Panorama

Fehler beim Klavier-Wettbewerb Alptraum eines Pianisten wird wahr

Alle vier Jahre wird der russische Komponist Pjotr Iljitsch Tschaikowsky mit einem Wettbewerb geehrt.

Alle vier Jahre wird der russische Komponist Pjotr Iljitsch Tschaikowsky mit einem Wettbewerb geehrt.

(Foto: AP)

Wer den Tschaikowsky-Wettbewerb gewinnt, kann auf eine große internationale Karriere hoffen. Der Chinese Tianxu An bemüht sich um die Siegerkrone in der Kategorie Klavier. Doch das Orchester verdirbt ihm den Auftritt.

Der russische Tschaikowsky-Wettbewerb gehört zu den weltweit wichtigsten Konkurrenzen der Klassik-Szene. Ausgetragen wird er alle vier Jahre, was ihn umso bedeutender macht. Wer weit vorn landet oder gar gewinnt, darf auf eine große internationale Karriere hoffen, wie die Namen der Sieger zeigen. Zu ihnen zählen der Geiger Gidon Kremer, der Cellist David Geringas sowie die Pianisten Van Cliburn, Wladimir Aschkenasi, Grigori Sokolow und Daniil Trifonow.

Vergeben werden Preise in mehreren Kategorien für diverse Instrumente sowie Gesang. Der prestigeträchtigste Wettbewerb - er wird seit der Gründung 1958 ausgetragen - ist allerdings das Spiel um die Siegerkrone des besten Pianisten. Schon ins Finale zu kommen, ist ein starkes Ergebnis. Zu gewinnen: ein Traum. Der chinesische Klaviervirtuose Tianxu An hat es in diesem Jahr versucht. Doch sein Vortrag wurde für ihn zum Alptraum. Der 20-Jährige wurde Opfer einer Verwechslung. Das Orchester begann mit dem - aus Sicht des Solisten - "falschen" Stück.

Tianxu An setzte sich an den Flügel, bereitete sich gedankenversunken auf seine Darbietung vor und gab schließlich dem Dirigenten mit einem Kopfnicken das Startsignal. Wie mit der Jury verabredet, wartete der junge Künstler auf die Klänge des legendären Eröffnungsthemas des 1. Klavierkonzerts von Peter Tschaikowsky, dem Namensgeber des Wettbewerbs. Doch das Orchester legte mit der Rhapsodie über ein Thema von Paganini von Sergei Rachmaninow los.

Alles ist falsch

Im offiziellen Video zu dem Auftritt ist dem Pianisten seine Verwunderung anzusehen - und auch, warum eine Schrecksekunde Schrecksekunde heißt. Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Kummer, Ungläubigkeit und Verwirrung. Es schien, als brauchte er ein paar Augenblicke, um wirklich zu begreifen, dass etwas komplett falsch läuft.

Besonders ärgerlich für ihn: Der allererste Klaviereinsatz in Rachmaninows Komposition erfolgt nicht einmal zwei Sekunden nach dem Auftakt des Orchesters, so dass der Chinese blitzschnell umdenken und reagieren musste. Bei Tschaikowkys Werk wären es immerhin zehn Sekunden gewesen. Umso erstaunlicher ist es, dass der Finalist trotzdem den Einsatz beinahe sauber hinbekam und sogar die Muße hatte, sein Erstaunen - oder Entsetzen - mit einem kurzen Kopfschütteln zu signalisieren. Der Virtuose protestierte aber nicht laut, so dass der Dirigent nichts mitbekam.

Der lettische Pianist Anton Rosputko, der selbst an diversen Wettbewerben teilgenommen hat und manchen Preis gewann, sprach von einem "fatalen Missverständnis". Auf Facebook schrieb er, kurz vor Beginn sei in der Landessprache der Gastgeber Rachmaninows Konzert als erste Darbietung angekündigt worden. Das habe der Finalist aber nicht verstanden, da er kein Russisch könne. "Die Leistung war in jeder Hinsicht viel schlechter als in seinen vorherigen Runden", urteilte Rosputko. Da er den Perfektionismus chinesischer Profi-Musiker kenne, sei er sich sicher, dass "das gesamte Nervensystem" seines Kollegen "wie nach einem Tsunami getroffen wurde". Tianxu An wisse wie jeder in der Szene, dass gerade der erste Eindruck bei Wettbewerben entscheidend sei, weshalb er wohl seine Nerven nicht mehr in den Griff bekommen habe.

Die Ausrichter des Wettbewerbs entschuldigten sich bei dem Finalisten, der als Fünfjähriger mit dem Klavierspiel begann, für den "schwerwiegenden Fehler". Verantwortlich sei ein Mitarbeiter des Staatlichen Akademischen Symphonieorchesters, der suspendiert worden sei, hieß es in einer Pressemitteilung. Die Jury beschloss nach eigener Aussage einstimmig, dem Chinesen eine zweite Chance anzubieten. "Der Teilnehmer lehnte offiziell ab." Gewonnen hat den Piano-Wettbewerb der Franzose Alexandre Kantorow. Tianxu An wurde neben dem vierten Platz ein "Spezialpreis für Tapferkeit und Selbstbeschränkung" zugesprochen.

Der Vorfall erinnerte an den - ebenfalls auf Video festgehaltenen - Schreckensmoment, den die Weltklasse-Pianistin Maria João Pires vor einigen Jahren erlebte. Als die Portugiesin die Einleitung zu einem Klavierkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart hörte, begriff sie, dass sie sich auf ein anderes Werk des Komponisten vorbereitet hatte. Die Filmaufnahme zeigt sie konsterniert bis geschockt. Die Künstlerin hielt sich die Hand vor die Augen, als wäre sie kurz vor einem Tränenausbruch. Pires, die sich vergangenes Jahr aus dem Konzertleben verabschiedet hat, ist ausgewiesene Mozart-Spezialistin. Später sagte sie dem Magazin "Concerti": "Die Situation hatte auch etwas Komisches für mich, ​da (der Dirigent) Riccardo Chailly noch in der Einleitung zu mir sagte: 'Ach, das kannst du schon!'" So war es denn auch. Die Pianistin spielte das Werk komplett ohne jeden Fehler und auf allerhöchstem Niveau.

Quelle: ntv.de

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