Der Weg zur Herdenimmunität So groß ist die Impfbereitschaft in Deutschland
29.07.2021, 10:56 UhrEine Impfung schützt vor schweren Krankheitsverläufen nach einer Corona-Infektion. Doch nicht jeder will sich das Vakzin spritzen lassen. Mit dem Corona-Monitor versuchen Forschende herauszufinden, wie die Impfkampagne trotzdem zum Erfolg werden kann.
Auf dem Weg zur Herdenimmunität spielt die Impfbereitschaft der Bevölkerung eine zentrale Rolle. Denn je mehr Menschen sich freiwillig gegen das Coronavirus impfen lassen, desto eher kann auf andere Schutzmaßnahmen wie Veranstaltungsverbote, Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht verzichtet werden.
Mit dem Covid-19 Snapshot Monitoring, kurz Cosmo, verschaffen sich Forschende der Uni Erfurt deshalb in regelmäßigen Abständen einen Überblick über die Stimmung in der Bevölkerung. In wöchentlichen Befragungen versuchen sie herauszufinden, was die Deutschen von der aktuellen Corona-Lage und den Maßnahmen halten - und sie fragen nach, wie die Menschen zum Thema Impfen stehen. Die folgende Grafik skizziert, wie sich die Impfbereitschaft unter den Befragten seit April 2020 entwickelt hat.
Für die Erhebung konnten die Befragten ihre Impfbereitschaft ("Würden Sie sich impfen lassen?") auf einer Skala von 1 ("auf keinen Fall") bis 7 ("auf jeden Fall") angeben. Der mittlere Wert 4 signalisiert demnach Unentschlossenheit. Der Anteil derjenigen, die einen höheren Zustimmungswert angegeben haben, wird zur Gruppe der grundsätzlich Impfbereiten zusammengefasst. Bereits geimpften Personen wird dabei maximale Impfbereitschaft unterstellt. Daraus ergibt sich der oben abgebildete Verlauf.
Unter den noch ungeimpften Personen hat die Impfbereitschaft hingegen zuletzt deutlich abgenommen, wie die untere Grafik zeigt. Dieser Trend ist nicht sonderlich überraschend und wird sich auch noch fortsetzen. Er deutet darauf hin, dass viele der grundsätzlich impfbereiten Personen schon mindestens einmal geimpft sind. Übrig bleiben am Ende nur noch diejenigen, die eine Impfung kategorisch ablehnen - die Zustimmungswerte sinken.
Zählt man jedoch diejenigen zusammen, die bereits geimpft sind oder sich noch impfen lassen wollen, ergibt sich eine potentiell zu erreichende Impfrate von fast 81 Prozent. Das ist mehr, als laut der Cosmo-Erhebung zu Beginn der Impfkampagne zu erwarten war. Zum Jahresbeginn lag der Anteil der Impfbereiten noch bei knapp über 60 Prozent.
Die Leute wollen sich impfen lassen - aber tun sie es auch?
Allerdings lassen sich die Ergebnisse der Online-Umfrage nur bedingt auf ganz Deutschland übertragen. Es handelt sich hierbei nur um Stichproben mit jeweils etwa 1.000 Probandinnen und Probanden zwischen 18 und 74 Jahren, die für die Teilnahme an der Studie bezahlt werden. Zwar haben sich die Forschenden um eine repräsentative Verteilung der Befragten bemüht. Trotzdem ist es gut möglich, dass die Meinungen bestimmter Milieus über- oder unterrepräsentiert werden.
Ob sich tatsächlich so viele Erwachsene impfen lassen, wie die Cosmo-Studie vermuten lässt, ist deshalb fraglich. Immerhin: Auch andere Erhebungen wie etwa die Covimo-Studie des RKI gehen von einer ähnlich hohen Impfbereitschaft aus. Nun gilt es, dieses Potenzial zu nutzen - nur wie? Denn seit einigen Wochen kommt die Impfkampagne in Deutschland nur schleppend voran.
