung für die folgenden Quartale. Denn da hat sich das Konjunkturbild insgesamt gar nicht so deutlich verändert. Wir gehen weiterhin davon aus, dass wir Schub bekommen über den privaten Verbrauch, weil die private Kaufkraft steigt, und dass auch das Exportgeschäft allmählich wieder anzieht. Das ist jetzt verzögert und auch etwas schwächer.
Als Grund für die Korrektur nach unten nennen Sie eine konjunkturelle Schwächephase und schwindende Wachstumskräfte? Können Sie das genauer erklären?
Konjunkturell müssen wir sehen, dass die unverändert hohen Auftragsbestände in der Industrie offenbar die Produktion nicht so gestützt haben, wie wir das noch vor sechs Monaten erwarten konnten. Das hängt auch mit der schwachen internationalen Konjunktur für Güter zusammen, bei denen Deutschland traditionell sehr exportstark ist, nämlich bei den Investitionsgütern. Also da ist es eher dann die konjunkturelle Schwäche. Strukturell müssen wir sehen, dass die Produktionsmöglichkeiten hierzulande mittlerweile 2,2 Prozent geringer sind, als vor der Pandemie erwartet.
Die Gemeinschaftsprognose spricht von mehr Gegenwind als Rückenwind. Wie ist das gemeint?
Aus dem internationalen Umfeld kamen nicht die erwarteten konjunkturellen Auftriebskräfte. Und im Inland hat vor allen Dingen die Verunsicherung dazu beigetragen, dass die Investitionen noch schwächer geblieben sind, als wir sie ohnehin veranschlagt hatten. Und das hat sicherlich auch mit der Verunsicherung über die Wirtschaftspolitik zu tun, wo unklar ist für Investoren, worauf sie sich einlassen, wenn sie in Deutschland investieren. Das mag auch übergeschlagen haben auf die Konsumenten, die sich stärker zurückgehalten haben.
Welche Faktoren würden heimische Investitionen wieder ankurbeln?
Indem man sich genau auf die Rahmenbedingungen konzentriert und nicht das macht, was derzeit die Wirtschaftspolitik auszeichnet: nämlich einen sehr interventionistischen Kurs zu fahren, wo man insbesondere über Subventionen versucht, einzelne Unternehmen anzusiedeln. Stattdessen sollte man stärker die allgemeinen Standortbedingungen verbessern, beginnend von der Infrastruktur über das Bildungssystem hin zur Regulierung. Die scheint mir ein wichtiger Faktor zu sein: also weiter zunehmende hohe bürokratische Lasten und zum Teil auch hohe Besteuerung. Da ist Deutschland im internationalen Vergleich überall zurückgefallen. Die Politik sollte also allgemein die Rahmenbedingungen verbessern, statt zu versuchen, einzelne Unternehmen oder Branchen mit Subventionen nach Deutschland zu locken.
Hat auch die restriktivere Finanzpolitik der Bundesregierung zu der eingedampften Prognose beigetragen?

Stefan Kooths ist Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum am IfW Kiel.
(Foto: picture alliance / Metodi Popow)
Die Reaktion auf das Karlsruher Urteil zur Schuldenbremse hat natürlich die Finanzpolitik etwas stärker bremsen lassen. Aber das ist nicht der Hauptgrund für die Revision. Wir verorten den Einfluss eher auf ein bis zwei Zehntel Prozent für 2024. Aber insgesamt wäre die Finanzpolitik im laufenden Jahr sowieso eher auf Bremsen ausgerichtet, weil sie eben mit Blick auf die Finanzierungsspielräume wieder kürzertreten muss. Sie kommt ja aus einem Krisenmodus heraus, und der lässt sich nicht auf ewig fortsetzen. Ich würde eher von einer Normalisierung der Finanzpolitik sprechen. Sie bremst natürlich zum Teil auch konjunkturell, ist aber nicht der Hauptgrund für die Abwärtsrevision.
Was bedeutet Ihre Prognose für die Steuereinnahmen? Es gibt ja Faustregeln, wonach ein Prozentpunkt weniger BIP etwa 10 Mrd. Euro Mindereinnahmen bedeuten.
Man kann nicht ohne Weiteres von der schwachen Konjunktur auf das Steueraufkommen schließen. Anders als die Steuerschätzung mit Blick auf die Finanzstatistik schauen wir auf die für die Konjunktur relevantere volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Ein Teil der bremsenden Effekte des Staates rühren auch daher, dass er steuerliche Erleichterungen zurücknimmt – beispielsweise in der Gastronomie oder für die Lieferung von Gas und Fernwärme. Höhere Steuern oder CO2-Abgaben sind somit Einnahmeverbesserungen, die andererseits konjunkturell dämpfen. Wir gehen davon aus, dass die Steuereinnahmen des Staates 2024 und 2025 um etwas mehr als vier Prozent zulegen können.
