Panorama

Strafen für illegale Autorennen Wann werden Raser zu Mördern?

Seit 2017 drohen Teilnehmern an illegalen Autorennen bis zu zehn Jahre Haft.

Seit 2017 drohen Teilnehmern an illegalen Autorennen bis zu zehn Jahre Haft.

(Foto: picture alliance/dpa)

Zwei junge Männer liefern sich mit bis zu 170 km/h ein nächtliches Rennen. Ein unbeteiligter Rentner kommt dabei ums Leben. Das war Mord, urteilt das Berliner Landgericht - das erste Mal in einem Raser-Fall. Doch ist die Höchststrafe gerechtfertigt? Der Bundesgerichtshof steht vor einer schwierigen Entscheidung.

Die beiden Männer kennen sich eher flüchtig, als sie am 1. Februar 2016 auf dem Kurfürstendamm in ihren PS-starken Autos nebeneinander halten. Der eine lässt den Motor aufheulen, der andere nimmt die Herausforderung an. Mit Vollgas rasen sie die schnurgerade Strecke entlang, ohne Rücksicht auf Kreuzungen oder Ampeln. Ein Arzt im Ruhestand, der bei Grün die Straße kreuzen will, hat keine Überlebenschance. Das Auto des einen Rasers kracht mit fast 170 Kilometern je Stunde in den Jeep des Rentners und schleudert ihn 25 Meter weit durch die Luft. Der Mann stirbt noch am Unfallort.

Trümmerteile und Löschsand: Das Autorennen mit tödlichem Ausgang im Februar 2016 ging über den Kurfürstendamm und die Tauentzienstraße.

Trümmerteile und Löschsand: Das Autorennen mit tödlichem Ausgang im Februar 2016 ging über den Kurfürstendamm und die Tauentzienstraße.

(Foto: picture alliance/dpa)

Gegen die zwei "Ku'damm-Raser" urteilte das Berliner Landgericht 2017 in einem aufsehenerregenden Prozess zum ersten Mal wegen Mordes und verhängt die Höchststrafe: lebenslänglich. Die beiden jungen Männer hätten mit bedingtem Vorsatz den Tod von Passanten in Kauf genommen, hieß es in der Begründung. Ein ungewöhnlich hartes Urteil, mit dem die Berliner Kammer deutsche Rechtsgeschichte schrieb. Nie zuvor waren Beteiligte an einem illegalen und tödlich endenden Autorennen wegen Mordes verurteilt worden. Doch nur ein Jahr später hoben die obersten Strafrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) das Urteil vollständig auf. Das, was sich diesem 1. Februar 2016 kurz nach Mitternacht abgespielt hat, ist entsetzlich. Aber rechtfertigt es eine Verurteilung als Mörder?

Für eine Verurteilung wegen Mordes ist nämlich vor allem eines entscheidend: Der Täter muss zum Tatzeitpunkt, also während der Fahrt, einen sogenannten Tötungsvorsatz gehabt haben. Das bedeutet nicht unbedingt, dass er den Tod gewollt haben muss, also absichtlich tötet. Er muss aber den Tod zumindest billigend in Kauf genommen haben.

Ob der Raser tatsächlich gewissenlos gehandelt hat, ist allerdings nur sehr schwer herauszufinden - wie auch im Fall eines 21-jährigen Angeklagten, der im März 2019 zwei junge Menschen totfuhr. Mit rund 160 Kilometern pro Stunde raste der junge Mann in Stuttgart Richtung Innenstadt. Plötzlich verlor er die Kontrolle über seinen gemieteten 550 PS starken Jaguar und krachte in einen abbiegenden Kleinwagen - beide Insassen starben sofort. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hatte eine Verurteilung wegen Mordes gefordert. Die Richterin nannte das Fehlverhalten des 21-Jährigen "eine hirnlose Raserei" - entschied aber am Ende: "Dass Sie ein Mörder sind, konnten wir nicht feststellen."

Vorsatz oder Fahrlässigkeit?

