Panorama

Ex-Brigitte-Chefin Huber "Ich würde mich mit 60 nie als alte Frau bezeichnen"

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Die Autorinnen - und Freundinnen - Anne-Bärbel Köhle  und Brigitte Huber (r.) sehen "das Alter" mittlerweile gelassener: "Für mich war die 60 ein Weckruf", so Huber.

Die Autorinnen - und Freundinnen - Anne-Bärbel Köhle und Brigitte Huber (r.) sehen "das Alter" mittlerweile gelassener: "Für mich war die 60 ein Weckruf", so Huber.

(Foto: Gaby Gerster)

Die ehemalige Chefredakteurin der Frauenzeitschrift "Brigitte" hat ein Buch geschrieben, in dem es darum geht, wie es wirklich ist mit 60. Sie hatte diese Tatsache lange erfolgreich verdrängt, bis es sich nicht mehr leugnen ließ. Nun lebt sie damit, vielleicht besser als oftmals zuvor, und lässt ntv.de an ihren lebensnahen und lustigen Erkenntnissen teilhaben.

ntv.de: Butter bei die Fische - was sollte ich, kurz vor 60, noch erledigen?

Brigitte Huber: Ich bin da kein gutes Beispiel, ich habe versucht, es zu verdrängen. Mein jüngerer Sohn, Mitte 20, hat gesagt, man hätte es total gemerkt im Vorfeld, wie mir das zu schaffen macht. Ich habe das Thema inzwischen allerdings wirklich gut recherchiert, und ich kann Ihnen versichern: Da kommt eine gute Zeit auf Sie zu! Üben Sie sich in Vorfreude!

Ü-Sechzig-Frauen sahen früher auch mal anders aus. Brigitte Huber weiß, warum.

Ü-Sechzig-Frauen sahen früher auch mal anders aus. Brigitte Huber weiß, warum.

(Foto: Gaby Gerster)

Für mich war diese Zahl eine Challenge, weil nochmal ein beruflicher Neuanfang anstand, während es für andere dann ja tatsächlich der Übergang in die Rente sein kann. Wenn man es sich leisten kann und will, schön. Wenn nicht, dann ist es eventuell auch ein ultimativer Weckruf.

Das ist bei Ihnen zusammengefallen – Abschied aus dem vertrauten Arbeitsumfeld kurz vor 60 und die klare Erkenntnis: Ich bin noch nicht fertig.

Nein, denn das sind wir auch überhaupt nicht. Wir sind nicht fertig. Und dennoch, wenn ich Ihnen etwas raten darf: Machen Sie sich ein paar Gedanken, was Sie noch erleben möchten. Zum einen: Was für Projekte warten noch? Dinge, die man immer schon mal machen wollte, oder, wenn man es – wie Ruhestand-Coach Sonja Schiff - sehr prosaisch ausdrücken möchte: Nehmen Sie den Faden der Träume wieder auf.

Ein Malkurs auf einer griechischen Insel?

(lacht) Davon hat mir ein IT-Manager berichtet, weil er das sein ganzes bisheriges Leben vernachlässigt hat. Ich glaube, das ist bei uns Journalistinnen sehr speziell: Wir haben mit vielen Menschen zu tun, jeden Tag passiert etwas Neues, und das professionalisieren wir natürlich. Aber alles nochmal mit einer persönlicheren Brille zu sehen und das tatsächlich aufzuschreiben, das war für mich jetzt wirklich sehr interessant. Da gibt es eine Übung im Buch, die fragt: "Wo seht ihr euch fünf Jahre nach dem Ruhestand? Es ist Montagfrüh, das Wetter schlecht und ihr habt eure Projekte abgearbeitet. Also eure Reisen gemacht, den Keller aufgeräumt und so weiter." Manche verzweifeln da erstmal eine halbe Stunde vor einem leeren Blatt Papier. Männer schreiben irgendwann: "Nachrichten hören", oder "Nachrichten schauen".

Und Frauen?

Da sind wir leider immer noch nicht wirklich weiter, die schreiben nicht selten: "Mittagessen machen" (lacht).

Und Sie?

