Feuer-Attacke auf ObdachlosenEinige Angeklagte kündigen Aussagen an

Weihnachten vergangenen Jahres zünden sieben Flüchtlinge einen Obdachlosen an. Jetzt müssen sie sich vor Gericht verantworten. Wegen Ermittlungsfehlern sind ihre Aussagen wertlos. Zum Prozessauftakt in Berlin schweigen die mutmaßlichen Täter noch.
Das Gedränge vor Raum B 129 ist groß. Eyad S. folgt seinem Anwalt im Berliner Landgericht in Moabit durch die Masse von Medienvertretern in den Gerichtssaal – die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Erst später, wenn die Kamerateams den Gerichtssaal verlassen haben und er vor einer Fensterfront neben seinem Anwalt Platz nimmt, offenbaren sich seine noch kindlichen Gesichtszüge. Der 17-Jährige muss sich gemeinsam mit sechs anderen jungen Flüchtlingen vor dem Berliner Landgericht verantworten. Seinen Mitangeklagten Nour N. (21), Mohammad M. (17), Khaled A. (18), Ayman S. (17), Mohamad Al-J. (19) und Bashar K. (16), die zu Prozessbeginn in einem Glaskasten sitzen, wird versuchter Mord an einem Obdachlosen vorgeworfen. Eyad S. ist wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt.
Die jungen Männer sollen am ersten Weihnachtsfeiertag 2016 in den frühen Morgenstunden im U-Bahnhof Schönleinstraße mit einem brennenden Taschentuch versucht haben, das 37 Jahre alte Opfer anzuzünden. Das Feuer hatte der Anklage zufolge bereits auf den Rucksack und eine Plastiktüte, die dem Mann als Kissen dienten, übergefriffen. Die Angeklagten sollen feixend vom Tatort geflohen sein. Nur das beherzte Eingreifen von Fahrgästen kann Schlimmeres verhindern. Das ahnungslose Opfer bleibt unverletzt.
Die Angeklagten sind zwischen 2014 und 2016 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Der Hauptangeklagte Nour N. ist zu diesem Zeitpunkt schon volljährig. In Berlin wohnt er bei seiner Tante. Fünf andere kommen als alleinreisende Minderjährige, einer in Begleitung seiner Eltern. Bis auf Eyad S. sitzen alle seit Monaten in U-Haft.
"Heimtücke" und "Grausamkeit"
Die Verhandlung beginnt nur schleppend. Noch bevor die Anklageschrift verlesen wird, unterbricht ein Verteidiger das Verfahren mit seinem Antrag, den im Zuschauerraum anwesenden Eltern Dolmetscherkopfhörer zur Verfügung zu stellen. Dem Antrag wird stattgegeben. Auch ob die 13. Jugendkammer überhaupt zuständig und die Besetzung einer Schöffin ordnungsmäßig ist, muss vorab noch geklärt werden.
Den Angeschuldigten sei bewusst gewesen, dass sich die Flammen bei ungehindertem Weiterbrennen in kurzer Zeit auch auf die Decke oder die Kleidung ausbreiten würden. Sie hätten billigend in Kauf genommen, dass der Mann selbst Feuer fangen und "qualvoll verbrennen" könne, heißt es in der Anklage. Während Staatsanwalt Martin Glage die Anklageschrift verliest blicken fast alle Angeklagten starr und mit leerem Blick in den Raum. Bashar K. hibbelt nervös mit seinen Knien, die Hände auf dem Tisch ineinander gefaltet. In einer Prozesspause spricht Glage von "Heimtücke" und "Grausamkeit". Es sind die zwei wesentlichen Merkmalen für einen Mordvorwurf. Mutmaßlich handele es sich jedoch um eine Tat aus Langeweile.
Man könne den Angeklagten aber keine klare Mordabsicht unterstellen. Das vorab in den Medien kursierende mögliche hohe Strafmaß relativiert Glage vor Journalisten. Eine lebenslange oder zweistellige Haftstrafe erwartet er nicht. Letztendlich sei dem Opfer nichts passiert.
Die Vorsitzende Richterin Regina Alex weist daraufhin, dass bereits getätigte Aussagen der jungen Männer vor Gericht wegen Ermittlungsfehlern teilweise nicht verwertbar seien. Die Polizei hätte die Angeklagten nur unzureichend darüber aufgeklärt, dass sie sich vor der Vernehmung mit ihren Eltern oder gesetzlichen Vormündern beraten dürfen und diese auch ein Recht darauf hätten, beim Prozess vor Gericht anwesend zu sein.
Aussagen erst für Freitag erwartet
Am ersten Verhandlungstag äußert sich noch keiner der Angeklagten zum Tathergang. Die jeweiligen Verteidiger kündigen jedoch für den nächsten Prozesstag am Freitag Aussagen ihrer Mandanten an. Dann solle auch in die Beweisaufnahme eingestiegen und die Bilder der Überwachungskamera ausgewertet werden.
Für den 21 Jahre alten Hauptverdächtigen Nour N. gilt das Erwachsenenstrafrecht. Versuchter Mord wird nicht unter drei Jahren Gefängnis bestraft. Aus Ermittlerkreisen ist bekannt, dass keiner der Angeklagten in Vernehmungen bestritten hat, sich zur Tatzeit in dem U-Bahnhof aufgehalten zu haben. Auch hätte Nour N. zugegeben, das Taschentuch angezündet zu haben. Nach Angaben des Staatsanwaltes soll Nour N. aber stark alkoholisiert gewesen sein. Die Mitangeklagten berufen sich darauf, sie hätten ihn von der Tat abhalten wollen.
Als der Prozess beendet ist, lächeln und winken einige der jungen Männer ihren Freunden und Bekannten im Zuschauerraum zu. Unter ihnen sind auch zwei Mädchen, die versuchen, die Aufmerksamkeit von Nour N. zu erlangen. Während seine Kumpels zurück in die Untersuchungshaft müssen, verlässt Eyad S. gemeinsam mit seinem Anwalt das Gerichtsgebäude in der Moabiter Turmstraße durch den Hinterausgang. Auch er will am kommenden Freitag erzählen wie es zu der Feuerattacke auf den arglosen Obdachlosen kommen konnte – und warum er nicht eingeschritten ist.