
Mitten im Wald versteckt und in einem Nationalpark liegt das Kröller-Müller Museum.
(Foto: Jannes Linders)
Schon mal ganz ohne Menschenmassen vor einem Van Gogh gestanden? Im Naturpark Hoge Veluwe geht das. Dort ist ein Museum versteckt, in dem derzeit Helene Kröller-Müller gefeiert wird - die Frau, die leidenschaftlich Van Goghs sammelte und diesen besonderen Ort schuf.
Vincent van Gogh ist ein Publikumsmagnet. Egal, wo auf der Welt seine Werke gezeigt werden, bilden sich Schlangen. Jeder will die Meisterstücke bestaunen. Die Sehnsucht nach seinen bizarr erstarrten Landschaften, leuchtenden Sternennächten, eindringlichen Porträts und flirrenden Stillleben ist immens. Einziger Wermutstropfen: Auch vor den Gemälden muss sich das Publikum in Geduld üben und ist nicht allein.
Das geht anders. Und zwar im niederländischen Nationalpark Hoge Veluwe unweit der deutschen Grenze. Am Eingang gibt es kostenlos Fahrräder, mit denen man gut zwei Kilometer zum Kröller-Müller Museum fahren kann. Es beherbergt die zweitgrößte Sammlung an Van Gogh-Gemälden und Zeichnungen. Nur das Van Gogh-Museum in Amsterdam besitzt mehr. Zu verdanken ist das Helene Kröller-Müller, die ab 1907 über Jahrzehnte Kunst aus ihrer Zeit sammelte, darunter 270 Werke des berühmten Malers. Sie gründete auch diesen, im Wald versteckt liegenden, Ort. Derzeit begibt sich das Kröller-Müller Museum mit der Ausstellung "Auf Sinnsuche" auf die Spuren dieser faszinierenden Frau.

Endlich können Besuchende auch mal allein mit Vincent van Goghs bizarren Landschaften sein.
(Foto: Courtesy Kröller-Müller Museum)
Kaufrausch vor dem Lunch
Wie besessen kaufte die 1869 in Horst bei Essen geborene Industriellentochter Helene Kröller-Müller Bilder. Sie folgte dabei keinen Strömungen oder Trends, sondern interessierte sich für Neues - von Pablo Picasso über den abstrakten Piet Mondrian bis zu Vincent van Gogh. Letzterer hatte es ihr besonders angetan und ist das Herzstück ihrer opulenten Sammlung. In Pariser Galerien kaufte sie noch vor dem Mittagessen neun Van Goghs. Am nächsten Tag ging der Kaufrausch ungebremst weiter - acht weitere seiner Gemälde kamen hinzu. Dabei waren seine Werke zu der Zeit wenig geschätzt und wurden vom Publikum sogar als verstörend empfunden. Inzwischen ist Van Gogh einer der wichtigsten und der vielleicht populärste Vertreter der modernen Malerei.
Helene Müller hatte 19-jährig Anton Kröller geheiratet, der in dem Schifffahrt- und Handelsunternehmen ihres Vaters arbeitete. Als der Vater ein Jahr später starb, übernahm Anton und baute in Den Haag einen Megakonzern auf. Helene avancierte zu einer der vermögendsten Frauen der Niederlande, die selbstbewusst über ihr eigenes Geld verfügte. Die Rolle der Direktorengattin und vierfachen Mutter füllten sie nicht aus.
Ihre Leidenschaft galt der Kunst: Sie ließ sich von dem Kunstpädagogen Hans Bremmer beraten. Dessen Kunstkurse waren in der Society total in Mode. Sie teilte seine Auffassung, dass "wahre" Kunst eine spirituelle und mystische Erfahrung sei. Allein und mit ihrem Mann fuhr sie zum Shoppen nach Paris. Statt neuester Kleider, Hüte, Handtaschen oder Schuhe kauften die beiden moderne Kunst. Das machte sie glücklich.
"Ich glaube, dass Helene Kröller-Müller mit dem Sammeln ihren Sinn im Leben gefunden hatte", sagt Benno Tempel, Direktor des Museums im Gespräch mit ntv.de. Zudem habe sie sich entschieden, ihre Sammlung an diesem sehr besonderen Ort zu zeigen. Die Idee eines Hauses voller Kunst umgeben von Stille, violett blühender Heide, Wald- und Sandlandschaften trieb sie an. Hochwertige Kunst trifft auf Natur, das macht das fernab vom Trubel liegende Kröller-Müller Museum zu jeder Jahreszeit so reizvoll anders.
Kunst ist kein Luxusgut
Als Helene ihren ersten Vincent van Gogh 1908 kaufte, war der Maler bereits 18 Jahre tot. Die Sammlerin erkannte sich in ihm selbst wieder. Van Gogh suchte ebenso wie sie nach Sinn und Bedeutung jenseits des kirchlichen Glaubens. Sie hinterfragte, ergründete und stellte alles auf den Prüfstand. Nach der Lektüre von Goethe und Schiller hatte sie das eigenständige Denken verinnerlicht. Als sie sich in die Lehre des Bibel- und Religionskritikers Baruch de Spinoza vertiefte, begann sie massiv an ihrem eigenen Glauben zu zweifeln. Die Einzigartigkeit der Natur wurde ihr 1911 bewusst, als sie mit 42 Jahren eine lebensbedrohliche Erkrankung überlebte.

