Historische Katastrophe Sturmflut vor 200 Jahren veränderte Nordseeküste
02.02.2025, 18:54 Uhr
Bis heute stand das Wasser nie höher.
(Foto: dpa)
Die Sturmflut von 1825 hinterlässt verheerende Spuren an der Nordseeküste. 800 Menschen sterben, 10.000 Häuser werden unbewohnbar. Noch heute prägt die Katastrophe den Küstenschutz.
Boy-Peter Andresen zeigt auf das alte Reetdachhaus auf der Hallig Langeneß. "Achtet da mal drauf." Der 84-Jährige weist auf die verschiedenen Jahreszahlen an den Seiten des Kapitän-Tadsen-Hauses auf der Ketelswarf. Der eine Hausteil ist von 1741, der andere wurde 1825 wieder aufgebaut. Nach der großen Sturmflut vom 3./4. Februar 1825, die auch unter den Namen Februarflut oder Halligflut in den Geschichtsbüchern Einzug fand.
Unten an der Warft steht ein großer Holzpfahl mit Pegelständen schwerer Sturmfluten. Der Wasserstand der Halligflut ist ganz oben.
Die Sturmflut markierte ein einschneidendes Ereignis für die Küstenregion. An der gesamten Nordseeküste von den Niederlanden über Deutschland bis nach Dänemark kamen rund 800 Menschen ums Leben, etwa 50.000 Nutztiere verendeten und rund 10.000 Häuser wurden unbewohnbar.
Das gehe aus Presseartikeln und Büchern hervor, die kurz nach der Katastrophe erschienen waren, sagt Heiko Suhr, Leiter der Landschaftsbibliothek der Ostfriesischen Landschaft in Aurich in Niedersachsen. Der Regionalverband organisiert zum Jahrestag eine Tagung rund um die Sturmflut 1825, die auch auf die Folgen für den Deichbau heute blickt.
Vollmond und Springtide verstärkten Sturmflut
Der Sturm begann bereits am Abend des 2. Februar 1825, wie das Nordfriisk Instituut mitteilt. "Der Vollmond und die damit verbundene Springflut verstärkten die sich abzeichnende Katastrophe; die Tiden liefen immer höher auf, bis in der nächsten Nacht schließlich Pellworm und Föhr weithin überspült wurden, auf Sylt und Amrum retteten sich die Menschen in die Dünen."
Besonders schwer wurden in Schleswig-Holstein die Halligen getroffen. Nach dem Ablaufen des Wassers waren nach Angaben des Nordfriisk Instituuts von 339 Häusern nur noch 27 bewohnbar, 79 hatten die extrem starken Wellen völlig zerstört. 74 Halligleute starben in den Fluten. Und von denen, die überlebten, waren viele hilfsbedürftig.
Auch fast die gesamte Küstenlinie Ostfrieslands sei von der Sturmflut 1825 getroffen worden, berichtet Suhr von der Ostfriesischen Landschaft. Anders als die Halligen in Nordfriesland wurden die meisten Ostfriesischen Inseln demnach nicht ganz so schlimm getroffen. Baltrum aber habe es richtig heftig getroffen. "Die Insel ist in zwei Teile zerfetzt worden", sagt der Historiker.
Heftig traf es auch das Festland. Dort brachen viele Deiche, Siele wurden zerstört und Städte wie Emden und Leer standen größtenteils unter Wasser. "Das kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen", sagt Suhr.
Nur ein original erhaltenes Hallighaus
Auf Langeneß führt Andresen seine Besucher ins Kapitän-Tadsen-Haus. Hier, im letzten original erhaltenen Hallighaus auf Langeneß, ist mittlerweile ein kleines Heimatmuseum untergebracht. Er blättert in einer von ihm verfassten Chronik zur Flut, die im Wohnraum auf einem mit Fliesen verzierten Tisch liegt. Auch die Familie des 84-Jährigen war von der Sturmflut 1825 betroffen. Sein Ur-Ur-Ur-Großvater kam damals ums Leben. Halliggeschichte ist Andresen wichtig.
