Panorama

Montgomery im Interview "Beschluss der Minister ist ein politischer Fehler"

Der Vorstandschef des Welteärztebundes, Montgomery, kritisiert den Beschluss der Gesundheitsminister scharf.

Der Vorstandschef des Welteärztebundes, Montgomery, kritisiert den Beschluss der Gesundheitsminister scharf.

(Foto: ntv)

Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern verständigen sich auf Impfungen von Jugendlichen. Damit setzen sie sich über den Rat des zuständigen Expertengremiums hinweg. Der Chef des Weltärztebundes Montgomery spricht von Wahlkampfgetöse. Vor ihrer erwarteten Empfehlung sei die STIKO nun unnötig unter Druck.

ntv: Herr Montgomery, die Gesundheitsministerkonferenz hat gestern unter anderem beschlossen: Es gibt eine Auffrischungsimpfung für Ältere und Vorerkrankte ab September. Was ist eigentlich mit all dem Klinikpersonal und den Ärzten, die auch früh geimpft worden sind. Sind da auch Auffrischungsimpfungen geplant?

Frank Ulrich Montgomery: Ja, auch da wird man früher oder später über die Auffrischungsimpfungen nachdenken. Aber in erster Konsequenz sollte man jetzt wirklich die Hochbelasteten impfen. Dann kommt mit Sicherheit auch gefährdetes Personal sehr schnell hinterher.

Wie sieht es denn mit der wissenschaftlichen Grundlage für diese Auffrischungsimpfungen aus? Soweit ich weiß, gibt es keine Empfehlung der STIKO dafür bislang.

Das ist richtig. Aber die Empfehlungen der STIKO werden von der Politik inzwischen ohnehin relativiert. Aber bereits in vielen Ländern wissen wir, dass die neutralisierenden Antikörper im Blut sehr schnell nachlassen. Da gibt es reichlich Studien. Deswegen ergibt es Sinn, die zuerst Geimpften mit einer Auffrischimpfung wieder in den Stand zu versetzen, auch gegen die neuen Varianten besser gewappnet zu sein. Das ist ein bisschen ähnlich wie bei der Grippe. Da muss man auch jedes Jahr wegen neuer Stämme des Influenzavirus eine neue Impfung flächendeckend ausrollen.

Ist das fair und der richtige Weg, wenn man weiß, dass vielerorts auf der Welt noch nicht mal der Impfstoff für Erst- und Zweitimpfung reicht?

Das ist eine ganz schwierige ethisch moralische Frage. Wir haben die Mittel, wir haben die Möglichkeiten, und wir haben sehr viel Impfstoff im Moment. Wir müssen davon so viel abgeben, wie nur irgend möglich. Aber ich glaube, der europäische Wähler, der europäische Bürger würde es nicht verstehen, wenn er selber seinen Gesundheitsschutz reduziert bekäme, bloß damit man andere impfen könnte.

Große Diskussionen gibt es um das Thema: Soll man Kinder zwischen 12 und 17 Jahren impfen? Die Gesundheitsministerkonferenz hat das beschlossen, obwohl die STIKO keine entsprechende Empfehlung herausgegeben hat. Führt dieser Streit nicht dazu, dass die Menschen noch mehr verunsichert sind und dies der Impfkampagne eher schadet als nützt?

Ja, da bin ich sehr bei Ihnen! Dieser politische Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz ist ein politischer Fehler. Hier versucht man sich aufzublasen gegenüber einer Kommission, die per Gesetz eingesetzt worden ist, um wissenschaftlich unabhängig zu prüfen. Für die Menschen bleibt nur der Streit übrig. Die Ständige Impfkommission hat längst gesagt, dass Kinder mit Vorerkrankungen oder in besonderer Situationen - wenn zum Beispiel Eltern vorerkrankt sind oder Großeltern im Haus leben - durchaus geimpft werden können, aber es keine generelle Impfempfehlung gibt. Was die Politik jetzt macht, ist Wahlkampfgetöse!

Wie hätte es besser laufen können?

Mir wäre es lieber gewesen, man wäre nochmal auf die STIKO zugegangen und hätte mit ihr geredet. Sie wird in zehn Tagen ein neues Votum ausgeben. Jetzt kann sie es nicht mehr richtig machen. Folgt sie der Gesundheitsministerkonferenz, heißt das, sie hat sich dem politischen Druck gebeugt. Folgt sie ihr nicht, heißt es, die sind jetzt nur noch stur. Hier hat die Politik eine wissenschaftlich unabhängige herausragend gut arbeitende Kommission in völlig überflüssige Nöte gebracht, und das hätte nicht sein müssen.

Was würden sie denn allen Eltern raten? Soll man oder soll man nicht seine Kinder impfen lassen?

Ich folge da der STIKO-Empfehlung.

Will die Politik vielleicht die Herdenimmunität erreichen, die man ohne die Kinder schlicht nicht erreichen kann?

Die Politik versucht hier, davon abzulenken, dass es ihr nicht gelingt die Impfangebote an die 18- bis 59-Jährigen heranzubringen. Das ist das ganz große Problem. Hier sitzen die Multispreader. Gerade die jungen Menschen, die sehr viele Kontakte haben, haben sehr viele Möglichkeiten, das Virus zu verbreiten. Aber hier stockt die Impfkampagne. Deswegen glaube ich, wir erleben so eine Art Stellvertreterdiskussion: Weil man sich im Wahlkampf nicht traut, an die Menschen mit einem Impfangebot heranzugehen und zugleich Geimpften Privilegien einzuräumen, gibt es die Debatte um die Kinderimpfung. Insgesamt verunsichert das die Menschen mehr, als dass es ihnen nutzt.

Mit Frank Ulrich Montgomery sprach Doro Steitz

Quelle: ntv.de

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