Zehn Jahre nach dem Beben L'Aquila wird langsam wiedergeboren
06.04.2019, 15:15 Uhr
Nach dem Beben 2009 lagen viele Häuser in Schutt und Geröll.
(Foto: picture alliance / dpa)
Es war noch Nacht, als am 6. April 2009 die Erde unter der italienischen Stadt L'Aquila bebte. Die Wunden sind bis heute sichtbar, noch immer können nicht alle Bewohner zurückkehren. Doch die Hoffnung, dass sie sich eines Tages wieder im alten Glanz zeigt, gibt keiner auf.
Frau Francesca ist eine lebhafte und herzliche Frau. Nur wenn sie von jener Nacht vor zehn Jahren erzählt, knickt ihre Stimme leicht ein. Es war genau 3.32 Uhr als am 6. April 2009 ein Erdbeben der Stärke 5,8 die süditalienische Stadt L'Aquila erschütterte. 309 Menschen starben unter den Trümmern, weitere 1600 wurden verletzt und 70.000 obdachlos. Frau Francesca hatte damals Glück. Die heute 82-Jährige lebt in Roio, einem der zahlreichen Vororte von L’Aquila, keine zehn Kilometer von der Stadt entfernt. Ihr Haus wurde zwar beschädigt, aber kein Bewohner wurde von den Trümmern begraben. Bereits sechs Monate danach konnten sie wieder einziehen. "Die Angst, die ich in jener Nacht durchgemacht habe, sitzt aber noch immer tief. Jeden Abend, wenn ich zu Bett gehe, denke ich an das Erdbeben."
Auch Claudio Antonelli, der mit seinem Sohn Marco eine Teigwarenfabrik außerhalb von L’Aquila betreibt, erinnert sich genau an die Nacht, als alles zu beben begann. Damals stürzte er sich sofort auf seinen Sohn, um ihn mit seinem Körper zu beschützen. "Das Getöse hörte sich wie das Brüllen eines Riesenmonsters an. Das bekomme ich nie mehr aus den Ohren."Zehn Jahre sind es jetzt her, als die Vergangenheit in L'Aquila zu Schutt und Geröll wurde.
Früher sahen Besucher die Kirchtürme der Stadt schon von der Bundesstraße. Heute sind es zahlreiche Kräne, die in den Himmel ragen. Entlang der Vorstadtstraßen sieht man die Siedlungen, die nach dem Erdbeben schnell aufgebaut wurden. Manche sind bunt, mit Holzvertäfelungen an den Fassaden, andere trostlos grau. Keine Geschäfte, keine Cafés, geschweige denn eine "Piazza", einen Platz, wo sich seit eh und je das Leben in Italien abspielt: "Das hat sich alles in die Shopping Center verlagert", erzählt Francesca, eine 44-jährige Frau.
Sie ist eine zufällige Bekanntschaft, während eines Spaziergangs durch die Altstadt. Nach einem kurzen Wortwechsel schlägt Francesca vor, eine Spritztour nach Bazzano zu machen. In den Vorort, keine zehn Kilometer entfernt, wurde sie nach dem Erdbeben umgesiedelt. Zuerst müsse sie aber noch etwas im Garten ihres Hauses in der Altstadt erledigen. Vor einer Woche habe man ihr die Schlüssel wieder ausgehändigt und in ein paar Tagen werde sie wieder dort einziehen. "Als ich damals, vor zehn Jahren, in die neue Siedlung umziehen musste, bekam ich als Alleinstehende eine kleine, aber mit allem Komfort ausgestattete Wohnung: von den Bettlaken bis hin zur Geschirrspülmaschine. Sogar der Kühlschrank war voll". Für viele in der Stadt, die auch umgesiedelt wurden, war das mehr als sie je zuvor hatten. Trotzdem sei sie froh, wieder in ihr altes Zuhause zurückzudürfen. Auch wenn die Stadt nicht mehr die alte ist und noch immer auf die Rückkehr ihrer Bewohner wartet. Aber sie will positiv denken. Es ist ja nicht das erste Erdbeben, das L’Aquila erlebt hat. Schon 1465 und 1703 bebte es gewaltig und immer wieder rappelte man sich auf.
