Leben

Mehr als ein Alltagsgegenstand "Schlüssel haben eine Macht über uns"

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In vielen Haushalten gibt es eine Kiste mit alten Schlüsseln.

In vielen Haushalten gibt es eine Kiste mit alten Schlüsseln.

(Foto: picture alliance / imageBROKER)

Sie sind aus dem Alltag nicht wegzudenken und mit symbolischer Bedeutung aufgeladen: Schlüssel. Martina Pall arbeitet unter anderem für die "Schell Collection", ein Schloss- und Schlüsselmuseum in Graz mit über 13.000 Objekten. Im Interview mit ntv.de spricht die Expertin über einen der teuersten Schlüssel der Welt, versperrte Zuckerdosen und darüber, warum wir nutzlos gewordene Exemplare einfach nicht wegschmeißen können.

Sie sind gerichtlich beeidete Sachverständige für Kunst und Antiquitäten und haben Ihren Schwerpunkt auf Schlüssel und Schlössern. Was für Fälle sind das, für die Sie angefragt werden?

Es gibt ja irrsinnig viele Leute, die Schloss und Schlüssel sammeln, das ist fast ausschließlich ein männliches Hobby. Und da kommt es zu Erbstreitereien und dann ist die Frage, was die Sammlung des Vaters oder Onkels wert ist. Und bei Schloss und Schlüssel kennen sich die wenigsten aus, bei Porzellan gibt es mehr Experten und bei Schmuck sowieso. Dann kommt der Sachverständige und sagt, ob es einen Sinn hat, dass sie darüber streiten. Oder ich werde gefragt, wenn es Datierungsprobleme gibt. Ich habe auch einen Fall gehabt, da hat jemand in einem Auktionshaus etwas erstanden und war unschlüssig, ob das Stück gut ist, das er gekauft hat. Oder ich werde gerufen, wenn jemand etwas verkaufen will, zum Beispiel eine Truhe, und eine Expertise braucht, dass das wirklich alles original ist.

Martina Pall ist Expertin für Schloss, Schlüssel, Kästchen, Kassetten, Truhen und Eisenkunstguss.

Martina Pall ist Expertin für Schloss, Schlüssel, Kästchen, Kassetten, Truhen und Eisenkunstguss.

(Foto: Melinastudios)

Warum sammeln Privatpersonen Ihrer Erfahrung nach besondere Schlüssel?

Viele Schlüsseldienst-Inhaber sammeln Schlüssel. Und sonst fängt es mal mit einem kleinen Schlüssel an, dann habe ich zwei, dann habe ich ein Kasterl dazu, schon aufgesperrt und dann brauche ich ein Schloss dazu - und so kommt die Sammelleidenschaft. Die meisten sammeln nur Schlüssel, keine Schlösser. Wenn man Schlösser sammelt, braucht man schon mehr Platz, mehr Wände, mehr Ausstellungsvitrinen. Man möchte seine Schätze ja auch herzeigen.

Wie wertvoll sind Schlüssel eigentlich? Gibt es so etwas wie den teuersten Schlüssel der Welt?

Schlüssel können viele Tausend Euro wert sein, das kann bis zu 50.000 oder 60.000 Euro hinaufgehen. Das sind dann aber schon extrem seltene Stücke. Erwähnenswert ist sicher das Beispiel des Schlüssels, der in London versteigert worden ist, das soll ein Schlüssel der Kaaba in Mekka sein. Dieser schwarze Stein hat ein Tor, das mit einem Vorhangschloss verschlossen ist. Das nutzt sich ab und ist im Laufe der Jahrhunderte bis jetzt mehr als 50-mal erneuert worden. Und so ein Schlüssel ist aufgetaucht und für elf Millionen Pfund versteigert worden. Das ist schon jenseits des Alltags, das hat natürlich mit der religiösen Bedeutung der Kaaba zu tun.

Was macht für Sie einen besonders schönen Schlüssel aus?

Das ist ein Schlüssel, der in vorzüglichster Handarbeitstechnik gefertigt ist. Er muss nicht aus Gold sein oder mit Edelsteinen besetzt. Wenn es ein Stahlschnittschlüssel ist, bei dem das Eisen kalt bearbeitet wird, mit Sticheln, mit Feilen, Span abhebend, so ein Schlüssel, wo man sieht, dort sind viele, viele Wochen Arbeit in einem Stück - das sind für mich die schönsten Schlüssel. Das hat gar nichts mit dem Wert zu tun.

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Gibt es ein Exemplar, das Sie besonders fasziniert?

Mein Lieblingsschlüssel ist der Schlüssel, wo anstatt des Griffes, der Reide, eine kleine Figur hoch zu Ross dargestellt ist. Dieser Feldherr ist Bartolomeo Colleoni, ein Söldnerführer, der für Venedig (im 15. Jahrhundert, Anmerkung d. Red.) sehr viel geleistet hat. Als Gegenleistung hat er verlangt, dass die Stadt ihm am Markusplatz ein ehernes Bronzereiterstandbild aufstellt. Die haben das zugesagt, haben das große Reiterstandbild aber auf dem Campo Santi Giovanni e Paolo (dort befindet sich heute das Krankenhaus von Venedig, Anmerkung d. Red.) aufgestellt. Und das ist eins zu eins en miniature in knapp fünf Zentimeter Größe als Schlüsselgriff nachgearbeitet - mit dem Pferd und der Mähne und dem mürrischen Gesichtsausdruck des Colleoni.

