Die Chinesen sind da Wachablösung in der Autoindustrie
24.09.2023, 11:00 Uhr Artikel anhörenDie IAA in München hat es eindrucksvoll gezeigt: Elektro ist Trumpf. Das Problem dabei: Die deutschen Autohersteller rücken immer mehr ins zweite Glied. Die chinesischen Autobauer übernehmen das globale Steuer.
"Die Chinesen kommen" - so der Tenor in den Medien vor Beginn der IAA Mobility in München. Einst war sie die renommierteste Leistungsschau der deutschen Autoindustrie. Nach dem Ende der IAA 2023 ist klar: Für Glanz und Gloria sorgte diesmal das Autoland China. Und das Motto heißt nun: Die Chinesen sind da - und das massiv! Sie haben dabei den deutschen Platzhirschen und deren hochpreisigem, aber sehr überschaubaren Elektroauto-Angebot mit ihren billigeren E-Fahrzeugen die Show gestohlen. Experten sind sich einig: China hat bei der Elektromobilität inzwischen eine Vormachtstellung errungen. Chinas E-Autos sind in allen Belangen wettbewerbsfähig.
Auf der IAA Mobility war eine Fülle neuer, zum Teil dem deutschen und europäischen Publikum bislang unbekannter Automarken zu sehen. Ihre Namen etwa: Xpeng, Nio, BYD, Geely oder Ora. Sie waren omnipräsent auf allen Messeständen und "Open Spaces". Die chinesischen Konzerne bestimmten den Charakter der diesjährigen Schau, zu der der deutsche Branchenverband VDA die Devise "Electric First" ausgerufen hatte. Und die Hersteller folgten willig: Die Konzerne der "alten" Autoindustrie ließen ihre Verbrennermodelle zu Hause oder blieben der Messe gleich ganz fern.
Kindergeburtstag statt Jubelarie
Die Volkswagen-Tochter Porsche versteckte ihren neuesten fossilen Hochleistungssportler, den auf 1963 Exemplare limitierten 911 S/T, auf dem "Open Space" unter der ungewöhnlichen Dach-Skulptur seines Stands. Der 60. Geburtstag des 911 war aber keine Jubelfeier, sondern erinnerte fast schon an einen Kindergeburtstag ohne Kuchen.
Stattdessen fuhr der Sportwagenhersteller den Porsche Mission X ins Rampenlicht. Die spektakuläre Konzeptstudie ist die Neuinterpretation eines Hypercars mit nach vorn oben öffnenden Le-Mans-Türen. Ach ja: Und natürlich mit hoch performendem und effizientem Elektroantrieb. Ein Publikumsmagnet zwar, aber noch nirgendwo gibt es den Wagen zu kaufen.
Allen schicken Studien zum Trotz: Die diesjährige IAA verdeutlicht den Wachwechsel in der globalen Automobilindustrie: Die bisherige jahrzehntelange Dominanz der deutschen Autohersteller in Sachen Höchstleistungs-Verbrennungsmotor, Effizienz, Qualität und Zuverlässigkeit in der fossilen Automobiltechnik geht zu Ende. Bislang noch auf "leisen Reifen" zwar. Aber mit Speicherchips, Elektronik und Batterieantrieb vollzieht sich ein Machtwechsel auf Kosten vor allem der deutschen Hersteller nach Fernost. Fakt ist: Elektroautos sind dabei, Verbrennerautos zu verdrängen. Die chinesische Autoindustrie ist dabei, den bisherigen automobilen Weltmarktführer Deutschland an der Spitze abzulösen.
High Noon auf Chinas Automarkt
Viele chinesische Marken waren auf der IAA2023 schon da, andere stehen Gewehr bei Fuß, um den Markteintritt in Europa und Deutschland zu wagen. Zunächst über Vertriebspartnerschaften oder sogar über Gründung eigener Vertriebsorganisationen. Geely verkaufte gleich Tausende E-Autos an den Autovermieter Sixt. Auch das ist ein möglicher Weg zum Erfolg
Die deutsche Autoindustrie verliert ihrerseits in China, dem weltweit wichtigsten Absatzmarkt, an Boden. VW, jahrzehntelang Marktführer mit Anteilen von teilweise mehr als 30 Prozent am Gesamtautomarkt, musste den Platz an der Sonne schon im vergangenen Jahr räumen. BYD hat ihn nun inne. BYD? BYD! Der chinesische Autobauer war im vergangenen Jahr mit zwei Millionen E-Fahrzeugen bereits die weltweite Nummer eins. Vor Tesla wohlgemerkt. In China liegt der Marktanteil deutscher E-Fabrikate bei gerade einmal zwei Prozent. Ein Armutszeugnis. Schlimmer noch: Volkswagen musste aus Zeit- und Kostengründen die Plattform für ein kleines, wettbewerbsfähiges E-Auto mangels eigener Masse inzwischen bei seinem Partner SAIC einkaufen. Früher verlief der Innovationstransfer andersrum.
Absturz ins zweite Glied?
Die Schuld an der Wachablösung trägt aber nicht allein die deutsche Autoindustrie und deren vermutbare Innovationsträgheit. Klimawandel und die aufkommende staatliche Verbrenner-Verbotspolitik sorgten schließlich dafür, dass sich die Spielregeln auf dem Automobilmarkt drastisch geändert haben. Plötzlich waren Verbrennerautos die Klimaschädlinge schlechthin, emissionsfreie Elektrofahrzeuge - unabhängig davon, ob mit "schmutzigem" oder "grünem" Strom gefahren - galten dagegen als klimatauglich und wurden deshalb massiv gefördert.
Inzwischen sind in Deutschland von den 48,8 Millionen PKW knapp 1,5 Millionen reine Elektroautos auf Batteriebasis (BEV) unterwegs. Der Marktanteil ist noch überschaubar, aber nach dem Willen der Bundesregierung sollen 2030 bereits 15 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen fahren.
Am Angebot chinesischer Hersteller wird es nicht scheitern. Die Marktoffensive läuft bereits. Den Beweis lieferte die IAA, deren Gesicht die Autobauer aus dem Reich der Mitte waren. Anders als früher stimmt nun auch die Qualität. Die deutsche Autoindustrie sollte gewarnt sein. Der Niedergang der Verbrenner-Technik wiegt schwer und kostet sie bislang nur die automobile Vormachtstellung. Der Verbrenner hält sie am Leben und bringt satte Gewinne. Das heißt vorerst nicht, dass die deutsche Autoindustrie abgeschrieben werden müsste. Aber sie rückt peu à peu ins zweite Glied.
Quelle: ntv.de