Der einsame Kampf des Max Luger Geld verschenken ist auch keine Lösung
28.10.2018, 16:11 Uhr
Luger wird für seine Ansatz häufig belächelt.
(Foto: Christian Bartlau)
Max Luger verschenkt mitten in Salzburg Geld. Eine Idee, die verrückt klingt, aber vielen Menschen hilft. Ihren Erfinder treibt sie manchmal zur Verzweiflung, denn das Geld reicht nie für alle.
Max Lugers Container gehört hier nicht hin. Genau deswegen steht er hier, in der Salzburger Altstadt, auf dem Mirabellplatz, zwischen der mondänen Galerie Thaddaeus Ropac und der Kunstuniversität Mozarteum in einem ehemaligen Herzogspalast. Eine Blechhütte, sieben mal zwei Meter, komplett mit einem weißen Transparent verhangen, darauf eine Hand, die einer anderen ein Stück Brot reicht, und ein Schriftzug: FAIR SHAR€. Das ist die Zentrale von Max Luger, der inmitten einer reichen Stadt seinen Kampf gegen die Armut führt. Allein.
"Vielleicht ist das naiv" sagt Luger und lächelt. "Aber warum soll ich es nicht auf diese einfache Weise probieren?" Seine Idee ist so banal wie irritierend: Seit Oktober 2013 sitzt Luger von Montags bis Donnerstags 9 bis 14 Uhr in seinem Container in der Salzburger Innenstadt und verteilt das Geld von Spendern an Bedürftige. Wer Geld hat, liefert es bei ihm ab. Wer Geld braucht, holt es sich. So einfach ist das. Könnte es sein. "Das Problem ist, dass die Menschen nicht wissen, wann sie genug haben", sagt Luger. "Ich müsste viel mehr Spenden bekommen, wenn ich mir ansehe, wie viel Geld die Menschen in Salzburg haben." Rund 200.000 Euro hat er schon verteilt und damit Hunderten Menschen geholfen. Eine Erfolgsgeschichte, von außen betrachtet. Nicht genug für Luger.
Aus der Bank ins Kloster
"Ich habe nur zehn Dauerspender, das sind 500 Euro im Monat", sagt Luger mit seiner sanften Stimme. Der Rentner wollte mit seinem Projekt die Armut in die Mitte der Gesellschaft holen. Deswegen der Container mitten in der Touristenzone, zwischen den Symbolen des Reichtums der Stadt. "Armut ist noch immer ein Tabu, arme Leute werden als Rand der Gesellschaft bezeichnet, das darf nicht sein. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich daran etwas ändern konnte." Die Stadt Salzburg hat ihren ärmsten Bürgern ein Bettelverbot auferlegt, besonders in der Innenstadt, besonders in der Festspielzeit, wenn die Schönen und Reichen zu Besuch sind. Ein deutliches Zeichen, wie die Gesellschaft mit ihren Schwächsten umgeht.
Armut und ihre Folgen lernt Luger schon früh kennen. Aufgewachsen auf dem Land, wo nur gilt, wer viel schuftet, merkt er als junger Mann, wie sich die Eltern für seinen Onkel schämen, der erst arbeits- und dann obdachlos wurde. Zur Beerdigung taucht niemand auf. "Wenn es jemand nicht aus eigener Kraft schafft, stehen alle da und gucken wie die Kühe, sie wissen nicht, was sie machen sollen." Nach der Schule arbeitet Luger zunächst bei einer Bank, er selbst macht sich nicht viel aus Geld. Einmal, erzählt er, bezahlt er einem Freund aus Brasilien einen Flug in die Heimat, einfach so. Mit 28 Jahren schlägt er einen anderen Weg ein: Er geht ins Kloster. In den drei Jahren dort findet der streng gläubige Luger nicht die Erfüllung. "Den Armen zu helfen, das ist der wahre Gottesdienst", sagt er. "Aber im Kloster geht das Geld auch nur in die Bauwerke und nicht zu den Bedürftigen."
Umwege statt direkter Hilfe
Nach einem Theologiestudium landet Luger schließlich als Pastoralassistent in einer der ärmsten Gegenden Salzburgs. "Da kamen Woche für Woche Bittsteller", erinnert er sich. Aber Pfarren in sozial schwachen Gegenden verfügten über wenig Mittel, die Mittel aus der jährlichen Caritas-Sammlung landeten zu großen Anteilen in der Zentrale. "Ohne die Wut darüber säße ich jetzt nicht hier." Luger initiiert einen Umverteilungstag, an dem die Spenden direkt an die Bedürftigen gehen. Und er beschließt: Wenn er in Rente geht, führt er die Aktion fort. Außerhalb der Kirche. Im Alleingang.
Zwei Jahre hat es gebraucht von seiner Pensionierung 2011 bis zur Eröffnung des Fairshare-Containers im Oktober 2013. Am Anfang berichteten viele Zeitungen, die Spender rannten ihm die Tür ein. Doch das Polster war schnell verbraucht. Er steckt in einer Art Konjunkturfalle: Wenn mal wieder Geld da ist, spricht sich das rum. "Sogar die Caritas schickt die Leute zu mir", sagt er, seine Miene verfinstert sich. "Da am Mirabellplatz verschenkt ein Alter Hunderter, in dem despektierlichen Ton sagen die das."