Dabei dürfte auch die Verfügbarkeit von Impfterminen eine Rolle spielen. Niedrigschwellige Impfangebote - etwa an stark frequentierten Orten oder bei Veranstaltungen - könnten die Impfquote noch einmal deutlich voran bringen, hoffen Gesundheitsexperten. Schon jetzt rufen immer mehr Ärzte, Kommunen und sogar Unternehmen zu spontanen Impfaktionen auf, um verbliebene Impfstoffdosen unter die Leute zu bringen. Doch nicht immer ist die Resonanz so gut wie erhofft. Auch eine teilweise Impfpflicht, wie sie beispielsweise Frankreich eingeführt hat, wird in Deutschland kontrovers diskutiert (mehr dazu hier).
Mindestens 80 Prozent Impfquote lautet das erklärte Ziel
Ab welcher Impfquote die Pandemie zum Erliegen kommt, ist nicht ganz klar. Die Weltgesundheitsorganisation WHO nennt einen Anteil von mindestens 80 Prozent der Erwachsenen als Zielwert. Gerade unter dem Einfluss neuer, gefährlicherer Corona-Varianten kursieren jedoch unterschiedliche Schätzungen. So gibt es erste Hinweise, dass die bisher verfügbaren Vakzine zum Teil weniger effektiv vor einer Infektion mit der Delta-Variante schützen. Einige Experten sprechen sich deshalb dafür aus, auch die Impfkampagne in Deutschland möglichst bald auf Kinder und Jugendliche auszuweiten. Die Bundesregierung stellt dies für den Herbst in Aussicht. Bis dahin sollen alle impfwilligen Erwachsenen in Deutschland die Chance auf einen Impftermin gehabt haben.
Doch reicht das aus, um eine vierte Welle mit hohen Infektionszahlen, vielen Todesfällen und langfristigen Schäden zu verhindern? Selbst in Ländern wie Israel, die eine vergleichsweise hohe Impfquote aufweisen, sind Gesundheitsexperten alarmiert, wie schnell sich die Delta-Variante aktuell in der Bevölkerung ausbreitet. Bei sehr hohen Infektionszahlen steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass weitere gefährliche Mutationen auftreten.
Deutschland hat gerade einmal die Hälfte seiner Einwohnerinnen und Einwohner fertig geimpft (mehr zum Impffortschritt in Deutschland und der Welt hier). Trotzdem lässt sich schon jetzt eine gewisse Impfmüdigkeit beobachten. Arztpraxen und Impfzentren bleiben immer häufiger auf bereit gestellten Impfdosen sitzen, weil sich weniger Interessierte finden oder weil Patienten zum Teil nicht zum vereinbarten Termin erscheinen. Hinzu kommt, dass es viele Menschen gibt, die eine Impfung kategorisch ablehnen oder aus medizinischen oder anderen Gründen nicht geimpft werden können.
Sollte sich das Impftempo in Deutschland weiterhin verlangsamen und die Impfkampagne mittelfristig keine signifikanten Fortschritte mehr verzeichnen, könnte das mit Blick auf den Herbst und Winter zu einer erneuten Belastungsprobe im Gesundheitssystem führen. Um die noch ungeimpfte Bevölkerung von der Notwendigkeit beziehungsweise den Vorteilen einer Impfung zu überzeugen, sind möglicherweise zusätzliche Anreize nötig.
Vorbilder finden sich im Ausland: Einige Länder lassen die Impflinge zum Beispiel an Lotterien teilnehmen oder zahlen direkt eine kleine Prämie. Auch die Möglichkeit, Veranstaltungen oder Restaurants ohne vorherigen Test zu besuchen, könnte den einen oder anderen dazu motivieren, doch noch einen Impftermin zu vereinbaren. Vor allem aber sollte jedem klar sein: Wer sich nicht impfen lässt, setzt sich dem Risiko einer Infektion und einer schweren Krankheit aus. Und wenn die Fallzahlen weiter steigen, wird sich eine Ansteckung im weiteren Verlauf der Pandemie kaum vermeiden lassen.
Quelle: ntv.de