Sturz in schweres Gelände Deutscher Autoindustrie droht Rezession
25.06.2023, 13:12 Uhr Artikel anhören
Schwieriges Gelände wie einst bei der Rallye Dakar.
(Foto: picture alliance / dpa)
Sonne satt heißt es derzeit in Deutschland. Das gilt auch für die Schlüsselbranche, die Autoindustrie: Der Absatz zieht zuletzt deutlich an. Doch Experten warnen: Die Lage ist trügerisch, der Neuwagenabsatz hat einen Haken.
Aktuell vermelden die amtlichen Statistiken nur gute Nachrichten aus der deutschen Automobilindustrie: Die Corona- und Chip-Krisen sind vorbei. Der Teilenachschub läuft wieder weitgehend ungestört. Der Inlandsmarkt wartet im Mai bei den Neuzulassungen mit einer rekordverdächtigen Zuwachsrate von 19 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat auf, die Verkäufe von reinen Elektroautos nehmen sogar um 47 Prozent zu. Pkw-Produktion und -Export zogen von Januar bis Mai um über 30 Prozent an. Nach einer drohenden Rezession sieht das alles nicht aus.
Und doch ist es so. Denn die veröffentlichen Statistiken sagen nur die halbe Wahrheit, beleuchten nur die "bright side of life". Hinter den Kulissen baut sich für die deutschen Autobauer, kaum dass sie sich ertragsmäßig von den Schrecken der vergangenen Krisenjahre halbwegs erholt haben, eine neuerliche schwere Gewitterfront auf. Diesmal konjunkturell bedingt und nicht wegen exogener Schocks.
Was bei den Statistiken über die monatlichen Neuzulassungen nicht erkennbar wird, ist die Quelle, aus der sie gespeist werden. Und diese Quelle ist eben nicht ein beginnender Boom in der Nachfrage nach neuen Autos - so wie von den Analysten erhofft - sondern die Abarbeitung der alten Nachfrage von gestern, der hohen Auftragsbestände also, die während der erzwungenen Werkschließungen seit 2020 aufgelaufen sind und ein Rekordniveau erreicht haben. Nicht eine flotte Autonachfrage von heute, sondern aufgelaufene Nachfrage von gestern ist für den schönen Schein einer florierenden Autokonjunktur im bisherigen Verlauf von 2023 verantwortlich. In Wahrheit erlebte die Branche in den zurückliegenden Monaten eine Scheinblüte.
Experten mahnen zur Vorsicht
Und die geht allem Anschein nach zu Ende. Denn trotz aller offiziellen schönen Konjunkturdaten und optisch hoher Zuwachsraten bei den wesentlichen Schlüsselzahlen deuten andere Indikatoren auf eine bevorstehende stärkere Konjunkturabschwächung hin, die auch in eine Rezession ausufern kann. Erste Experten raten bereits zur Vorsicht: "Es fühlt sich nicht nach Rezession an, wenn die Zulassungszahlen steigen und die Margen hoch sind. Doch so wird es nicht bleiben", sagt etwa Branchenkenner Burkhard Riering.
Ein wesentlicher Indikator für die kommende Konjunkturabschwächung sind die inländischen Auftragseingänge. Nach der dürren Lesart des Verbands der Autoindustrie (VDA) "holt der deutsche Pkw-Markt im Mai zwar weiter auf", muss aber gleichzeitig eingestehen, dass bei den deutschen Herstellern … im abgelaufenen Monat die Auftragseingänge aus dem Inland weiter zurückgingen. Im Vergleich zum Vorjahresmonat wurden im Mai 19 Prozent weniger Bestellungen registriert. Im Zeitraum von Januar bis Mai gaben die Inlandsaufträge um 28 Prozent im Vergleich mit dem entsprechenden Vorjahreszeitraum nach. Der ausländische Auftragseingang lag im Mai 3 Prozent unterhalb des Vorjahresniveaus. Nach schwachem Jahresbeginn ging das Ordervolumen aus dem Ausland in den ersten fünf Monaten dieses Jahres um 4 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum zurück. Insgesamt wurden im Jahresverlauf bisher 8 Prozent weniger Aufträge registriert als vor Jahresfrist.
