Wirtschaft

Kampf gegen Hamas Wie teuer wird der Krieg für Israel?

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Beim Hamas-Angriff auf Israel wurden rund 1300 Menschen
getötet.

Beim Hamas-Angriff auf Israel wurden rund 1300 Menschen getötet.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Unter dem Krieg in Israel leiden in allererster Linie die Zivilisten. Aber auch an der Wirtschaft geht der Konflikt nicht spurlos vorbei. Im Interview mit ntv.de erklärt der Wirtschaftsexperte Struminski, welche Konsequenzen der Einzug der Reservisten für den Arbeitsmarkt hat und wie kostspielig der Krieg wird. Strumninski arbeitet bei der Außenwirtschaftsgesellschaft Deutschlands Germany Trade and Invest (GTAI) in Israel.

ntv.de: Am 7. Oktober hat die Hamas ihren Großangriff auf Israel gestartet. Als Reaktion bombardiert Israel seither den Gazastreifen. Darunter leiden in erster Linie Zivilisten auf beiden Seiten – aber auch die Wirtschaft. Ist schon absehbar, wie sehr?

Wladimir Struminski: Im Augenblick kann das niemand sagen. Wirklich niemand. Das Potenzial für wirtschaftliche Schäden ist enorm - auf beiden Seiten. Wobei natürlich in Gaza die materiellen Verluste schon jetzt sehr hoch sind.

Wie kostspielig wird es für Israel, wenn der Konflikt länger andauern wird?

Auch das kann man stand jetzt noch gar nicht sagen. Wie teuer der Krieg für Israel wird, hängt von zwei Faktoren ab: Wie lange er anhält und ob noch eine zweite Front im Norden, durch die vom Iran unterstütze Hisbollah, eröffnet wird oder nicht. Je länger der Konflikt anhält, umso höher fallen die Kosten aus. Eine Schätzung abzugeben, wäre momentan völlig unverantwortlich. Statistisch hat das bisher niemand erfasst. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Wenn der Krieg in zwei Wochen vorbei ist, wird die Wirtschaft keinen Schaden genommen haben.

Einige Kosten lassen sich zumindest benennen. Etwa die für das Militär.

Für die anstehenden Militärkosten kommen wahrscheinlich die Amerikaner auf. Stand jetzt sind Militärhilfen von zehn Milliarden US-Dollar zugesagt worden. Insofern dürfte das zumindest nicht ein allzu großes Problem für den Haushalt darstellen. Was aber schmerzt: Die Wirtschaftstätigkeit lässt nach. Das bringt Produktionsverluste mit sich, die sich natürlich summieren. Darüber hinaus haben viele Menschen momentan Angst, herauszugehen. Die Leute sitzen zu Hause, anstatt in Restaurants und Kinos zu gehen. Das heißt, der Konsum sinkt. Nennenswerte Schäden an der Infrastruktur wiederum gibt es momentan nicht. Sieht man von den 22 Ortschaften ab, die ja zum Teil fast vollständig zerstört wurden am ersten Tag des Angriffs durch die Hamas.

Israel hat inzwischen mehr als 300.000 Reservisten eingezogen. Ein Großteil von ihnen geht in ihrem Alltag einem normalen Beruf nach. Welche Konsequenzen hat das für den Arbeitsmarkt?

Die 300.000 eingezogenen Reservisten entsprechen ungefähr sechs Prozent der Gesamtzahl der Beschäftigten im Land. Das geht an der Wirtschaft nicht spurlos vorbei. Darüber hinaus hat es aber auch unmittelbare Konsequenzen für Familien. Was macht eine Mutter von zwei kleinen Kindern, deren Mann einberufen worden ist? Entweder bleibt sie zu Hause oder sie nimmt die Kinder mit zur Arbeit, wenn es geht. Wenn Sie heute in einer israelischen Firma anrufen, dann hören Sie im Hintergrund Kindergeschrei. Unter der Einberufung leiden besonders auch kleine Hightech-Firmen, die oft junge Männer beschäftigen. Einige von ihnen funktionieren ohne einen Teil ihrer Belegschaft nicht. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass es die Firmen nicht mehr gibt, wenn die Reservisten wiederkommen, weil sie pleitegegangen sind. Sie sehen: Es gibt eine ganze Kette an Auswirkungen durch die Mobilmachung.

Ziehen ausländische Unternehmen schon ihre Investitionen aus dem Land ab?

Wie sagt man so schön? Kapital ist ein scheues Reh. Die meisten Investitionen aus dem Ausland fließen in den Hightech-Bereich. Wenn ein großes amerikanisches Unternehmen hier ein Forschungs- und Entwicklungszentrum unterhält, wird es das jetzt nicht schließen. Ob jemand dieser Tage ein großes Investitionsprojekt in Israel beschließt, wage ich hingegen zu bezweifeln. Aber auch viele israelische Unternehmen warten jetzt lieber ab, was passiert. Ja, selbstverständlich dürfte ein Krieg die Investitionstätigkeit, zumindest die Entscheidung, neue Investitionen zu tätigen, drosseln. Ob das jetzt ausländische Unternehmen sind oder inländische, ist letztendlich für die Wirtschaft egal.

Israel investierte im Jahr 2022 rund 4,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in Rüstung. Wird der Krieg die Ausgaben weiter befeuern?

Natürlich steigen die Militärausgaben jetzt weiter. Die Reservisten werden aus der Sozialversicherung entschädigt. Auch, wenn jemand in Friedenszeiten für einige Wochen eingezogen wird. Letztendlich bezahlt das also die Staatskasse. Um eine fundierte Aussage treffen zu können, müssten eigentlich die Verluste pro Tag beziffert werden. Aber das hat noch niemand gemacht.

Bislang hat es die israelische Regierung Bewohnern von Gaza und der Westbank ermöglicht, in Israel zu arbeiten. Was bedeutet das für die israelische Wirtschaft, wenn diese Arbeitskräfte jetzt wegfallen?

Schätzungsweise 190.000 Palästinenser arbeiten in Israel oder den israelischen Siedlungen. Für die palästinensische Wirtschaft sind sie existenziell wichtig. Die fallen jetzt natürlich weg. Sollte es dazu auch im Westjordanland kommen, bahnt sich dort eine wirtschaftliche Katastrophe an. Das würde auf Israel zurückfallen und hätte auch unmittelbare Konsequenzen für die Sicherheitslage des Landes.

Die Justizreform hat schon Anfang des Jahres einige Unternehmen vergrault. Steuert Israel jetzt endgültig auf einen Brain-Drain zu?

Der Brain-Drain hat nichts mit dem Krieg zu tun. Fachkräfte wandern aus Israel ab, weil es zum Beispiel nicht genügend Beschäftigungsmöglichkeiten an Hochschulen gibt. Das Problem ist bereits Jahrzehnte alt.

Mit Wladimir Struminski sprach Juliane Kipper

Quelle: ntv.de

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