Nur wenige trauen sich in die Altstadt zurück
Geht man untertags durch die Gassen, Straßen, über die Plätze der Altstadt, hört man überall nur den Lärm der Bauarbeiten. Wohin man blickt, stehen Gerüste und sieht man Arbeiter am Werk. Es gibt aber auch schon viele sanierte, makellos verputzte Häuser und Geschäfte. Viele von ihnen stehen leer, wie an den "zu vermieten"- und "zu verkaufen"- Schildern zu sehen ist. Biegt man um die Ecke oder blickt man auf die gegenüberliegende Gassenseite, kann man das ganze Ausmaß der Schäden noch immer klar erkennen. Hier kollabierten Häuser, in denen noch ein Kleiderständer steht oder ein Sofa im Stockwerk einer Hausruine. Einst lebten in der Altstadt an die 8000 Menschen. Wie viele mittlerweile zurückgekommen sind, ist unbekannt, mit Sicherheit ist es aber nur ein Bruchteil.
Die Stadt will alle privaten Gebäude bis 2022 sanieren. Insgesamt 25 Milliarden soll der Wiederaufbau kosten und aus Geldern vom italienischen Staat und der EU bezahlt werden. Allein für die über 400 in der Altstadt unter Denkmalschutz stehenden Häuser wird die Sanierung aber mindestens weitere zehn Jahre dauern. Was nicht heißen soll, dass von den ehrwürdigen Bauten bis heute keines saniert wurde. Gleich an einer der Einfahrten zur Altstadt steht der Palazzo dell’Emiciclo, ein halbkreisförmiges Gebäude mit Logengang aus dem 19. Jahrhundert, in dem die Landesregierung Abruzzen ihren Sitz hat. Bei den Sanierungsarbeiten wurde die Grundfestung mit erdbebensicheren Isolationsplatten versehen.
Auch eines der Wahrzeichen der Stadt, die wunderschöne romanisch-frühgotische Basilika von Collemaggio mit ihrer "Schmuckkästchen"- Fassade und die aus dem 15. Jahrhundert stammende Basilika von San Bernardino zeigen sich wieder in ihrem einstigen Glanz. Am anderen Ende des zentralen Corso Vittorio Emanuele stößt man wiederum auf den Lichtbrunnen ("Fontana della Luce") und die nahegelegene Festungsanlage "Forte Spagnolo". Beide eingerahmt von der malerischen Kulisse des Gran Sasso Gebirges. Wobei die mittelalterlichen Festungsmauern dem Erdbeben weitaus besser standgehalten haben, als das Innere, wo sich einst das Landesmuseum befand. Und da die Stadt sowieso gerade großflächig saniert, wird außerdem ein unterirdischer Tunnel gebaut, durch den in Zukunft Elektrizität, Gas, Breitband und die Kanalisation geleitet werden. L’Aquila soll zum Vorzeigeprojekt einer modernen Smart City werden.
Historische Bauten werden jahrzehntelang saniert
"Dass es bei den historischen Bauten viel langsamer vorangeht hat mit den bürokratischen Hürden zu tun", erklärt Augusto Ciciotti. Der Beamte des Kulturministeriums, der die Sanierungsarbeiten am Stadttheater leitet, meint die vielen Genehmigungen, die man zuerst beantragen muss. Das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert wurde stark beschädigt. "Bei den Arbeiten haben wir im Foyer Stuckaturen entdeckt, die vorher nicht zu sehen waren" erzählt Ciciotti und zeigt auf die gewölbte himmelblaue Decke, wo ein Restaurator gerade die weißen Figuren freipinselt.
Eine Gruppe älterer Herren sieht zu, wie Arbeiter Pflöcke entlang des Festungsparks in die Erde rammen. Auf die Frage, ob sie an die Wiederauferstehung ihrer Stadt glauben, antworten sie alle überzeugt mit "Ja". Einer der Herren weist auf das Stadtwappen hin, das die Bewohner von L'Aquila daran erinnern soll, auch in schwierigen Zeiten standhaft zu bleiben: "Immota manet" - "Bleibt standhaft" steht dort in den Worten Vergils.
Quelle: ntv.de