Riskanter 30-Sekunden-Rausch Lachgas-Konsum ist alles andere als lustig
10.08.2024, 09:41 Uhr Artikel anhören
Lachgas hat sich zu einer Trenddroge bei Jugendlichen entwickelt.
(Foto: picture alliance / epd-bild)
Lachgas steht im Späti-Regal und sorgt bei TikTok für vermeintlich lustige Challenges. Dabei drohen besonders bei starkem Konsum dramatische Folgen. Nach Großbritannien und den Niederlanden steht nun auch in Deutschland ein Verbot bevor.
Ein junger Mann springt auf eine Couch, seine Freunde vor und hinter der Kamera feuern ihn an. Ihr Johlen wird lauter, während er an einem Luftballon zieht, und als er schließlich benommen vom Sofa taumelt, brechen sie lachend zusammen. Videos wie dieses machen seit Monaten auf Social-Media-Plattformen wie TikTok die Runde und befeuern die Debatte über den arglosen Umgang und die unterschätzten Gefahren der Substanz im Ballon: Lachgas.
Vornehmlich Jugendliche und junge Erwachsene inhalieren das Gas über Ballons, bestenfalls gefolgt von Lachen und einem kurzen Gefühl der Entrücktheit. Weniger lustig sind dagegen Nebenwirkungen wie Bewusstlosigkeit, akustische und visuelle Halluzinationen oder anhaltende Kopfschmerzen.
Lachgas ist eine chemische Verbindung aus Stickstoff und Sauerstoff, genannt Distickstoffmonoxid. Wegen seiner betäubenden Wirkung wurde es Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals in der Medizin für Narkosen eingesetzt. Eine längere Tradition hat es allerdings als Rauschmittel. Bereits kurz nach seiner Entdeckung in England in den 1770er Jahren machte es auf Partys der britischen Oberschicht als "Paradiesgas" die Runde. In den 1970er Jahren erfuhr es ein Revival auf Musikfestivals und war unter Hippies gefragt.
Die Popularität von Lachgas zeige sich historisch in Wellenbewegungen, sagt Heiko Bergmann vom Institut für Therapieforschung. "In den 1990er Jahren war es bei Raves beliebt, danach tauchte es für einige Jahre nur vereinzelt auf." Bergmann hat an einer im vergangenen April veröffentlichten "Trendspotter"-Erhebung für das National Early Warning System mitgewirkt. Das nationale Frühwarnsystem soll Trends beim Konsum psychoaktiver Substanzen aufspüren und einordnen.
Ballons liegen der Bestellung bei
Knapp drei Viertel der Befragten gaben an, nach dem Lachgas-Konsum kurzfristig unter Schwindel gelitten zu haben, fast ebenso viele spürten ein Kribbeln in den Fingern und Füßen. Mehr als die Hälfte beschrieben ein Gefühl der Verwirrtheit. Bei der Frage nach den Konsummotiven nannten sie die "positiven Wirkungen" und den Konsum ihrer Freunde. An dritter Stelle folgte die Verfügbarkeit.
Vor allem deshalb wird derzeit politisch über die Gefahren von Lachgas diskutiert. Die Gas-Kartuschen sind legal und können nahezu überall gekauft werden: im benachbarten Späti, bei Amazon - sogar in einem Snackautomaten sind sie schon aufgetaucht. Lachgas fällt bislang nicht unter das Betäubungsmittelgesetz und zählt somit zu den sogenannten Legal Highs. Das Geschäft ist im vergangenen Jahr rasant gewachsen.
Offiziell werden die Kartuschen als Nachfüllbehälter für Sahnespender beworben. Mit einem Kaffeekränzchen hat die Aufmachung der Stahlflaschen von Anbietern wie Exotic Whip allerdings wenig zu tun. Sie sind verziert mit Palmenmustern oder Kokosnüssen und ausgestattet mit einem Tragegriff. "Das Produkt ist ausschließlich für die Herstellung von Sahne-Produkten bestimmt und darf nicht anderweitig verwendet werden", steht auf der Seite eines Onlinehändlers - Ballons liegen der Bestellung praktischerweise trotzdem bei.
