Umgang mit Kindesmissbrauch"Hässlicher Wesenszug" - heftige Kritik an Kardinal Lehmann

Eine Studie zeigt das Ausmaß von Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche im Bistum Mainz. Der Sprecher des Betroffenenbeirats übt nun heftige Kritik am früheren Mainzer Bischof Kardinal Lehmann. Auch dessen heutiger Nachfolger distanziert sich von ihm.
Angesichts der Mainzer Missbrauchsstudie hat der Betroffenenbeirat der deutschen Bischofskonferenz erneut heftige Kritik geübt. Abermals werde mit aller Härte und Deutlichkeit klar, dass sich hinter der sexualisierten Gewalt in der katholischen Kirche keine zufällige Ansammlung von schändlich handelnden Einzeltätern verberge, so Johannes Norpoth, Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz. Dabei übte er besonders scharfe Kritik am früheren Kardinal Karl Lehmann (1936-2018), der Bischof in Mainz gewesen war. Fünf Tage nach der Vorlage der Studie äußerte sich auch Bischof Peter Kohlgraf. Er zeigte sich entsetzt über die darin aufgeführten Fälle und ging ebenfalls auf Distanz zu Lehmann.
Die Studie des vom Bistum beauftragten unabhängigen Rechtsanwalts Ulrich Weber hatte ergeben, dass jahrzehntelang Fälle von sexueller Gewalt nicht konsequent verfolgt, teils verschwiegen und verharmlost wurden. "Das Bistum als verantwortliche Institution hat durch unangemessenen Umgang und mangelnde Kontrolle in vielen Fällen sexuellen Missbrauch begünstigt", sagte Weber bei der Vorstellung der Studie am vergangenen Freitag . Pfarrgemeinden hätten mit einer Solidarisierung mit Beschuldigten und der Diskreditierung von Opfern eine Aufklärung erschwert und weitere Vorfälle ermöglicht.
Über Lehmann sagte Weber, dieser habe den Umgang mit Fällen sexueller Gewalt nie als Chefsache angesehen. Es sei in den Lehmann-Jahren 2010 bis 2017 ein erheblicher Gegensatz zwischen seinem öffentlich-medialen Auftreten und der persönlichen Einstellung und dem persönlichen Handeln erkennbar gewesen. "Seinen mit eigenen Worten formulierten Anspruch für den Umgang mit sexueller Gewalt in der katholischen Kirche im Bistum Mainz hat er selbst zu keiner Zeit erfüllt", sagte Weber.
"Menschenverachtendes Verhalten der Führungsriege"
Beirats-Sprecher Norpoth sprach in einer schriftlichen Stellungnahme vor der Synodalversammlung von menschenverachtendem Verhalten der Führungsriege, die durch die bisher veröffentlichen Missbrauchsstudien offengelegt worden seien. Auch die Mainzer Studie zeige erneut deutlich auf, dass nicht nur die Täter, sondern auch Verantwortliche und insbesondere Bischöfe unfassbare Schuld auf sich geladen hätten, auch Kardinal Lehmann, langjähriger Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und für viele Inbegriff einer dem Menschen zugewandten Kirche, so Norpoth.
"Die Mainzer Studie belegt einen weiteren, hässlichen Wesenszug dieses Bischofs. Damit wird - mit Recht - erneut ein namhafter Vertreter des deutschen Episkopats von seinem Sockel als Vorbild für mehr als eine Generation von Theologen und Klerikern gestoßen. Es dürfte nicht der letzte Sockel sein, der in diesem Jahr frei wird." Abzuwarten bleibe, ob auch in der kommenden Synodalversammlung das Bischofsamt durch die Bischöfe selbst weiter Schaden nehmen werde.
Mainzer Bischof: Geschilderte Fälle "zutiefst erschreckend"
In sehr persönlichen Worten ging auch der derzeitige Mainzer Bischof Kohlgraf während einer Pressekonferenz auf seinen Vorgänger Kardinal Karl Lehmann ein, der lange Jahre auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war und laut Studie die systemische Verantwortung der Kirche und des Bistums für Missbrauchstaten wiederholt bezweifelt hatte. "Er verkörpert im Umgang mit Missbrauchsbetroffenen eine Kirche, die abgrenzt und sich ihrer Verantwortung nicht stellt", kritisierte Kohlgraf in Mainz.
Die geschildeten Fälle seien für ihn "als Christ und Mensch zutiefst erschreckend", sagte er. Es habe in der katholischen Kirche ein Systemversagen gegeben. "Fehlende Verantwortungsübernahme hat Missbrauch begünstigt", kritisierte er. Es falle ihm nicht immer leicht, für eine derartige Gestalt von Kirche, "die keineswegs überwunden ist", Verantwortung zu übernehmen
Am Donnerstag beginnt in Frankfurt die fünfte und letzte Synodalversammlung zur Reform der katholischen Kirche. Das Reformprojekt des Synodalen Wegs war durch den Missbrauchsskandal ausgelöst worden. Dabei werden konkrete Veränderungen in den vier Bereichen Stellung der Frau, Umgang mit Macht, Sexualmoral und Pflichtzölibat der Priester angestrebt. Der Vatikan hat jedoch bereits deutlich gemacht, dass er eine solche Erneuerung ablehnt.