Meiste Corona-Tote in Europa Italien durchlebt seine "dunkelste Stunde"
09.03.2020, 17:15 Uhr
Das Coronavirus breitet sich außerhalb Chinas in keinem anderen Land so schnell aus, wie in Italien.
(Foto: REUTERS)
Nach China trifft es Italien am schlimmsten. Die Zahl der an Covid-19-Erkrankten schießt in die Höhe, mehr als 350 Menschen sind schon am Virus gestorben. Warum es das Land so schwer getroffen hat und wie Deutschland demselben Schicksal entkommen kann, erklärt der Arzt Christoph Specht ntv.de.
Italiens Regierungschef Giuseppe Conte spricht in der Zeitung "La Repubblica" von der "dunkelsten Stunde": Das Land hat die höchste Zahl an nachgewiesenen Covid-19-Toten nach China. Mittlerweile sind 463 Menschen gestorben - allein am Montag kamen 97 hinzu. Auch die Zahl der Infizierten wächst mit fast 9200 weiter rasant an. Am Freitag waren es nach offiziellen Angaben noch 4600. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Zahl der Infizierten bei etwa 1150 und drei Toten, zwei davon in Nordrhein-Westfalen und ein anderer, der in Ägypten an den Folgen von Covid-19 starb. Sie liegt damit weit unter der Zahl der Erkrankten und Todesfälle in Italien. Doch wie konnte sich das Virus in Italien so schnell ausbreiten? Warum gibt es so viele Todesfälle?
Die Sterberate der Infizierten liegt in Italien derzeit bei knapp fünf Prozent. Sie ist damit die höchste weltweit, übersteigt sogar die Chinas, die bei 3,9 Prozent liegt. Dass das Virus in Italien aggressiver als in anderen Ländern ist, sei allerdings nicht der Grund dafür, sagt Arzt und Medizinkorrespondent Christoph Specht ntv.de. "Viren mutieren ständig, das ist nichts Besonderes. Das bedeutet jedoch nicht, dass es gefährlicher geworden ist. Dafür würde in diesem Moment nichts sprechen."
Wahrscheinlicher seien zwei andere Szenarien. "Entweder trifft das Virus besonders anfällige Bevölkerungsgruppen wie ältere oder erkrankte Menschen", sagt Specht. Die andere mögliche Erklärung ist, dass die Zahl der Infizierten viel höher ist, als die offizielle Zahl der auf Sars-CoV-2 positiv getesteten Menschen. "Es ist wahrscheinlicher, dass die Angaben der Todesfälle stimmen als die der Erkrankten. Wenn man davon ausgeht, dass es eigentlich fünf Mal so viele Fälle gibt wie getestet wurden, dann wären das 36.000 infizierte Menschen. Damit läge die Sterberate nur noch bei einem Prozent." Das wäre dem Arzt zufolge eine naheliegende Erklärung für die vielen Todesfälle.
Sperrzonen werden nicht eingehalten
Zudem ist Italien das erste europäische Land, das hart getroffen wurde, sagt Specht. Das hänge indirekt ebenfalls mit der schnellen Ausbreitung zusammen. "Im Gegensatz zu Deutschland hatte Italien keine Vorwarnung. Nachdem sich der Erste angesteckt hatte, konnte sich das Virus verbreiten, ohne dass Hygiene-Maßnahmen ergriffen worden sind." In Deutschland wurde von Anfang an dazu aufgerufen, sich regelmäßig die Hände zu waschen. "Italien hatte einfach Pech, das erste Land in Europa zu sein. Dort kamen die Anweisungen zu spät." Auch konnte nie komplett aufgeklärt werden, wie sich der erste Patient angesteckt hatte. Damit ließ sich die Infektionskette nicht mehr rekonstruieren.
Große Teile des Nordens, darunter Städte wie Mailand oder Venedig, wurden zu Sperrzonen erklärt. Viele Menschen hielten sich allerdings nicht daran und nahmen Züge in Richtung Süditalien. Gleichzeitig wurde in vielen Gefängnissen das Besuchsrecht ausgesetzt. Das führte zu Protesten mit mehreren Toten. In Modena seien sechs Häftlinge gestorben, mehrere wurden schwer verletzt, wie Medien unter Berufung auf die Gefängnisverwaltung berichteten. Mehr als 50 hätten dort versucht, zu fliehen.
"Wir werden mit Covid-19 leben müssen"
Um in Deutschland einen Effekt wie in Italien zu vermeiden, muss laut Specht die Geschwindigkeit der Ausbreitung gebremst werden. Insgesamt wird die Zahl der Infizierten dadurch nicht weniger, verteilt sich aber über einen längeren Zeitraum besser und ist von den Krankenhäusern zu bewältigen. "Fünf Prozent von 1000 Infizierten in einem Monat sind weniger als fünf Prozent von 10.000, die stationär behandelt werden müssen". Zu viele auf einmal könnten unser Gesundheitssystem und die Krankenhäuser nicht abfangen. Damit kämpft Italien bereits massiv, was ein weiterer Grund für die hohe Sterberate sein könnte. "Wir werden mit Covid-19 leben müssen. Es werden sich noch viele Deutsche infizieren, das lässt sich nicht verhindern. Doch das Wichtigste ist, dass es nicht zu schnell passiert", sagt Specht.
Eine gute Hygiene ist dafür unverzichtbar. Regelmäßig Hände zu waschen und sich nicht ins Gesicht zu fassen, kann bereits viel bewirken. Dadurch gelangen die Viren nicht durch Mund, Nase oder Augen in die Schleimhäute, was einer Infektion vorbeugt. "Es macht aus der Glockenkurve nur einen langgestreckten flachen Hügel", meint Specht. Auch bei diesem Szenario infizieren sich viele Menschen, jedoch verteilt über einen längeren Zeitraum. Den Gipfel der Infektionswelle in Italien hält Specht für noch nicht erreicht.
Quelle: ntv.de