Sind die Sparpläne des Bundesfinanzministers für den nächsten Haushalt im Lichte der Prognose berechtigt?
Das steht alles noch etwas auf der Kippe. Wir halten es für möglich, dass man mit bestehenden Spielräumen noch gerade so hinkommt für das Haushaltsjahr 2025. Es wird eher dann im Jahr 2026 für die Regierung eng, sich in dem dann zulässigen Finanzrahmen zu bewegen. Es werden dann bestimmte Haushaltsreste, die jetzt noch im Übertrag auf 2025 helfen können, definitiv aufgebraucht sein.
Sie sprachen von einem Schub für die Wirtschaft im Verlauf des Jahres. Können sie verunsicherte Bürger etwas beruhigen?
Es ist wichtig, dass wir die Prognose richtig lesen. Dieses Miniwachstum von 0,1 Prozent im Jahresdurchschnitt stellt die konjunkturelle Dynamik im Jahr 2024 schlechter dar, als sie tatsächlich ist. Wir gehen davon aus, dass ab dem Frühjahr eine Erholung einsetzen wird – zunächst über den Konsum und dann stärker getrieben auch über den Export. Im laufenden Jahr wird die Dynamik schon mit einem Prozent zunehmen. Diese 0,1 Prozent sagen mehr über das schwache, hinter uns liegende Winterhalbjahr als über die weitere Entwicklung. Immer wenn Sie einen schwachen Jahresauftakt haben, schlägt das voll durch auf das Jahresergebnis. Die Weiterentwicklung ist deutlich günstiger.
Zuletzt hat auch die schwache Konsumlaune stark auf die Konjunktur gedrückt, die stark zum BIP beiträgt. Wie sieht der Ausblick hier aus?
Für den Konsum und damit auch die konsumnahen Wirtschaftsbereiche sieht es nach einer deutlichen Verbesserung aus. Und zwar deshalb, weil jetzt im Zuge auch der Lohnabschlüsse, die nach und nach auf die hohen Preissteigerungsraten reagieren, wieder mehr Kaufkraft in die Hände der privaten Haushalte kommt – und da auch bei denen, die eine höhere Ausgabenneigung haben. Das dürfte insgesamt den privaten Verbrauch stark beleben. In diesem Jahr und im nächsten wird der Konsum die wichtigste Triebkraft – 2025 mit verbesserten Exporten.
Wie erholt sich die Wertschöpfung in der Industrie?
Da werden wir erst ab der Mitte des Jahres mit deutlicheren Zuwächsen rechnen können. Sowohl das verarbeitende Gewerbe wie auch die Bauwirtschaft werden etwa noch ein halbes schwaches Jahr haben. Bei der Bauwirtschaft wird es noch etwas länger dauern, bis es wieder aufwärts geht, weil die Baukonjunktur durch ein sehr tiefes Tal geht, insbesondere was den Wohnungsbau angeht.
Was sind die stärkeren Bremsen?
Beim Bau haben sich die Preise viel stärker aufgebläht als beim Konsum. Zugleich haben wir mit der Zinswende eine Situation, wo sich zu den für Bauleistungen aufgerufenen Preisen derzeit kaum Neubauprojekte rentieren. Das muss sich erst wieder korrigieren, bevor es aufwärts gehen kann. Wir sehen, dass die Bodenpreise reagieren auf die höheren Zinsen und auch die Bestandsimmobilienpreise schon deutlich nachgegeben haben. Beim Neubau sehen wir dagegen eine sehr deutliche Preiserhöhung über die vergangenen drei Jahre, und die macht das Bauen derzeit zu teuer.
Wie bewerten die Institute die Entwicklung der Inflation?
Die gute Nachricht ist: Die Phase hoher Preissteigerungsraten liegt hinter uns. Aber wir sind noch nicht ganz da, wo das Ziel der Notenbank liegt, wenn wir in diesem Jahr 2,3 Prozent erwarten. Wir kommen, was die Verbraucherpreise angeht, wieder in ruhigeres Fahrwasser. Wenn wir allerdings die Energiepreiseffekte rausrechnen, die in beiden Jahren dämpfen, liegen wir bei dem verbleibenden Preisauftrieb immer noch oberhalb der 2 Prozent-Zielmarke der Bundesbank. Das liegt vor allem daran, dass die Dienstleistungspreise noch nahholend nachziehen.
Wann ist dann eine Zinssenkung zu erwarten – und auch Wirkungen auf die Wirtschaftsdynamik?