Für uns heute sind Schlüssel ganz selbstverständlich. Aber ab wann genau haben Menschen Schlüssel benutzt?

Schon in der Keltenzeit gibt es eiserne Stäbe, die als Schlüssel gedient haben. Aber Schlüssel in dem Sinn, wie wir sie kennen, sind ab der Römerzeit erhalten geblieben. Sehr viele frühe Schlüssel waren aus Holz und die haben sich natürlich im Laufe der Jahrtausende nicht erhalten.

Gibt es eine Epoche, in der besonders prachtvolle Schlüssel hergestellt wurden?

Ich denke, das waren sicher die Renaissance und der Barock, vor allen Dingen in Frankreich, wo die Schmiedekunst ganz hervorragend gediehen ist, aber auch in Deutschland. Die Franzosen und die Deutschen haben jahrhundertelang in der Schönheit und der Ausgefallenheit der Technik ihrer Schlösser und Schlüssel konkurriert, da entstanden prunkvolle Schaustücke. Und die Österreicher waren wie sieben Zwerge hinter den sieben Bergen. Bis die neuen Technologien und die neuen Ornamente über die Alpen gekommen sind, waren sie in Frankreich schon wieder ein Jahrhundert voraus.

Welche Bedeutung hat ein Schlüssel eigentlich noch in Zeiten, in denen immer mehr digital und elektronisch gesichert ist?

Die Digitalisierung und das Handy setzen dem Schlüssel enorm zu. Aber die Zeit des Schlüssels ist nicht abgelaufen, er hat nur große Konkurrenz bekommen. Natürlich nicht bei einem Zimmertürenschloss, bei einer Tagebuchschließe oder einem Fahrradschloss, da wird es nach wie vor Schlüssel geben.

Viele Menschen haben noch Schlüssel, von denen sie schon gar nicht mehr wissen, wozu die gehören. Manche heben auch Schlüssel auf zu Orten, die ihnen was bedeutet haben. Wie erklären Sie sich das?

Ich wundere mich über mich selbst. Ich besitze noch einen Schlüssel von meinem Auto, das ich seit Jahren nicht mehr habe, das ist schon verschrottet worden. Den könnte ich wegschmeißen. Im Museum haben wir immer wieder schuhschachtelweise Schlüssel bekommen, teilweise mit Anhänger drauf, "Gartentor" oder "Zimmer 1" oder "Schrank 5". Schlüssel wirft man nicht weg, Schlüssel haben auch eine Macht über uns. Es geht immer auch um "das ist meins, das gehört mir", um Abgrenzung.

Früher gab es auch Schlüssel, mit denen man teilweise sogar Schlösser aufschließen konnte, für die sie gar nicht vorgesehen waren. Waren Schlüssel damals weniger komplex als heute?

Diese Buntbartschlüssel aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts waren Volldornschlüssel und hauptsächlich für Zimmertüren. Man nennt sie Buntbartschlüssel, weil es eine bunte Vielfalt an Bärten gegeben hat. Die haben überhaupt keine Sicherheit gewährleistet. Haustüren wurden aber auch früher schon mit einem Zylinderschloss gesperrt.

Ist das denn sicherer?

Für einen richtigen Panzerknacker ist ein Zylinderschloss eine Arbeit von zehn Sekunden. Aber für Laien, wie wir es sind, ist das schon ein Hindernis.

Schlüssel sind buchstäblich etwas sehr Handfestes. Aber das Wort ist auch in unseren Sprachgebrauch eingeflossen.

"Das Schlüsselproblem muss gelöst werden" zum Beispiel. Schlüssel sind auch symbolisch aufgeladen. Wenn ein Minister das Amt übergibt, dann kommt es mit Sicherheit zu einer Schlüsselübergabe. Indem ich den Schlüssel auch nur symbolisch übergebe, übergebe ich die Macht. Ich denke auch an den Fasching, in Graz kommt es zum Sturm auf das Rathaus und zur Schlüsselübergabe. Der Bürgermeister gibt die Schlüssel des Rathauses an das Prinzenpaar für die Dauer ihrer Regentschaft, die dann am Aschermittwoch endet.

In dem Zusammenhang fällt mir auch das Wort Schlüsselgewalt ein.

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Ja, die hat die Hausfrau immer gehabt. Als Zeichen ihrer hausfraulichen Stellung hatte sie ein Schlüsselbund an der Taille hängen. Das ist durch viele Epochen belegt und hörte erst im beginnenden 20. Jahrhundert auf. An diesem Schlüsselbund waren alle Schlüssel für den Keller, die Vorratskammern, die Haustür sowieso. Die Dienerschaft hatte keinen Schlüsselbund. Es ging so weit, dass Zuckerdosen zugesperrt wurden. Zucker war ja kostbar und damit die Dienerschaft nicht heimlich Zucker nascht, wurden die silberne Dose versperrt. Aber auch die Alkoholflaschen, das nennt man Tantalus-Flaschen, der Stoppel ist quasi ein Schloss, das sich nicht abziehen lässt. Oder die Flasche ist in ein Gestell eingesperrt, und kann aus diesem nicht entnommen werden.

Mit Martina Pall sprach Katja Sembritzki

Quelle: ntv.de

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