Die Rolle der Direktorengattin und Mutter allein machten sie nicht glücklich: Das Foto von Helene Kröller-Müller entstand zwischen 1905 und 1910.
(Foto: Courtesy Kröller-Müller Museum)
Für die deutsche Sammlerin war Kunst kein Luxusgut nach dem Motto: nett anzusehen, aber verzichtbar. Im Gegenteil, sie wollte ihre Leidenschaft teilen. Die Kraft, die sie in Kunst sah, sollte jeder öffentlich erleben können. Das sollte nicht nur einer elitären Gesellschaftsschicht zugänglich sein. Ihre Vision war das eigene Museum, aber nicht in einer lärmenden Stadt. Sie war sich sicher, dass Menschen in der Natur zur Ruhe kommen und dann die Erhabenheit der Kunst leichter verstehen würden. Museumsdirektor Benno Tempel genießt es sehr, jeden Morgen durch den friedlichen Wald zu seinem Arbeitsplatz zu fahren.
Wie aber wurde ihr Traum Realität? Wie kam es zu diesem in geschützter Landschaft verborgenen Kunstjuwel? Helene Kröller-Müller zeigte ab 1913 im Den Haager Bürohaus von Müller & Co die zeitgenössischen Werke, die ihr gefielen. Die rasant wachsende Sammlung befeuerte ihren Wunsch nach einem Ort, der für die Ewigkeit bleibt. Ihre Idee: ein Museumshaus in ihrem Jagd- und Reitgebiet auf der Veluwe. Dort hatte die Familie bereits eine Sommerresidenz. Hier genoss sie das einfache Leben nach ihren erfüllenden Kunstausflügen und euphorisierenden Einkäufen.
Frische Blumen für Van Gogh

Natur trifft Kunst und umgekehrt. Blick aus dem Museum hier mit Skulpturen von Roni Horn
(Foto: Marjon Gemmeke )
Stille und Natur in Kombination inspirierten sie ebenfalls. Tatsächlich wurde 1921 mit dem Bau eines Museums begonnen. Ein Jahr später, mit Beginn der Weltwirtschaftskrise, geriet das Unternehmen ins Trudeln. Kunstkäufe waren tabu, der Wunsch nach dem eigenen Kunstbau lag auf Eis. Einige Jahre später ging es wieder aufwärts. Weitsichtig gründete das Ehepaar Kröller-Müller eine Stiftung, um das Landgut und die Sammlung künftig vor solchen Krisen zu schützen. 1935 ging die Sammlung in den Besitz des niederländischen Staates über. Zeitgleich wurde der weitläufige Naturpark Hoge Veluwe gegründet.
1938 wurde das langersehnte Haus eröffnet. Ein Jahr lang war Helene die Direktorin, bevor sie gesundheitlich angeschlagen verstarb. In einem Meer aus Blumen und Tannen wurde sie vor ihrer Vincent van Gogh Sammlung aufgebahrt und verabschiedet. Mit gut 12.000 Kunstwerken hinterließ die Kunst-Enthusiastin eine der größten Privatsammlungen des 20. Jahrhunderts in Europa.

Abschied von Helene Kröller-Müller mitten im Museum zwischen ihren zahllosen Van Gogh Gemälden
(Foto: Courtesy Kröller-Müller Museum)
Museumschef Benno Tempel und sein Team zeigen nicht alles aus der umfangreichen Sammlung, die sie immer wieder mit Ankäufen erweitern können. Sie konzentrieren sich "auf Kunst, die zum Nachdenken anregt", sagt Tempel, ganz so wie die Gründerin es sich gewünscht hätte. Neben der permanenten Sammlung gibt es wechselnde Ausstellungen mit zeitgenössischen Positionen zu aktuellen Themen. Frische Blumensträuße vermitteln das Gefühl, als sei eben noch Helene Kröller-Müller persönlich durch das Museum geschlendert und hätte sich in ihre zahlreichen Van Goghs vertieft.
"Searching for Meaning", bis zum 11. Mai im Kröller-Müller Museum, Houtkampweg 6, 6731 Otterlo, Niederlande
Sammeln für die Ewigkeit – Helene Kröller-Müller: die bedeutendste van Gogh-Sammlerin der Welt, Eva Rovers, Athena Verlag, 29,90 Euro, derzeit vergriffen
Quelle: ntv.de