Nicht nur unter den Instituten, sondern weitestgehend auch von den Marktakteuren wird erwartet, dass ab Mitte des Jahres die Zinsen von der Notenbank gesenkt werden. Und weil es diese Erwartung gibt, haben ja auch schon die längerfristigen Zinsen reagiert, die am Ende für Investitionsentscheidungen relevant sind. Daher ist bereits eine gewisse Gegenbewegung eingetreten. Bis die sich konjunkturell auswirkt, dauert es typischerweise noch ein bis zwei Jahre. Das dauert etwas, zumal wir beim Bau tatsächlich noch ein sehr hohes Preisniveau haben, das sich vermutlich erst korrigieren muss.
Ein Risikofaktor für die Konjunktur ist das gesellschaftliche Klima – Rechtsextremismus gilt als Gift. Haben Sie diesen Einfluss im Ausblick bewertet?
Generell ist jede Form von gesellschaftlicher Spaltung, jede Form von Extremismus und Ausgrenzung Gift für die wirtschaftliche Entwicklung, denn unser freiheitliches System ist auf gegenseitiges Vertrauen aufgebaut. Und wenn sich Gesellschaften intern in Lagerkämpfe verwickeln, ist das auch nachteilig für die wirtschaftliche Aktivität. Das ist kein Faktor, den wir prominent in dieser Prognose aufgenommen haben.
Blicken wir auf die Weltwirtschaft. Die deutschen Ausfuhren gingen ja trotz steigender weltwirtschaftlicher Aktivität zurück.
Die weltwirtschaftliche Aktivität bleibt stabil aufwärtsgerichtet, wie im zurückliegenden Halbjahr. Das Problem war nur, dass ihre Zusammensetzung – weil konsum- und dienstleistungslastig – für die deutschen Produkte und Exporteure ungünstig war. Die deutsche Wirtschaft ist eher bei Investitionsgütern und Vorleistungen exponiert. Wir erwarten, dass weltwirtschaftliche Aktivität und Industrieproduktion sich wieder gleichauf entwickelt – und das sollte auch die deutsche Exportwirtschaft beleben.
Zuversichtlicher schauen Sie auch auf 2025, wo Sie einen Aufschwung von 1,4 Prozent erwarten. Welche Risikofaktoren könnten wieder zu einer Korrektur nach unten führen?
Das Jahr wird konjunkturell stärker, aber in dem Jahr wird auch diese Erholungsphase nahezu zum Ende kommen – also schon wieder schwächer werden. Das Konjunkturmuster flacht sich schon wieder in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres etwas ab. Denn die Zuwachsraten, die wir ab Mitte des laufenden Jahres erwarten, liegen über den Zuwachsraten der Produktionskapazitäten. Das heißt, die gesamtwirtschaftliche Auslastung steigt, und wenn wir Richtung Normalauslastung kommen, werden die Auftriebskräfte schwächer.
Wo sind denn die Grenzen der Produktionsmöglichkeiten?
Wir waren über Jahrzehnte gewohnt, dass die Wirtschaftsleistung Jahr für Jahr im Schnitt ein bis drei Prozent zunehmen kann. Das war das alte Normal. Jetzt gehen wir in eine Situation, wo wir gerade noch ein halbes Prozent im Durchschnitt Jahr für Jahr erwarten können. Das ist jetzt das neue Normal. Und gemessen an diesen 0,5 Prozent, die der Kapazitätszuwachs hergibt, müssen wir dann die tatsächliche ökonomische Entwicklung beurteilen. Und da stoßen wir eben maßgeblich bedingt durch die demografische Entwicklung immer schneller an Grenzen.
Also Mangel an Fachkräften und qualifizierter Zuwanderung als Wachstumsbremse?
Auch die Dekarbonisierung dürfte tendenziell dämpfen. Skurrilerweise wird sogar die Instandsetzung der Infrastruktur vorübergehend mehrere Jahre die Produktionskapazitäten in Deutschland belasten. Je mehr Baustellen Sie haben, desto mehr müssen sie Züge umleiten und haben Staus im Straßenverkehr. Also wird sich sogar die stärkere Investitionstätigkeit des Staates vorübergehend aber unvermeidlicherweise etwas kapazitätsdämpfend auswirken.
Was sagt uns das über die Schuldenbremse?
Wir wollen die Diskussion versachlichen. Wohl und Wehe der wirtschaftlichen Entwicklung hängen nicht an einer Reform der Schuldenbremse. Wir können uns eine maßvolle, sinnvolle Reform vorstellen. Aber die Politik sollte sich nicht darauf einschießen, dass eine Lockerung der Verschuldungsspielräume die eigentlichen Probleme des Wirtschaftsraumes in Wohlgefallen auflösen würde. Das ist leider nicht zu erwarten, sondern da muss man tatsächlich die Reformen voranbringen – im Arbeitsmarkt, der Regulierung, der Bürokratie, und bei der Zuwanderung. Die lassen sich nicht durch mehr fiskalische Spielräume des Staates lösen.
Mit Stefan Kooths sprach Marina Zapf
Quelle: ntv.de