Kein Durchstarten nach Corona-Krise
Nach Auffassung des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) spielt sich gegenwärtig in der deutschen Autoindustrie ein regelrechter Nachfrageeinbruch ab, denn kumuliert schrumpften die Inlandsaufträge im Zeitraum von Januar bis Mai 2023 um knapp ein Drittel. Und das, obwohl die Pkw-Nachfrage bereits damals durch den Ausbruch des Ukraine-Krieges stark beeinträchtigt war.
Das erhoffte konjunkturelle Durchstarten nach dem Einbruch der Corona-Jahre blieb diesmal aus. Alle Hoffnungen, im Frühjahr 2023 sei der konjunkturelle Wendepunkt erreicht und es könne im weiteren Jahresverlauf zu einer langen Erholungsphase kommen, wurden enttäuscht. Inzwischen sind die Auftragsbestände bei den Herstellern fast abgearbeitet und reichen nur noch bis ins dritte Quartal - bestenfalls und auch nicht bei allen Herstellern.
Aber was kommt? Was geschieht, wenn die Neuwagen-Nachfrage schwach bleibt und im Herbst nicht nur die Blätter fallen, sondern auch die Auftragsbestände in der deutschen Schlüsselbranche? Bislang ist die Messlatte das Vorkrisenjahr 2019. Aber vielleicht ist das inzwischen gar nicht mehr die richtige Richtgröße: "Womöglich werden in Deutschland … nie wieder so viele Autos verkauft wie in den Jahren 2017, 2018 und 2019. In der Branche haben sich die Ziele dementsprechend verändert: Rendite schlägt Absatz", so Branchenkenner Riering. Anders ausgedrückt: Kasse schlägt Masse. Und drückt die Nachfrage.
Der Markt ist gefordert
Eine Antwort auf die Frage nach der Zukunft ist einfach, wenn man die Gründe für die anhaltende Nachfrageschwäche bei Neuwagen kennt und weiß, weswegen der "normale" Aufschwungszyklus am Automarkt bisher nicht zum Tragen kam. Dafür gibt es drei Gründe. Zum einen sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für einen Autoaufschwung wie früher zu schlecht: Hohe Inflation, hohe Zinsen und vor allem deutlich sinkende Realeinkommen, und das alles in Kombination mit einer allgemeinen Verunsicherung beim Otto Normalverbraucher, ob er sich denn überhaupt noch ein Auto anschaffen soll und wenn ja, mit welchem Antrieb, lassen keine fröhliche Konsumentenstimmung aufkommen. Ablesbar ist das Ganze etwa am Konsumklima-Index der GFK, der auf neue Tiefstände sank.
Zum anderen ist da der drohende und staatlich verordnete Kaufkraftentzug wegen der klimafreundlichen Transformation bei Gebäudeheizungen. Energie- und Heizungs-Investitionsausgaben in Höhe der Anschaffungskosten eines Neuwagens lähmen zwangsläufig die Nachfrage nach diesem. Im Mittel lagen die Neuwagenpreise 2022 bei rund 43.000 Euro, eine Summe, für die man sich vor 20 Jahren locker noch zwei neue Autos hätte anschaffen können.
Und letztlich haben auch die Autohersteller mit ihrer Preispolitik selbst emsig daran gearbeitet, dass sich die Autonachfrage nicht erholte und niedrig blieb. 2022 waren zwei- bis dreimalige Preisrunden bei allen Autobauern an der Tagesordnung. Ein Ergebnis: Seit 2019 sind die Autopreise hierzulande um 25 Prozent gestiegen. Kurzum: Neuwagen sind für viele Verbraucher einfach schlichtweg zu teuer geworden.
Hoffnung, dass sich an dieser Lage kurzfristig etwas ändert, besteht nicht - selbst wenn neue Preisrunden bei den Herstellern ausblieben. Abhilfe kann nur der Wettbewerb schaffen: Je drückender die Absatzprobleme der Hersteller werden, desto stärker wird der Wettbewerbs- und Preisdruck. Schon werden Verkaufsprämien an die Händler gezahlt. Schon lugt die "Rabattitis" wieder um die Ecke. Nur der Wettbewerb kann in Zukunft wieder für normale Konjunkturverhältnisse sorgen.
Quelle: ntv.de