Keine sterile Immunität möglich Streeck erklärt Ablehnung der Impfpflicht
20.01.2022, 11:03 Uhr
Der Bonner Virologe Hendrik Streeck gehört dem Corona-Expertenrat der Bundesregierung an.
(Foto: picture alliance/dpa)
In der Debatte um eine Impfpflicht gegen das Coronavirus tritt der Bonner Virologe Streeck als Skeptiker auf. Bei ntv erklärt er seine Haltung. Neben medizinischen Gründen nennt er auch praktische. So seien noch nicht einmal Häufigkeit und Intervall künftiger Impfungen vorhersehbar.
ntv: Brauchen wir die Impfpflicht noch und wäre sie überhaupt umsetzbar?
Hendrik Streeck: Ich habe mich ja bereits ein paarmal kritisch zur Impfpflicht geäußert, aber eine Sache muss ich vorweg schieben. Es ist wirklich eine ganz andere Situation, wenn mehr Menschen geimpft sind, und man kann wirklich nur dafür plädieren, dass sich die Menschen impfen lassen. Es gibt aber mehrere Gründe, warum ich eine Impfpflicht kritisch sehe.
Welche sind das?
Die meisten sind medizinische, gar nicht verwaltungstechnische Gründe. Wir können zum Beispiel nicht vorhersagen, welche Varianten noch kommen. Wir können nicht vorhersagen, wie dann die Schutzwirkung und die Schutzdauer sein wird, wir können noch nicht einmal sagen, wie lange und wie häufig wir impfen müssen. Das ist bei anderen viralen Erkrankungen, für die wir eine Impfpflicht hatten oder haben, ganz anders. Dort können wir durch eine Impfpflicht das Virus ausrotten, was bei den Pocken geschehen ist und bei den Masern theoretisch auch möglich ist. Das sind ganz andere Voraussetzungen, weil wir da eine sterile Immunität erzeugen. Das haben wir gegen das Coronavirus leider nicht.
Wird die Impfpflicht kommen?
Ich glaube, man muss das von vielen Seiten beleuchten. Das waren eben nur die medizinischen Aspekte. Die anderen Probleme, die es noch gibt, liegen unter anderem in der Umsetzbarkeit. Stellen wir uns mal vor, wir haben jemanden, der seinen Impfausweis verloren hat, und es gibt keine Aufzeichnungen mehr. Wie kann er nachweisen, dass er geimpft wurde? Man würde im Normalfall, wie das bei Masern der Fall ist, die Antikörpertiter bestimmen. Da sind wir gleich bei der Frage, dass man Genesene eigentlich den Geimpften gleichstellen muss. Es muss auch die Möglichkeit bestehen, dass man auf anderem Wege, ohne einen gelben Pass, nachweisen kann, dass man geimpft wurde. Aber man kann einen Genesenen von einem Geimpften nur ganz schwer unterscheiden, vor allem mit den ganzen Kombinationen, geimpft, genesen oder wenn jemand zwischen den Impfungen mal eine Infektion hatte. Also, die Umsetzbarkeit, bis hin zum Impfregister, halte ich für sehr schwierig.
Gehen mit neuen Varianten weitere Booster-Impfungen und neue Impfstoffe einher?
Das kann sein, aber das ist sehr spekulativ. Wir können noch nicht einmal sagen, ob eine neue Variante aus Omikron entstehen würde, oder ob sie sich einer älteren Variante bedient. Es könnte auch zu Re-Kombinationen von Varianten kommen. Es kann aber auch gut sein, dass Omikron die letzte Variante in dieser Form ist, weil sie sich optimiert hat. Das ist ganz schwer vorherzusagen. Deshalb kann ich auch nicht sagen, ob es immer wieder angepasste Impfstoffe geben wird. Und ob es überhaupt notwendig ist, sich in Zukunft noch boostern zu lassen. Wovon ich ausgehe, ist, dass wir jetzt einen angepassten Impfstoff gegen Omikron bekommen werden, der aber vor allem für die vulnerablen Gruppen angeboten werden sollte.
Und die anderen Bevölkerungsgruppen?
Dass sich jeder Mensch im Herbst und Winter wieder impfen lässt, sehe ich ein wenig skeptisch, da wir, auch wenn die Antikörper heruntergehen, durch die T-Zell-Immunantworten immer noch einen guten Schutz vor einem schweren Verlauf haben.
Mit Hendrik Streeck sprach Annika de Buhr
Quelle: ntv.de