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Schauen, stören, helfen So zeigt man richtig Zivilcourage

Wer in einen gewaltsamen Streit eingreift, muss vor allem wissen, wen er schützen will und die Konfrontation mit dem Täter vermeiden. Immer wieder kommt es vor, dass couragierte Helfer selbst Opfer werden.

Wer in einen gewaltsamen Streit eingreift, muss vor allem wissen, wen er schützen will und die Konfrontation mit dem Täter vermeiden. Immer wieder kommt es vor, dass couragierte Helfer selbst Opfer werden.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wenn zwei sich streiten, hält man sich besser raus. Denn, wenn man zwischen die Fronten gerät, kann das richtig schief gehen. Oder doch nicht? Konflikttrainer Ralf Bongartz weiß, wie man Streitende richtig trennt.

Immer wieder bezahlen Menschen, die in einen Streit eingreifen, ihre Zivilcourage mit dem Leben, so wie Dominik Brunner oder Tuğçe Albayrak. "Mut zu zeigen ist gut", sagt Ralf Bongartz im Gespräch mit n-tv.de. Der frühere Polizist ist Trainer für Konfliktmanagement. Mit Mut allein solle man aber nicht in fremde Zwistigkeiten einsteigen, man brauche "auch ein Ziel, das könnte beispielweise der Schutz des Opfers sein und eine Berechtigung dazu". Dabei gelte das Prinzip: "Schützende Macht geht vor Eskalation gegen den Täter." Das heiße zum Beispiel, bewusst das Opfer zu schützen anstatt die Konfrontation mit dem Täter zu suchen.

Wie erhält man aber eine Berechtigung? Bei einem heftigen Streit sollte man zunächst selbst kurz innehalten und sich einen Überblick verschaffen, rät Bongartz. "Wer streitet sich, wie ist der Streit, wie verhalten sich andere Beobachter? Handelt es sich um eine echte Gefahr oder nicht? Ist es ein Beziehungsstreit, wirkt jemand besonders ängstlich oder eingeschüchtert und der andere besonders dominant? Bekommt man vielleicht Wortfetzen mit? Flüchten Menschen vom Ort?"

Nur wenn für einen der Streitenden deutlich erkennbar Lebensgefahr besteht, beispielsweise weil man sieht, jemand droht auf ein Bahngleis geschubst zu werden, ist ein sofortiges Eingreifen sinnvoll. In jedem anderen Fall habe man immer ein paar Sekunden Zeit, sich einen Überblick zu verschaffen, betont Bongartz. Dann könne man sich auch nach Verbündeten umschauen und mit anderen ein Team bilden, um einen gewaltfreien Widerstand zu leisten und ein mögliches Opfer aus einer Situation zu holen und es zu schützen.

Mit Fragen stören oder irritieren

Allerdings kann man allein durchaus schon etwas bewirken. Wichtig ist es dabei, die eskalierende Situation als erstes zu stören. Dazu reicht es bereits aus, stehen zu bleiben und hinzusehen oder von weitem zu rufen. In einem Fall misshandelte ein Vater offensichtlich sein Kind in der Fußgängerzone. "Der Vater hatte dem Kind den Arm verrenkt und das Kind schrie. Derjenige, der da eingeschritten ist, hat von acht, zehn Metern Entfernung aus gerufen: 'He, was machen Sie da?' Damit war die Szene gestört. Der Vater lief drohend auf den Intervenierenden zu, aber durch die Entfernung ist das auch wieder verlaufen." Oft reicht es schon, aus einer größeren Distanz laut zu rufen. Für denjenigen, der helfen will, ist dies zugleich eine der ungefährlichsten Arten, einzugreifen.

Geht man näher an eine Situation heran, sollte man unbedingt versuchen, "neutral zu intervenieren". Damit meint Bongartz, keine Polarisierung in die Situation zu bringen und dadurch den Gewaltpegel des Täters zu erhöhen, sondern sich nicht festzulegen, wen man für das Opfer und wen für den Täter hält. Er rät beispielsweise dazu, zu fragen: "Hallo, kann ich Ihnen helfen?" oder "Brauchen Sie Hilfe?" All das trifft natürlich nur auf Phasen zu, in denen noch keine direkte Gewalt stattfindet, sondern nur Provokationen, Bedrohungen oder Nötigungen.

Greife man beispielsweise so in den Streit zwischen einem Mann und einer Frau ein, könne es passieren, dass der Mann sagt: "Verpiss Dich!" Es könne aber auch sein, dass die Frau sagt: "Ich brauche Hilfe, ich kenne den Mann nicht." Ab da habe man eine starke Berechtigung einzugreifen, betont Bongartz. Jetzt könne man dem Mann sagen: "Gehen Sie, sofort!" oder man zieht das Opfer aus der Situation heraus oder steht ihm bei und ist damit "Zündfunke" für weitere Helfer.

Eine andere neutrale Form zu fragen, wäre es, einen sehr wütenden Konfliktpartner zu fragen: "Warum sind Sie eigentlich so sauer? Oder "Warum bedrohen Sie den Mann" oder "Was ist passiert, dass Sie die Frau beleidigen?" Auch diese Fragen können den Tatablauf stören, weil der Täter zumindest für Sekunden über eine Antwort nachdenkt. In der Praxis haben diese Fragen, so seltsam sie klingen, schon oft Tatabläufe unterbrochen. Außerdem lässt man auf diese Weise einem möglichen Täter mehr Möglichkeiten, aus der Situation herauszukommen, ohne sein Gesicht zu verlieren.

Tuğçe ließ sich zu Beleidigungen hinreißen

Schwieriger wird es, wenn bei einer Auseinandersetzung schon geschlagen wird oder Waffen ins Spiel kommen. Die Polizei rate in diesen Fällen von einem Eingreifen ab, so Bongartz. Er selbst kenne aber auch Fälle, "in denen das Opfer froh war, dass jemand etwas gemacht hat". Allerdings müsse man wissen, ob man sich das wirklich zutraue. "Wenn ich mich überfordert fühle und Angst habe, macht das keinen Sinn, mich in akute Gewalt einzumischen, dann sollte man sofort die 110 wählen und vor Ort bleiben, um möglichen Opfern zu helfen und als Zeuge zu dienen."

Was man auf jeden Fall vermeiden sollte, ist, selbst gewalttätig zu werden. Damit steigt nach Bongartz' Erfahrung die Gefahr, selbst in der Auseinandersetzung zum Opfer zu werden. So war es wohl im Fall von Dominik Brunner, der einen der Täter geschlagen hat und sich der Gruppe in den Weg stellte, als sie flüchten wollte. Tuğçe Albayrak hatte nach Bongartz' Einschätzung zunächst gut interveniert, sich dann aber nach Zeugenaussagen zu Beleidigungen hinreißen lassen. Sie hatte sich also gegen den Täter gewandt, anstatt die bedrängten Mädchen aus der Situation zu holen. In ihrem Fall war der Gesichtsverlust der Täter so groß, dass es nach der eigentlich geklärten Situation zu einer weiteren Auseinandersetzung kam. In diesem Fall hätte Tuğçe selbst geschützt und aus der Situation gebracht werden müssen, meint Bongartz.

Was aber, wenn man einen Streit beobachtet und sich all das einfach nicht traut? In diesem Fall rät Ralf Bongartz: "Bevor man gar nichts tut, sollte man lieber 110 wählen und drastisch schildern, was passiert."

Quelle: ntv.de

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