7500 Meilen zu Fuß nach China "Du hast Schmerzen, du hast Blasen"
16.04.2018, 09:50 Uhr
Jeden Tag läuft er bis zu 80 Kilometer.
(Foto: Run my silkroad)
Von Hamburg bis nach Shanghai zu laufen, das scheint fast unmöglich. Doch Kai Markus Xiong stellt sich dieser Herausforderung - für den Kulturaustausch und um zu zeigen, was im Leben möglich ist. Im Interview mit n-tv.de berichtet er von seinem Abenteuer.
Wer kommt schon auf die Idee, 12.000 Kilometer zu Fuß nach China zu laufen? Die Antwort: Kai Markus Xiong. Der 45-jährige Hamburger ist mit einer Chinesin verheiratet und ein absoluter Überzeugungstäter. Mit einem Begleiter im Auto läuft er 2017 durch acht Länder, einmal entlang der Seidenstraße von der Elbphilharmonie nach Shanghai. Das Projekt ist nicht nur eine sportliche Herausforderung; Xiong muss sich die Sponsoren dafür auch selbst suchen. Die Schirmherrschaft übernimmt der damalige Hamburger Oberbürgermeister Olaf Scholz. Und obwohl Xiong während des Kulturmarathons einige Rückschläge erlebt, gibt er nicht auf. Seine Motivation ist größer als jeder körperliche Schmerz.
n-tv.de: Wie ist die Idee zu Ihrem Lauf- und Kulturprojekt entstanden?
Kai Markus Xiong: Vorher war ich Finanzberater und Management Consultant, das war ein Bürojob. Als ich dann meine Familie gegründet habe, habe ich gemerkt, wie oft man mit Vorurteilen konfrontiert ist und dass junge Menschen wenig motiviert werden, ihre Träume umzusetzen. Diese Dinge waren der Auslöser für das Projekt "Run My Silkroad".
Sie sind eine Route von 12.000 Kilometer gelaufen. Wie schafft man sowas körperlich?
Ich habe vorher keine Ultraläufe gemacht, war aber sehr sportlich. Ich glaube daran, dass Laufen - ob Marathongeschwindigkeit, Gehen oder Ultralaufen - etwas historisch sehr Gewachsenes ist. Das hat mich motiviert und ich sagte mir: "Das muss machbar sein". Ich habe dann zusammen mit Ärzten und Psychologen ausgerechnet, welche Strecke man wirklich körperlich schaffen kann. Da sind dann 60 bis 80 Kilometer am Tag herausgekommen.
Jeden Tag?
Alle sechs bis zehn Tage haben wir einen Stopp-Tag eingeschoben, wo wir uns mit der Kultur im jeweiligen Land auseinandergesetzt haben. Wir haben Leute getroffen, an Universitäten Vorträge gehalten und Kulturevents veranstaltet.
Wer war auf der Reise bei Ihnen?
Ursprünglich habe ich keinen Fahrer für ein Begleitfahrzeug mit meinem Equipment gefunden. Ich habe es dann so geplant, dass ich es alleine durchziehen kann. Doch vier Wochen vor Start hat sich Victor Neubauer, der die Route mit mir geplant hat, gemeldet. Er wollte mit seinem 1984er Käfer mitfahren, inklusive kleinem Wohnanhänger.
Hatten Sie denn nicht irgendwann unfassbare Schmerzen, wenn Sie täglich bis zu 80 Kilometer gelaufen sind?
Ich glaube, es wird ziemlich viel Show um dieses Ultralaufen auf Zeit gemacht. Ich hatte aber kein Zeitlimit. Das war meine freie Entscheidung. Man hat Schmerzen, man hat Blasen an den Füßen, aber die Motivation und das, was man an Disziplin aufbringt, kommt aus einer anderen Richtung. Deswegen kompensiert man das besser. Man läuft natürlich nicht einfach los, man muss auch auf seinen Nahrungshaushalt achten.
Was waren bei Ihren Stopps die interessantesten Erlebnisse?
Das war neben China natürlich viel. Als wir in Russland und Usbekistan waren, war es ganz anders, als wir es uns durch Berichte vorgestellt haben. Wir haben alle Vorurteile beispielsweise über Staatsmedien, Ordnungshüter und so weiter überhaupt nicht so wahrgenommen. Wir waren in beiden Ländern über einen Monat. Dabei haben wir sehr nette Menschen getroffen und uns beispielsweise in Wolgograd mit jungen Sportlern Kriegsgräber angeschaut. Es war total faszinierend, mit welcher Denkweise die heute da reingehen und mit uns diskutieren.
Nach 11.000 Kilometern ist dann etwas Schlimmes passiert ...
Ich war 1200 Kilometer vor meinem Ziel, schon lange in China. Dort bin ich auf einer engen Straße Autos ausgewichen, in einen Graben gestürzt und habe mir beide Fersenbeine gebrochen. Aber ich glaube, das hat mein Umfeld mehr geschockt als mich.
Stand das Wort "aufgeben" im Raum?
Uns war von Anfang an klar, dass wir dieses Projekt in irgendeiner Form zu Ende führen werden. Was auch immer passiert. Wir können im Leben ja auch nicht sagen, wenn ein Unfall passiert: "Jetzt schmeiße ich hin, jetzt höre ich auf". Da muss man dann durch.
Und wie ging es dann weiter?
Am selben Tag ging dann auch noch das Auto kaputt. Dann ist Herr Neubauer in 20-Kilometer-Etappen bis zum Ende weitergelaufen. Und so ist er dann für das Team - etwas später als geplant - mit mir in Shanghai angekommen. Das hat uns dort viel Respekt eingebracht. Dass wir das als Team so zu Ende gebracht haben, hat die Menschen wohl am meisten beeindruckt.
Wie war Ihr Zieleinlauf?
Die letzten Kilometer wurden von Shanghai ganz toll organisiert. Ich konnte nur den letzten Kilometer mit dem Rollstuhl Richtung Ziel fahren. Aber natürlich habe ich mit einem Tränchen im Auge die Ziellinie in ein paar eigenen Schritten überquert - ohne Rollstuhl. Das habe ich mir nicht nehmen lassen. Und es hat sich gelohnt, denn wir haben vorher gesagt: "Die Welt wird verrückt und wir müssen gucken, dass wir den Bezug als Menschen zueinander nicht verlieren".
Das motiviert sicher andere Menschen …
Ja, viele Leute schreiben mich an, die zwar einen Lebenstraum, aber keine Idee haben, wie sie das angehen können. Manche erzählen, dass sie in einer schwierigen Lebenssituation stecken und fragen dann, wie man sich da rausziehen kann. Aber um einen Traum zu verwirklichen, muss man auch erstmal die Realität betrachten und aufwachen.
Mit Kai Markus Xiong sprach Sonja Gurris
Quelle: ntv.de