"Die Schwierigkeit bei solchen Fällen ist immer, dass man von äußeren Merkmalen einer Tat auf die inneren Beweggründe schließen muss", sagt Verkehrspsychologe Jens Schade im Gespräch mit ntv.de. "Jeder, der sich in ein Auto setzt, nimmt in Kauf, dass er eine andere Person verletzen kann." Wer beispielsweise am Steuer zu seinem Handy greift, müsste eigentlich wissen, dass da etwas passieren könne, sagt der Professor an der TU Dresden. "Wenn man dann ein Kind überfährt, ist es ein Unglück." Und das werde vergleichsweise gering bestraft.

"Maßgeblich sind jeweils die Umstände des Einzelfalls", sagte die Vorsitzende Richterin Beate Sost-Scheible am BGH zu dem Berliner Raserfall. Die Richter müssen sich immer fragen: Was haben die Täter in diesem konkreten Fall gedacht? Deshalb ist es nicht möglich, zu sagen, dass ein Todesfall durch Rasen immer oder auch nie ein Mord ist.

Bei der strafrechtlichen Aufarbeitung von Raserunfällen mit Todesopfern haben deutsche Gerichte in den vergangenen Jahren sehr unterschiedlich geurteilt. Die Strafen reichen von vergleichsweise kurzen Haftstrafen wegen fahrlässiger Tötung bis hin zu lebenslänglich wegen Mordes. So haben die obersten Strafrichter am BGH in einem Hamburger Raserfall eine Verurteilung wegen Mordes 2019 erstmals bestätigt. Allerdings war der Fall hier anders gelagert. Ein Mann hatte betrunken ein Auto gestohlen, war damit vor der Polizei geflüchtet und bewusst auf die Gegenfahrbahn gefahren, wo es zum tödlichen Unfall kam. Das Landgericht sah den Vorsatz darin, dass ihm das Leben anderer und auch das eigene Leben völlig gleichgültig waren.

Von fahrlässiger Tötung ging dagegen das Landgericht Köln bei einem Prozess gegen zwei Raser aus. Sie hatten sich im April 2015 ein Rennen geliefert, bei dem eine 19-jährige Fahrradfahrerin ums Leben kam. Im April 2016 verurteilte das Gericht die Männer zu zwei Jahren beziehungsweise 21 Monaten Haft - und setze die Strafen zugleich zur Bewährung aus. Die Höhe der Strafen beanstandete der BGH zwar nicht, hob aber deren Aussetzung zur Bewährung auf.

"Menschen sterben oder werden verletzt"

Zurück in Berlin: Am Donnerstag muss der BGH bereits zum zweiten Mal über die Frage entscheiden, ob die beiden "Ku'damm-Raser" nun Mörder sind oder nicht. Das Urteil dürfte eine Signalwirkung für die Behandlung von künftigen Raser-Fällen haben, insbesondere zur schwierigen Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit.

Vor dem aufsehenerregenden Prozess in Berlin lautete in Raser-Fällen mit tödlichem Ausgang das Urteil oft auf fahrlässige Tötung. Höchststrafe: fünf Jahre. Manches Mal fielen die Urteile deutlich milder aus, Strafen von bis zu zwei Jahren wurden wie in Köln sogar zur Bewährung ausgesetzt. "Jedes Jahr verzeichnen wir rund 3000 Verkehrstote und Hunderttausende Verletzte", gibt Verkehrspsychologe Schade zu bedenken. Im europäischen Vergleich seien die Strafen für Raser hierzulande jedoch eher milde. Doch das ändere sich allmählich. Aus seiner Sicht vollkommen zu Recht. "Die Konsequenzen sind einfach zu groß", da Menschen sterben oder verletzt werden, so Schade. Härtere Strafen für Raser seien daher "eine notwendige Entwicklung".

Die Politik hatte bereits 2017 auf den Fall der "Ku'damm-Raser" mit einer Gesetzesänderung reagiert. Nach Paragraf 315d des Strafgesetzbuches drohen nun Teilnehmern an "verbotenen Kraftfahrzeugrennen", bei denen andere Menschen sterben "oder eine schwere Gesundheitsschädigung" davontragen, nun bis zu zehn Jahre Haft. Für den Berliner Fall kommt der neue Straftatbestand allerdings zu spät.

Quelle: ntv.de

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