Babyklappen in DeutschlandNicht jede junge Mutter kennt Hilfsangebot

Rund 90 Babyklappen gibt es in Deutschland. Die Angebote sollen verzweifelten Müttern helfen und das Leben ihrer Kinder retten. Doch nicht jedes ungewollte Kind wird auch dort abgelegt, dabei muss die Entscheidung nicht endgültig sein.
"Mia" lag tot zwischen Altkleidern. Entdeckt von Mitarbeitern einer Sortieranlage im polnischen Kielce. Die abgelegte Kleidung mit der Leiche des neugeborenen Kindes kam aus einem Sammelcontainer in Duisburg. Die Polizei in der Ruhrgebietsstadt gab dem Kind den Namen "Mia". Ein halbes Jahr danach ist immer noch unbekannt, wer die Mutter ist und unter welchen Umständen das Baby in den Container kam.
Fest steht: Nach der Geburt hat es noch gelebt. In die 2001 eingerichtete Duisburger Babyklappe war das Mädchen nicht gelegt worden. Vielleicht wusste die Mutter gar nicht, dass es diese Einrichtung gibt. Kannte sie die Möglichkeit einer "vertraulichen Geburt"? War sie überhaupt in der Lage, eine überlegte Entscheidung zu treffen?
Ausgesetzte Babys haben kaum Überlebenschancen
Besuch in der Helios St. Johannes Klinik im Norden Duisburgs. Kinderarzt Peter Seiffert ist Chef der Kinderklinik. 2001 hat der Mediziner maßgeblich dafür gesorgt, dass dort eine Babyklappe eingerichtet wurde. Es war eine der ersten in Deutschland. "Das oberste ärztliche Gebot ist es, Leben zu bewahren", sagt er. "Wir können es nicht ertragen, dass an sich gesunde Kinder nur deswegen sterben, weil ihnen Wärme und was zu Trinken gefehlt haben." Draußen ausgesetzte Kinder könnten im Winter wegen der Kälte nur etwa eine Stunde überleben.
Seiffert versteht die Babyklappe als zusätzliches Angebot etwa neben der vertraulichen Geburt, die seit 2014 gesetzlich geregelt ist. Sie sichert Müttern nach der Geburt 16 Jahre lang Anonymität zu. Im Blick hat Seiffert vor allem Frauen, "die schwanger sind, ohne es zu wissen oder es wissen zu wollen". Die Kinder würden oft unerwartet geboren. In solch einer "Schocksituation" würden sie dann ausgesetzt. Eine Babyklappe gebe den Neugeborenen eine Chance weiterzuleben. 2004 wurde das erste Kind in die Duisburger Klappe gelegt. Mittlerweile wurden schon 21 Neugeborene dort aufgefunden. Mit Hilfe eines Codeworts konnten insgesamt drei Kinder wieder mit ihren Müttern zusammengebracht werden. Zu drei weiteren Müttern gebe es einen Kontakt, sagt der Arzt.
Brief mit Codewort liegt bereit
Die Babyklappe in Duisburg ist eigentlich eine kleine Tür. Dahinter steht ein Wärmebettchen. In einer Ecke liegt ein weiches Stofftier. Auf einem Klemmbrett ist ein Zettel befestigt: "Der Vorname des Kindes lautet:..." steht groß darauf. Ein Umschlag enthält einen Infobrief. In zehn Sprachen steht darin, was mit dem Kind geschieht, nachdem es abgelegt wurde. "Dort ist auch das Codewort drin", sagt Seiffert. Damit kann die Mutter auch später noch zweifelsfrei ihr Kind identifizieren.
Die Klappe ist in eine ausgeklügelte Logistik eingebettet: 30 Sekunden nach Schließen der Tür wird diese verriegelt. Kein anderer kann so das eben abgelegte Baby entführen. Zwei Minuten nach Schließen der Tür wird auf der Neugeborenen-Intensivstation ein paar Stockwerke höher ein Alarm ausgelöst. Gleichzeitig schaltet sich eine Videokamera ein, die ein Livebild auf die Station sendet. Liegt tatsächlich ein Baby in dem Wärmebettchen, wird es sofort von einer Kinderkrankenschwester geholt und versorgt.
Jede Woche wird die Technik überprüft. Aus Sicherheitsgründen inspizieren die Schwestern bei jedem Schichtwechsel auch die Umgebung der Klappe und schauen nach, ob dort vielleicht ein Baby abgelegt wurde. Es gibt keine offizielle Statistik, wie viele Babyklappen es in Deutschland gibt. Der Jugendhilfe-Träger Sternipark in Hamburg, der im April 2000 die erste Babyklappe in Deutschland öffnete, schätzt die Anzahl auf über 90. Auch zur Zahl der Kinder, die in solche Klappen gelegt wurden, gibt es nur ungefähre Angaben.
Manchmal helfen auch Babyklappen nicht
Eine Studie des Bundesfamilienministeriums errechnete anhand von Adoptionszahlen für 2016 bundesweit 151 Fälle von "anonymen Formen der Kindsabgabe". Zusammengefasst sind dabei allerdings Babyklappen, anonyme Geburten, anonyme Arm-in-Arm-Übergaben und Aussetzungen.
Die Existenz von Babyklappen helfen nicht jedem: So kritisiert etwa die Kinderhilfsorganisation Terre des Hommes, dass sich die Zahl der Kindstötungen durch die Existenz der Babyklappen nicht verringert habe. Auch sei es nur eine Behauptung, dass immer nur Mütter in Not ihre Kinder in die Klappen legten. Es sei auch schon mal ein behindertes Kind abgelegt worden, sagt der Sprecher von Terre des Hommes Deutschland, Michael Heuer.
In Duisburg hat der Fall "Mia" derweil eine Debatte über die Einrichtung einer zweiten Babyklappe, diesmal im Süden der Stadt, ausgelöst. Im April hatte eine Expertenrunde das empfohlen. Für Kinderarzt Seiffert gibt es keine Beweise, ob eine weitere Babyklappe im Fall "Mia" etwas geändert hätte. "Aber es hätte eine Chance bestanden, dieses Kind zu retten."