Seitdem verteilt er nach einer strengen Ordnung, die Frauen mit Kindern zuerst, dann die Alten und Kranken, ganz zum Schluss Alleinstehende. Die muss er oft wegschicken, ohne Geld. Momentan herrscht Routine, rund 3000 Euro im Monat braucht er, die Spenden trudeln halbwegs regelmäßig ein. Das war im zweiten Jahr anders, da knappste er an 500 Euro im Monat. Er schrieb Bittbriefe an die Salzburger Oberschicht, ohne große Resonanz. Die Resignation nahm er mit nach Hause. "So habe ich mir die Pension nicht vorgestellt", sagte seine Frau einmal. Luger erzählt einfach weniger, auch auf Feiern. "Ich sehe ja schon, wenn ich wieder damit anfange, rollen alle mit den Augen." Man kann sich vorstellen, warum, Luger wird schnell emotional, seine sanfte Stimme kippt dann in zu hohe Lagen, wie bei Papst Benedikt XVI.."Armut ist ein emotionales Thema", sagt er. "Ich kann das nicht ruhig beschreiben. Es sieht wahrscheinlich niemand in dieser Stadt so viele Menschen weinen wie ich, wenn ich wieder kein Geld habe, und die Menschen sind verzweifelt."
Weitermachen, trotz alledem
Trotzdem will er weitermachen, bis 2019 darf der Container mindestens am Mirabellplatz stehen, eigentlich wollte er mit 70 Schluss machen, vielleicht sucht er trotzdem um eine Verlängerung der Genehmigung an. Bis dahin setzt er sich weiter stur in seinen Container, nur ein Aufsteller draußen auf dem Bürgersteig weist den Weg. "Haben Sie mehr als Sie brauchen?", steht darauf geschrieben. "Oder brauchen Sie Hilfe? Kommen Sie herein und erfahren Sie mehr!" Manchmal verlaufen sich ein paar Touristen zu ihm, fragen nach, spenden ein paar Euro. Wenn mal wieder niemand kommt, träumt Luger weiter von einem Großspender. Auch wenn er weiß: Es wäre nicht das Ende seiner Geldsorgen. Es würden einfach noch mehr Menschen zu ihm kommen. Aber er könnte eben noch mehr Menschen helfen.
Man kann das geradezu irritierend naiv finden. Der Soziologe Stefan Selke hat Lugers Projekt ein eigenes Buch gewidmet, das sich abarbeitet an der Idee der direkten Umverteilung. Der Wissenschaftler kann seine Faszination nicht verhehlen, bleibt aber skeptisch. Ja, es ist eine einfache Idee, aber: Das große Geld machen die Reichen auf Charity-Events locker. Spendenkeiler laufen durch die Straße und werben professionell Gelder ein, alle großen NGOs professionalisieren ihre Medienarbeit. Luger weiß das alles. Er ist nur kein Mensch, der allzuviel auf ein "Aber" gibt.
"Alle Menschen tricksen"
Er empfängt jeden, sagt er, auch wenn sein Konto mal wieder leer ist und er weiß, dass er fast jeden wegschicken muss. Für jeden Bittsteller legt er ein Stammblatt an, notiert die Daten, dazu die Wohnungsgröße, regelmäßige Einnahmen und Ausgaben. Dann schätzt er, wie viel Geld übrig bleibt. Und dann hilft er, bei Rechnungen für Strom, Wasser, bei Arzthonoraren. Meistens mit mindestens einem Hunderter. "Ich will keine Almosen geben, die Leute sollen wieder auf die Beine kommen."
In einer Zeit von Evaluierung und Datengläubigkeit verlässt sich Luger nur auf sein Bauchgefühl und seine Glaubenssätze. Nicht alle stammen aus der Bibel, auch ein Spruch von Richard David Precht hängt an seiner Wand: "Alles Wertvolle im Leben kann man nicht messen." Luger weiß selten, wem er wirklich helfen konnte. Zwei Dutzend Dankeskarten kleben an der Wand, zwei getrocknete Blumen, ein paar Kinderzeichnungen. Manche kommen einfach nicht wieder. "Die sind dann vielleicht dank meiner Hilfe wieder über den Berg gekommen." Sicher sein kann er sich nie. Auch nicht, ob er nicht belogen wurde.
Mit Geschichten von kleineren und größeren Gaunereien könnte Luger einen Nachmittag füllen. Die Frau, die Geld für die Stromrechnung braucht, und sie dann doch nicht begleicht. Der Mann, der seine Drogensucht verheimlicht. "Das enttäuscht mich schon", sagt Luger und denkt lange nach, bevor er die Arme in die Höhe wirft. "Aber wer mich gut täuscht … alle Menschen tricksen doch, alle wollen sich von der besten Seite zeigen." Alles menschlich, sagt Luger. "Aber wenn wir es nicht schaffen, dass die Stärkeren den Schwachen helfen, dann stelle ich die Humanität infrage. Dann können wir aufhören, Mensch zu sein."
Quelle: ntv.de