Leben

Der Lebenskrise davongelaufen Vom Topmodel zum Ultraläufer

Michele Graglia kehrte der Modewelt den Rücken.

Michele Graglia kehrte der Modewelt den Rücken.

(Foto: privat)

Jahrelang arbeitet Michele Graglia erfolgreich als Topmodel. Doch der Italiener fühlt sich immer unglücklicher und verzweifelter. Nun ist er Ultraläufer und startet bei einem der härtesten Rennen der Welt.

Geboren im italienischen Sanremo, nahe der französischen Grenze, rechnete Michele Graglia weder mit einer Model- noch mit einer Läuferkarriere. "Ich wuchs in einer Kleinstadt auf, habe angefangen im Familienunternehmen zu arbeiten und plötzlich finde ich mich in Miami wieder", sagt Graglia. Der heute 38-Jährige wurde von einer Modelagentur entdeckt und "in die Branche hinein geworfen". Gerade einmal Mitte 20, genoss er das glamouröse Leben. "Ich bereiste die Welt und machte gutes Geld mit extravaganten Fotoshootings."

Viele versuchen sich an den herausfordernden Strecken, aber längst nicht jeder kommt ins Ziel.

Viele versuchen sich an den herausfordernden Strecken, aber längst nicht jeder kommt ins Ziel.

(Foto: privat)

Doch je erfolgreicher Graglia wurde, desto elender fühlte er sich. An der Spitze seiner Karriere angekommen, merkte er: Dieser Lifestyle und die Modebranche tun ihm nicht gut. Also zog der Italiener von Miami nach New York, um sich mehr auf seinen Beruf zu konzentrieren. Doch auch dort brachten ihn mehrere Vorfälle dazu, sein Leben zu überdenken. "Ich mochte nicht, was ich machte und wie ich mich entwickelte", sagt er. "Ich koppelte mich von allen um mich herum ab." Doch vor allem entfernte er sich von sich selbst, von seinen innersten Werten.

"Ich realisierte, dass es im Leben nicht nur um Partys geht", sagt Graglia. "Ich kam sogar an den Punkt, dass ich auf dem Balkon meiner Wohnung in einem Wolkenkratzer saß und darüber nachdachte, mein Leben zu beenden." Er war ganz unten angekommen. Wenige Tage später fiel ihm zufälligerweise das Buch "Ultramarathon Man" von Dean Karnazes ins Auge. Graglia las all die Geschichten über die bekanntesten und härtesten Ultraläufe der Welt. Doch was ihn wirklich faszinierte, war das Kapitel über den Badwater Lauf. "Wie er über diese Challenge schrieb, was sie repräsentiert, an einem der heißesten Orte auf der Erde zu laufen, diese unglaubliche Distanz, die ganze Geschichte dahinter - das packte mich sofort."

Die 217 Kilometer-Herausforderung

Der Badwater Ultramarathon gilt als eines der härtesten Rennen der Welt. Er führt über 217 Kilometer von Badwater im Death Valley bis auf 2530 Meter zum Whitney Portal in Kalifornien. In der Woche vor dem diesjährigen Start am 19. Juli kletterten die Temperaturen dort auf 56 Grad. "Dieser Wettkampf repräsentiert DIE Challenge", sagt Graglia. Für ihn war klar: Das ist mein ultimatives Ziel. 2016 nimmt der Italiener das erste Mal teil und wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Während des um die 24 Stunden langen Laufs erleidet er ein Nierenversagen, mehrmals verliert er das Bewusstsein. Das Rennen beendet er trotzdem, wenn auch nur mit dem 25. Platz. 2018 startete er den nächsten Versuch und gewann.

Doch darum geht es Graglia gar nicht. Für ihn eröffnete dieses Ziel eine komplett neue Welt - nicht nur auf einem physischen, sondern auf einem mentalen und spirituellen Level. "Es hat wirklich mein Leben verändert", sagt Graglia. "Ich fühle mich sehr viel ausgeglichener und im Einklang mit mir selbst." Er lebt jetzt einen zielstrebigeren Lebensstil, der ihn erfüllt.

Das Laufen an sich machte ihm schon immer Spaß. Als Kind war er ein guter Leichtathlet, wechselte dann jedoch zum populäreren Fußball. Mittlerweile dient das Laufen eher als Mittel zum Zweck. Graglia geht es darum, über die physischen Grenzen hinauszugehen. "Es ist wie ein Abenteuer. Jedes Rennen ist eine spirituelle Erkundungsreise." Er geht sogar so weit zu sagen, dass die mentale Komponente bei Ultraläufen eine größere Rolle spielt, als die physische Fitness.

Eine Metapher fürs Leben

Irgendwie geht es immer weiter.

Irgendwie geht es immer weiter.

(Foto: privat)

"Selbst die besten Athleten kommen irgendwann an eine Belastungsgrenze", sagt er. "Das ist so, wenn du ultra gehst, wenn du darüber hinaus gehst." Für ihn ist genau das besonders faszinierend. Er hat gemerkt: Wenn man denkt, es geht nicht mehr, ist man oft gerade erst am Anfang. Man müsse Vertrauen haben, dass es irgendwie weiter geht. "Selbst wenn alles dicht macht, alles weh tut, die Organe brennen."

Dass das während des Badwater Ultramarathons passieren wird, weiß Graglia. Es ist ein hoch und runter, wie eine Achterbahn. "Es ist wie eine Metapher für das Leben", sagt der Läufer. "Es gibt gute Momente, es gibt schlechte Momente und das Geheimnis liegt darin, zu verstehen, dass es alles Teil einer Erfahrung ist."

Nicht nur die richtige Einstellung hilft dabei, sich von all den Schmerzen und Zweifeln abzulenken. Auch die Landschaft lässt Graglia all das Negative für den ein oder anderen Moment vergessen. "Death Valley ist einer der magischsten Orte, die ich je gesehen habe." Der 38-Jährige habe schon viele Länder bereist, doch Death Valley sei einzigartig. Badwater ist ein ausgetrockneter Salzsee. Am Startpunkt des Ultramarathons befindet man sich 90 Meter unter dem Meeresspiegel. Während man auf eine weite, flache Salzlandschaft blickt, ragen drum herum Berge bis zu 3000 Meter in die Höhe.

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"Das Rennen führt also in ungefähr 90 Kilometern vom Fuße des Berges auf die Spitze des ersten Passes", sagt Graglia. Dann geht es wieder runter auf Höhe des Meeresspiegels. "Doch dann gibt es einen weiteren Anstieg, der dich auf 1500 Meter bringt." Ab dann sind es noch 21 Kilometer bis zum Ziel. Auf den letzten Zügen allerdings geht es nochmal 1500 Meter in die Höhe.

Danach ins Ziel zu kommen, ist all das harte Training und die Schmerzen während des Rennens wert. Auch wenn Graglia den Ultramarathon in diesem Jahr nach 80 Kilometern wegen Magenproblemen abbrechen musste, freut er sich schon auf die nächste Herausforderung.

Quelle: ntv.de

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