Gratis-Fahrt von Nord nach SüdItalienischer Bus der Solidarität rettet Weihnachten

Es begann mit der Tradition, einen bezahlten Espresso für jemanden zu hinterlassen, der ihn sich nicht leisten kann. Daraus ist jetzt zur Weihnachtszeit eine Gratis-Busfahrt von Nord- nach Süditalien geworden. Eine Idee, die wirklich jeder, überall und in alle Richtungen, weiterentwickeln kann.
"Solidarität ist wie ein Virus, in diesem Fall ein gutartiger, der sich aber, wie seine bösen Artgenossen, in Windeseile verbreiten und mutieren kann", sagt der 28 Jahre alte Stefano Maiolica ntv.de. Der Sozialpsychologe stammt aus Salerno, Kampanien, ist aber schon lange in Mailand ansässig. Die besondere Art von Virus, die ihn angesteckt hat, nennt sich Caffè sospeso. Bei dieser neapolitanischen Tradition hinterlässt der Kaffeebesucher einen bezahlten Espresso für jemanden, der sich diesen nicht leisten kann.
Mittlerweile wurde diese solidarische Geste italienweit adoptiert und auch anderweitig angewandt. Während der Pandemie zum Beispiel, als viele Leute die Arbeit verloren, sah man immer wieder Körbe mit Lebensmitteln von den Balkonen hängen. Auf dem hinzugefügten Zettel las man: "Spesa sospesa - Wer kann, der gibt - wer braucht, der nimmt".
Früher Arbeiter, heute Studenten
Maiolica animierte die Kaffeetradition wiederum über seine Website Un terrone a Milano, TAM, die Initiative "Retten wir Weihnachten" zu starten. Damit wollte er Süditalienern, die in Norditalien studieren oder arbeiten und über nur knappe finanzielle Möglichkeiten verfügen, zu Weihnachten eine Gratis-Busfahrt zurück zu ihren Familien ermöglichen. Immerhin kommt auch er aus Kampanien und weiß, wie wichtig es ist, zumindest diese Festlichkeiten im heimischen Kreis verbringen zu können.
Doch, wie überall auf der Welt, werden zur Weihnachtszeit auch in Italien die Flug- und Zugtickets unverschämt teuer. Und dieses Jahr drücken die Preiserhöhungen wegen Inflation und hohen Gas- und Stromrechnungen besonders schmerzhaft auf den Geldbeutel. Da stellt eine Gratis-Busfahrt schon fast einen Lottogewinn dar. Diese Weihnachten haben 130 Menschen dank der TAM Initiative das Los gezogen. Die Reise nach Hause beginnt am 22. Dezember um 19.00 Uhr vom Mailänder Bahnhof.
Apropos "Terrone", der Begriff ist schwer zu übersetzen. Damit wurden einst die Süditaliener, die in Mailand, Turin oder anderen norditalienischen Städten emigriert waren, verächtlich bezeichnet. Damals waren es vor allem Arbeiter, die in den norditalienischen Fabriken angestellt waren. Heute sind es "Studenten, die hier die Unis besuchen, junge Leute, die ein Praktikum absolvieren, oder Aushilfslehrer, die für kurze Zeit hier arbeiten und miserabel bezahlt werden", erzählt Maiolica.
Ein Win-Win-Modell
Hier nun das Konzept der Gratis-Busfahrt, das überall auf der Welt angewendet werden kann. Es fußt auf einer klassischen Win-Win-Situation, wie man heute sagt: Die Leute können mit ihren Liebsten die Feiertage verbringen, "und man kann sich gar nicht vorstellen, wie glücklich und dankbar die Eltern und Verwandten sind, wenn sie ihre Angehörigen an der Bushaltestelle abholen", fügt Maiolica hinzu. Für den Sponsor wiederum ist es eine ganz besondere Marketing-Maßnahme, die nicht nur das Logo des Unternehmens auf den Bussen durch ganz Italien kutschiert, sondern auch auf seine wohltätige Firmenphilosophie hinweist.
Der diesjährige Sponsor ist das Käseunternehmen Galbani. Dass die Idee wirklich gut ist, zeigt sich darin, dass es die Leute der Marketing-Abteilung von Galbani waren, die an Maiolicas Tür klopften, nicht umgekehrt, und bereit waren, zwei Busse zu finanzieren. Den einen nach Apulien, den anderen über Kalabrien nach Sizilien.
Für diese Reise konnte man sich zwischen dem 1. und dem 25. November auf der TAM-Website über ein Formular für einen Reiseplatz bewerben. "In dieser Zeit bekamen wir auch viele Mails von Italienern, die in Deutschland leben", erzählt Maiolica. Sie wollten wissen, ob man so einen Bus nicht auch von einigen deutschen Städten aus organisieren könne. Freilich, machbar wäre es, doch das Ganze müsste von Deutschland aus organisiert werden. Und man müsste einen Sponsor finden, der an einer Reisestrecke von Deutschland nach Süditalien interessiert wäre.
Solidarität ist ansteckend
Aber warum nicht erst einmal so einen Gratis-Bus innerhalb von Deutschland organisieren, meint Maiolica. Und überhaupt. Man kann ja auch kleiner anfangen. "Die Idee des Caffè sospeso kann man überall und eigentlich schon vor der eigenen Haustüre umsetzen" meint Maiolica. In der Nähe seiner Wohnung lebt zum Beispiel ein Obdachloser. Diesem bringt er jeden Morgen eine Schale Kaffee. "Und schone kurze Zeit, nachdem ich damit begonnen hatte, sind auch andere Bewohner in der Straße auf ihn aufmerksam geworden. Sie bringen ihm jetzt etwas zu Mittag oder am Abend."
Auch die Supermärkte haben die Idee aufgegriffen: Während der Pandemie stellten sie eine große Kiste in die Nähe des Ausgangs, auf der - wie auch an den erwähnten Körben an den Balkonen - "Spesa sospesa" stand. Darin konnte man Produkte für Mittellose hinterlassen. Die Kisten stehen noch heute und es liegt immer etwas darin. Sogar für Tierfutter gibt es das in den Fachgeschäften. Es stimmt also, was Maiolica sagt: Solidarität ist ansteckend.