Wenn eine/r nicht genügt Ist die Monogamie ein Auslaufmodell?
27.04.2020, 18:34 Uhr
Man muss ja nicht gleich zu dritt in die Badewanne - wie hier im Film "Die Träumer" von Bernardo Bertolucci.
(Foto: imago images/Mary Evans)
Über kaum etwas sind sich Liebende so uneins wie über das am besten funktionierende Beziehungskonzept. Soll es wirklich nur den einen oder die eine geben? Oder liegt es nicht in der Natur der Menschen, sich auch noch mit anderen zu vergnügen?
Zum Thema Monogamie vs. Polygamie wurden über die letzten Jahre viele Bücher verfasst. Anna Zimt schreibt in "In manchen Nächten habe ich einen anderen" von ihrer offenen Ehe und all den aufregenden Affären und One-Night-Stands, die sie trotzdem erleben darf. Und Friedemann Karig erklärt in "Wie wir lieben - Vom Ende der Monogamie", warum eine klassische Zweierbeziehung eigentlich gar nicht funktionieren kann. Es geht dabei unter anderem um Evolution, Sozialisation, die Rolle der Gesellschaft, des Egos und die sexuellen Bedürfnisse jedes Einzelnen. Katja Lewina, Sex-Bloggerin und mit "Sie hat Bock" Verfasserin eines Buches über die weibliche Sexualität, ist verheiratet mit Kind und hat zudem noch einen Freund, mit dem sie sich - paradoxerweise - in einer monogamen Beziehung befindet.
Viele Menschen sind an dieser Stelle bereits überfordert. Nicht selten fühlen sie sich von offeneren Beziehungskonzepten als den eigenen bedroht. Es ist ihnen unangenehm, darüber zu reden oder auch nur darüber nachzudenken. Denn das würde bedeuten, sich mit der eigenen Sexualität und der des Partners auseinandersetzen zu müssen. Ist unser Sexleben nach 15 Jahren wirklich noch erhellend? Wünsche ich mir nicht doch mal wieder ein bisschen mehr Aufregung oder überhaupt mehr Sex und den gern auch mit anderen? Geht es meinem Freund oder meiner Freundin womöglich ähnlich? Und was bedeutet das für uns als Paar?
Gleich in eine offene Beziehung starten?
Sicherlich steht die jüngere Generation dem Thema "Offene Beziehung" anders gegenüber, als es beispielsweise noch die meisten unserer Eltern taten. Vielleicht nicht unbedingt auf eine gute Art, denn wer heute Mitte 20 ist, plädiert auch schon mal dafür, gleich in eine offene Beziehung zu starten. Nur kann so kaum etwas Verbindliches entstehen, denn gerade zu Beginn, wenn die Verliebtheit noch groß ist, fällt das Teilen mit anderen schwer. Das ist der perfekte Nährboden für Unsicherheiten und eine ausgewachsene Bindungsangst.
Und was ist mit jenen, die mit dem Konzept der sogenannten seriellen Monogamie sozialisiert wurden und sie selbst lange lebten? Die lieber den festen Partner wechselten, wenn es nicht mehr gut lief, und jemand anders für eine - meist kurze - Weile spannender erschien? Die dann, nach ein paar Monaten oder Jahren wieder am selben Punkt angelangten, weil sie sich auf diese Weise kaum weiterentwickeln konnten? Was, wenn sie inzwischen festgestellt haben, dass diese Art der Beziehung vielleicht doch nicht das sprichwörtlich Gelbe vom Ei ist? Gerade Frauen werden dazu erzogen, den Erwartungen, die an sie gestellt werden, zu entsprechen. Sei es vom Partner, als auch von ihrer Umwelt. Die Frau von heute soll und darf zwar gern modern sein, aber offen auszusprechen, dass sie Lust auf Sex hat mit jemandem, der nicht ihr eigener Partner ist? Bitte nicht!