Ich wollte selbstverständlich noch arbeiten und im ersten Moment war mein Reflex: kein Buch schreiben. Das hatte ich schon gemacht, mit Anfang 30. Es waren aber keine Herzensprojekte. Da ging es um Psychoterror am Arbeitsplatz, Mobbing, oder "Der Mann, der zu mir passt". Solche Bücher. Aber jetzt, mit etwas Abstand, wollte ich mich aus der aktuellen persönlichen Situation entwickeln. Das habe ich nämlich noch nie gemacht.

Wir haben Phasen: Schule, Ausbildung, Arbeit, Partner finden, vielleicht Kinder. Die müssen durch Kindergarten und Schule, irgendwann sind sie aus dem Haus. Und dann?

Man sollte jeden neuen Zustand akzeptieren, denn es ist gut, wie es jetzt ist. Es gibt keine Alternative. Deswegen heißt mein Buch "Endlich ich", denn jetzt habe ich die Chance, dass es endlich mal ein bisschen mehr um mich geht. Da fällt so manchem Paar erstmals auf: "Oha, was verbindet uns jetzt noch?" Darum scheitern genau in dieser Phase viele Beziehungen, weil es eben doch nicht so gut passt. Viele gehen dann in Therapie, weil sie absehen: "Wenn es gut läuft, sind wir noch 20, 30 Jahre zusammen".

Klingt wie eine Drohung ...

(lacht) Es ist anders als in den Generationen vorher, dass man das stoisch durchzieht bis zum bitteren Ende. Man hat noch einen Anspruch ans Leben und die Lebensqualität. Und dann ist es bei Frauen ja auch häufig so – ich glaube, so schnell dreht sich die Welt dann doch nicht – dass sie sich zurückgenommen haben in ihren Selbstverwirklichungsthemen und jetzt zum ersten Mal denken: "Endlich habe ich mehr Zeit, ich weiß, wer ich bin und was ich will." Wir haben die Chance, uns im positiven Sinne in den Mittelpunkt zu stellen. Frauen – und natürlich auch Männer – müssen da schlau vorgehen. Natürlich kann man immer zurückschauen und hadern. Aber ich habe bereits als jüngere Frau versucht, mir klarzumachen, das ist jetzt die eine Phase und es wird eine andere Phase kommen, und aus jeder werde ich das Positive rausziehen.

Haben Sie eine "To-Do-Liste?

Tatsächlich ja, denn es gibt ja noch andere Aktivitäten als Reisen. Eine Sprache lernen zum Beispiel. Ein neues Hobby. Ein Instrument. Eine Herausforderung, vielleicht ein Umzug.

Meine Tochter hat mich gefragt, ob ich noch hinfalle oder schon stürze. Denn stürzen, das tun ältere Leute ...

Und?

Ich stürze ab und zu. Aber weil ich zu schnell bin.

Und denken Sie nun, au weia, jetzt muss ich echt aufpassen und meine Knochendichte messen lassen?

Hab' ich schon. Alles stabil. Man soll doch schlau rangehen an dieses letzte Drittel ...

Absolut. Und vielleicht wird es ja noch mehr als ein Drittel! Es gibt so viele 100-Jährige. Im Zeitverlauf wird sich das noch mal mehr als exponentiell entwickeln, 70 bis 80 Prozent davon werden Frauen sein.

Sie schreiben von der Wichtigkeit von Premieren ...

Ja, denn in Wahrheit ist es so, dass wir am Anfang unseres Lebens wahnsinnig viele Dinge zum ersten Mal machen. Geht ja gar nicht anders, und das dehnt eben das Zeitgefühl. Es heißt sogar, dass einem die ersten 18 Jahre so lang vorkommen wie der Rest des Lebens. Diese Premieren hinterlassen viel stärkere, intensivere Spuren in unserem Gedächtnis. Die Wiederholungen hingegen nicht. Wer erinnert sich noch an den zweiten Schultag? Oder an den fünften Kuss? Es ist auch gut so, Routine hilft uns, sie ist die Grundlage von Kompetenz. Aber es gibt eben immer weniger Premieren, und wenn, dann sind sie nicht so toll.

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Die erste Brille ...