In Großbritannien war Lachgas die dritthäufigste Partydroge, in den Niederlanden unter Jugendlichen das am häufigsten konsumierte Rauschmittel - bis beide Länder Besitz und Verkauf für die private Nutzung 2023 verboten haben. Ein Verbot gilt auch in Belgien; Frankreich und Dänemark haben den Erwerb erschwert und den Verkauf an Jugendliche verboten.
Während das Bundesgesundheitsministerium vor einem Jahr lediglich auf die bestehenden Warnhinweise verwies, steht inzwischen auch in Deutschland ein Verbot bevor. Der Entwurf des Ministeriums sieht vor, Herstellung, Import und Handel sowie Erwerb und Besitz grundsätzlich zu untersagen. Ausgenommen sollen industrielle oder wissenschaftliche Anwendungen sein, etwa in der Landwirtschaft oder der chemischen Industrie. Nach der Sommerpause soll es so weit sein.
Dramatische Einzelfälle
Die Bewertung der tatsächlichen gesundheitlichen Gefahren durch Lachgas ist derweil schwierig. Einerseits spielt die Zahl der Schäden durch Lachgas im Vergleich zu anderen Drogen kaum eine Rolle. Laut der "Trendspotter"-Erhebung konnte die Annahme, dass die Folgen von Lachgas-Konsum in den neurologischen Kliniken ein großes Problem darstellten, in Befragungen der jeweiligen Einrichtungen nicht bestätigt werden. Ausländische Studien bezeichneten die Einnahme von kleinen Mengen sogar als verhältnismäßig sicher. Andererseits können die Folgen im Einzelfall gravierend sein.
Lediglich drei Konsumentinnen oder Konsumenten von Lachgas meldeten sich im Jahr 2020 bei der Beratungs-Hotline des Giftinformationszentrums Nord. "Im vergangenen Jahr waren es 19 und im laufenden Jahr auch bereits 19", sagt Andreas Schaper, Klinischer Toxikologe und Leiter des Zentrums. Da seine Einrichtung nur für die Bundesländer Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zuständig sei, könne bundesweit von einem ähnlichen Trend ausgegangen werden.
Die Anruferinnen und Anrufer hätten nach der Einnahme vor allem Sorgen vor Spätfolgen. Vereinzelt berichteten sie auch über neurologische Ausfälle. "Die Einnahme von Lachgas kann zu einem Mangel an Vitamin B12 führen, was zu einer Schädigung der Nerven und Müdigkeit oder Gefühlsverlust führen kann", erklärt Schaper.
Dünne Datenlage
Die Datenlage in Deutschland sei überschaubar, sagt Heiko Bergmann. "Wir gehen in der relevanten Gruppe junger Partygänger davon aus, dass fünf bis zehn Prozent in den letzten zwölf Monaten Lachgas konsumiert haben." Anzeichen deuteten zwar auf einen erhöhten Konsum unter Jugendlichen hin - wie stark dieser gestiegen sei, lasse sich jedoch nicht verifizieren. "Verglichen mit anderen Drogen spielt Lachgas eine eher untergeordnete Rolle, besonders bei Erwachsenen", sagt Bergmann. Auch schwere Fälle, die infolge des Lachgas-Konsums in Krankenhäusern behandelt würden, seien zu selten, um daraus eine dramatische Zunahme abzuleiten.
Ein Massenphänomen ist Lachgas in Deutschland demnach noch nicht. Zum Vergleich: Laut Statistischem Bundesamt wurden in Deutschland im Jahr 2021 rund 11.700 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und neunzehn Jahren wegen akuten Alkoholmissbrauchs stationär in einem Krankenhaus behandelt.
Dennoch drohen besonders bei exzessivem Lachgas-Konsum schwere gesundheitliche Folgen. Wegen der kurzen Wirkung ist die Verlockung groß, schnell den nächsten Ballon zu füllen. Neurologen warnen vor nachhaltigen Nervenschäden insbesondere bei Jugendlichen, deren Nervensystem anfälliger ist. Studien aus Frankreich oder England berichten von Konsumenten mit Schädigungen der Nerven im Rückenmark, die längere Zeit im Rollstuhl saßen. Auch Todesfälle durch Ersticken sind dokumentiert, allerdings in Kombination mit einer Maske oder Plastiktüte über dem Kopf, um den Sauerstoffmangel zu verstärken.
Quelle: ntv.de