So hängen Paare zwischen neuen Bedürfnissen, die nicht selten vor allem in Langzeitbeziehungen aufkeimen, und der alten Erziehung fest. Schließlich ist es ihnen genau so oder zumindest so ähnlich vorgelebt worden: Die Eltern waren zu zweit; kam eine dritte Person dazu, folgte alsbald die Scheidung. Wegen einer heißen Nacht oder zwei Monaten Schmetterlingen in Bauch und Schritt werden nicht selten gemeinsame und meist gute Jahrzehnte in die Tonne getreten. Plötzlich scheint die bislang geführte monogame Beziehung nichts mehr wert zu sein, nur weil eine Hälfte des Zweierkonstrukts für wenige Stunden und nicht selten unter Alkoholeinfluss bei jemand anderem schwach geworden ist. Dabei ist es doch eigentlich anmaßend, zu glauben, ein Leben lang sämtliche Bedürfnisse seines Gegenübers befriedigen zu können.
Ehrlichkeit statt Heimlichkeit
Das wirklich Schmerzhafte daran ist, hintergangen und für dumm verkauft zu werden. Das große Schweigen, die Heimlichkeiten, der Moment, in dem der ach so arglose Partner die Quittung für ein Hotel in der Manteltasche findet, in dem er oder sie niemals gewesen ist. Ausgestellt an einem Tag, an dem der oder die Liebste angeblich mit Freunden an der Ostsee war. Wie viel einfacher wäre es, wenn man dem Menschen, mit dem man einen Großteil seines Lebens verbringt, auch seine sexuellen Bedürfnisse außerhalb des gemeinsamen Bettes mitteilen und das mit ihm teilen dürfte?
Im Wege stehen den meisten hauptsächlich ihr eigenes Ego, eine anerzogene Schamhaftigkeit und mehr oder weniger tiefliegende Verlustängste. Der Partner wird als Besitz deklariert, den niemand anders zu begehren, anzugrabbeln oder abzulecken hat. Dabei würde es unserer Gesellschaft vielleicht sogar guttun, dieses Konzept einmal zu überdenken! Zumindest sollten sich mehr Männer, vor allem aber auch mehr Frauen trauen zu sagen, was sie wollen! Denn sie sind es oft, die schon nach wenigen Jahren weniger Lust auf Sex mit dem eigenen Mann haben, was nicht gleichzusetzen ist mit weniger Lust auf Sex allgemein. Wie viel ausgeglichener wären viele Menschen, wenn sie diesbezüglich frei und selbstbestimmt leben könnten? Und es muss ja nicht gleich die Polyamorie sein, also das Führen mehrerer gleichwertiger Beziehungen zur selben Zeit. In dem Fall ist eine gewisse Überforderung womöglich programmiert.
Kommunikation ist der Schlüssel
Am Ende muss jeder für sich selbst herausfinden, wie es für ihn oder sie am besten funktioniert und - mit seinem Partner reden! Wer den Drang nach sexuellen Abenteuern mit anderen verspürt und signalisiert bekommt, dass sein Gegenüber davon gar nichts hält, der wird es dennoch tun. Nur eben heimlich. In dem Fall wäre eine Trennung sicherlich die ehrlichere Variante, die eine Weile schmerzhaft ist, aber verarbeitet werden kann. Jahrelanger Betrug hinterlässt ganz andere Spuren: beim von Schuld geplagten Fremdgehenden wie auch beim Betrogenen, sofern er es denn je herausfindet.
Grundsätzlich geht es um den Mut des Einzelnen und die Kommunikation zwischen zwei Menschen. Haben sie eine gefestigte Basis, können auf schöne Zeiten zurückblicken, haben diese auch immer noch und sind beide dennoch unzufrieden mit dem Ist-Zustand ihres Sexlebens, ist das Öffnen der Beziehung durchaus eine Möglichkeit, das Feuer wieder zum Lodern oder gar zum Brennen zu bekommen. Scheitert der Versuch, ist auch das eine Erkenntnis, an der man gemeinsam - oder anschließend getrennt - wachsen kann. Unter welchen Umständen und mit welchen Regeln, das muss ständig neu verhandelt werden. Doch kommen so auch Paare endlich wieder ins Gespräch, die sich vorher vielleicht schon lange nicht mehr allzu viel zu sagen hatten.
Quelle: ntv.de