In der Chronik ist der Schadenbericht von damals enthalten. "Das Haus (...) ist ganz von der Flut weggerissen und Alles, was in demselben befindlich gewesen ist, nebst 12 Schaafen verloren", heißt es an einer Stelle. Zum Verbleib einer 80-jährigen Bewohnerin eines anderen eingestürzten Hauses heißt es: "Die Besitzerin ist von den Fluthen weggespült und noch bisher nicht gefunden; man meint aber, daß sie auf Hooge angetrieben sei."
"Die Warften waren ja ganz niedrig, und die Häuser waren alle aus Lehm gemauert", sagt Andresen. Wer Glück gehabt habe und wo die Häuser in Ständerbauweise gebaut gewesen seien, die hätten auf dem Dachboden überlebt. Die Mauern seien unten weggespült worden, "aber das Dachgerüst stand, und da haben die überlebt".
Auch der reiche Broder Tadsen hat auf dem Heuboden seines Hauses mit seiner Familie überlebt, wie Andresen erzählt - wenn auch Dreiviertel des Hauses zusammengebrochen seien. Er hatte noch mehr Glück im Unglück: Er habe später seine Goldstücke wiedergefunden und sein Haus wieder aufbauen können, sagt Andresen.
Dramatische Folgen
Viele vor allem ärmere Menschen zogen indes auf die Inseln oder das Festland. Nach Angaben des Nordfriisk Instituuts zählte man 1769 noch mehr als 2000 Halligbewohnerinnen und -bewohner. 1835 waren es nur noch 695. Heute sind es etwa 300.
In Ostfriesland waren die Folgen für die Bauern, auf deren Flächen nun Salzwasser stand, dramatisch. "Die Ackergeräte waren weg, die Tiere waren tot, und die Ländereien waren landwirtschaftlich nicht mehr nutzbar", sagt Historiker Suhr. Viele Menschen seien daraufhin nach Amerika ausgewandert, das belegten Statistiken.
Die Sturmflut 1825 und die Schäden seien für die Küstenbewohner auch ein Signal gewesen, den Deichschutz zu professionalisieren, sagt Suhr. Bis dahin sei es hauptsächlich die Aufgabe von Landwirten gewesen. Jeder war für den Unterhalt seines Deichabschnitts verantwortlich. Bekannt ist nach diesem Spatenrecht auch der plattdeutsche Spruch: "Well nich will dieken, de mutt wieken." ("Wer nicht will deichen, der muss weichen.")
Immer wieder Landunter
Die verheerenden Folgen der Sturmflut hätten die Mentalität der Menschen nach 1825 geprägt, sagt Suhr. Küstenschutz sei stärker als dauerhafte, langfristige Aufgabe verstanden worden, die feste Strukturen brauche. Erstmals sei später auch der Meeresspiegel intensiver beobachtet worden.
Die nordfriesischen Halligen liegen weitgehend ungeschützt im Wattenmeer. Hohe Deiche sucht man hier vergebens. Die Häuser stehen zum Schutz vor den Fluten wie damals auf Warften, künstlichen Erdhügeln.
Mehrmals im Jahr heißt es bei Sturmflut "Landunter", dann werden die Halligen überschwemmt, die einzelnen Warften selbst zu kleinen Inseln. Mit Warftverstärkungen sollen die Halligen auch bei steigendem Meeresspiegel bewohnbar bleiben, wie die Bürgermeisterin von Oland-Langeneß, Heidi Petersen, sagt.
Mit den Wasserständen von 1825 hätte man kein größeres Problem mehr, sagt sie. Aber wenn die Wasserstände steigen, könne es "natürlich trotzdem zu Zerstörungen auf der Hallig führen". Man sei daher dabei, die Warften zu ertüchtigen - auch für neue, höhere Wasserstände, sagt Petersen. "Um eben so etwas zu verhindern."
Quelle: ntv.de, Birgitta von Gyldenfeldt und Lennart Stock, dpa