... und der erste Seniorenpass (lacht). Also, wir haben jetzt oft das Gefühl, die Zeit vergeht wahnsinnig schnell. Unser Gehirn hat weniger, woran es sich festhalten kann. Weil auch der fünfte Toskana-Urlaub sich nicht mehr unterscheidet vom ersten. Und deswegen ist es sinnvoll, sich Premieren ins Leben zu holen. Eine gute Nachricht: Spätestens ab 60 beruhigt sich der Fluss der Zeit. Wir haben nicht mehr das Gefühl, es geht jetzt noch schneller.

Wie alt fühlen Sie sich denn im Augenblick?

Wir schätzen uns im Schnitt ja um sieben bis zehn Jahre jünger ein. Das ist völlig normal. Und gut, denn diese Menschen leben länger. Ich bin 61. Aber zum einen würde ich mich nie als alte Frau bezeichnen – wir wissen, dass Sprache die Wirklichkeit bestimmt. Zum anderen bezeichne ich mich aber auch nicht als dummes kleines Ding, denn dann werde ich niemals schlau und groß sein. Und so ist es auch mit dem Altsein. Das ist tatsächlich erforscht. Ich sage lieber: "Ich bin lebensklug", oder "Von euch hier in der Runde bin ich die Älteste". Aber mich selbst in diese Schublade der "alten Frau" zu stecken, das werde ich nicht tun.

Werden Sie auch mit Werbung zugeballert für Longevity-Produkte? Und Vitamin D, B12, Magnesium, Eisen, Calcium, Zink, Folsäure, Kurkuma, Spermidine?

Ja, einiges davon ist sicher sinnvoll, vieles können wir uns allerdings sparen. Mein Ding ist gerade Akazienfaser-Pulver, eine Ballaststoffquelle aus der Rinde des Akazienbaums. Davon habe ich in unserem Podcast von der Dermatologin Dr. Yael Adler gehört. Das kann doch sicher nicht schaden (lacht).

Und jetzt noch Muskelmasse aufbauen, bevor es zu spät ist!

Unbedingt! Meine Co-Autorin Anne Bärbel Köhle, die die wissenschaftlichen Erkenntnisse rund um unseren Körper genau unter die Lupe genommen hat, ist da wirklich streng. Klar, wir wissen, wie wichtig Bewegung und gesunde Ernährung sind. Forschungen sagen, wir haben 60 bis 70 Prozent selbst in der Hand. Selbstverständlich werden wir alle sterben. Und selbstverständlich wird es immer Ausnahmen geben, wie den Dauerraucher Helmut Schmidt. Ich möchte bloß nicht, dass alles zu einem Selbstoptimierungswahn wird, dass man ständig nochmal eine halbe Minute mit geschlossenen Augen auf einem Bein stehen und mit dem Kopf wackeln muss, das Dinner cancelt und keinen Wein mehr trinken darf. Die Frage ist: "Wo kann ich mich einpendeln?"

Und was ist der Plan für die Zeit nach dem Buch, nach der Lesetour?

Zum einen starte ich ja zeitgleich mit dem Buch-Launch einen Podcast ("Die Sache mit dem Älterwerden") mit einem Kollegen, der Mitte 40 ist und der sich bereits jetzt mit dem Älterwerden plagt. Wir sind also eine 60-Jährige, die so tut, als wäre nichts, und ein 45-Jähriger, der sagt: "Oh Gott, ich werde älter." Das ist momentan relativ fordernd. Außerdem habe ich eine Coachingausbildung gemacht. Und dadurch, dass ich so früh Mutter geworden bin, mit 19, musste ich feststellen, dass ich keine Hobbys habe. Ja, natürlich, Sport und Yoga, weil es gesund ist und gut für die Linie. Ganz selten Skifahren, das ist der einzige Sport, der mein Herz höherschlagen lässt. Aber ich habe kein Hobby im ursprünglichen Sinn, und da würde ich mich gerne drum kümmern. Oder um ein Projekt außerhalb des Berufsfeldes.

Und nein sagen? Daran arbeite ich ...

Ich auch. Nicht immer drei Sachen zu machen, das habe ich mir bereits abgewöhnt. Und ich habe eines endlich begriffen: Gut genug ist wirklich gut genug!

Quelle: ntv.de

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