Panorama

Virologe Stürmer über Fußball-EM"Weiß nicht, wie das funktionieren soll"

28.06.2021, 15:56 Uhr
Virologe-Martin-Stuermer-steht-in-seinem-Labor
Dr. Martin Stürmer ist Laborleiter im IMD Labor Frankfurt. (Foto: Stürmer/privat/dpa/Archivbild)

Die Zahl der Neuinfektionen ist in Deutschland so niedrig wie seit einem Jahr nicht mehr - und doch warnen mehr und mehr Fachleute vor der Delta-Variante und einer vierten Welle im Herbst. Der Virologe Martin Stürmer sagt, was Urlaubsrückkehrer nun beachten sollten.

Die Zahl der Neuinfektionen ist in Deutschland so niedrig wie seit einem Jahr nicht mehr - und doch warnen mehr und mehr Fachleute vor der Delta-Variante und einer vierten Welle im Herbst. Der Virologe Martin Stürmer sagt, was Urlaubsrückkehrer nun beachten sollten.

ntv: Portugal ist jetzt zum Virusvariantengebiet erklärt worden. Urlauber, die aus dem Land zurückkehren wollen, müssen aber erst ab Dienstag in Quarantäne. Was für eine Gefahr droht uns jetzt aus Ländern wie Portugal oder Großbritannien?

Martin Stürmer: Wir haben die Delta-Variante schon bei uns im Land. Das ist, glaube ich, jedem klar. Wir haben sie aber in sehr kleiner Fallzahl. Auch wenn sie sich prozentual ausbreitet, ist die absolute Zahl doch relativ gering. Man möchte jetzt vermeiden, dass Infektionsherde losgetreten, Infektionsketten ausgelöst werden, durch Rückkehrer aus Hochrisikoländern, wo diese Variante sich eben deutlich effektiver und deutlich massiver ausbreitet als bei uns. Wir wollen die Zahlen so lange wie möglich so gering wie möglich halten.

Wie schaffen wir das denn?

Die Reiserückkehrer sind natürlich eine Baustelle, bei der es im Prinzip darum geht, das Eindringen der Variante zu verhindern. Aber wir müssen natürlich auch im Land selber dafür sorgen, dass keine neuen Infektionsherde losgetreten werden. Insofern ist die Diskussion über weitere Lockerungsschritte, gerade im Inneren, eher kontraproduktiv im Kontext der Delta-Variante. Also gerade dort sollte man tunlichst zusehen, dass wir weiter unsere Maßnahmen, die sich bewährt haben, aufrechterhalten.

Was können wir denn bei den Reisen tun, damit nicht so viele Rückkehrer die Variante zurückbringen? Kann man da beispielsweise von schärferen Einreisekontrollen sprechen?

Es ist ja jetzt schon vorgesehen, dass Rückkehrer aus diesen Variantengebieten 14 Tage in Quarantäne gehen. Ich denke, wir müssen uns einfach bewusst machen, dass das Risiko, eine gefährliche Variante aus den Gefahrengebieten einzuschleppen, natürlich am höchsten ist. Ich bin dafür, dass wir grundsätzlich Reiserückkehrer kontrollieren. Das ist das Mindeste, was man machen sollte. Optimal ist natürlich eine Kurzquarantäne, verbunden mit zwei Tests, einmal vor der Einreise, einmal fünf Tage danach. Da hat man schon das Gröbste weggefangen. Und aus den Hochrisikogebieten ist die 14-Tage-Quarantäne natürlich das Maß der Dinge, um eine relativ hohe Sicherheit zu bekommen.

In Großbritannien und auch Israel infizieren sich auch viele ungeimpfte Kinder und Jugendliche mit der Delta-Mutation. Müssen wir uns darauf einstellen, dass das auch bald bei uns der Fall sein wird?

Das Problem ist, dass natürlich die Ungeimpften immer noch das Hauptziel dieser Virusvarianten sind, weil die sich am einfachsten infizieren können. Und jetzt, da wir die ältere Bevölkerung sukzessive geimpft haben, bleiben nur noch die Jugendlichen und die Kinder übrig. Dementsprechend sind das diejenigen, die sich anstecken werden. Es ist ganz wichtig, dass wir unser Hauptaugenmerk auf die Kinder und Jugendlichen legen, um zu verhindern, dass es zu massiven Ausbrüchen kommt. Impfen ist die eine Strategie. Wir haben aber nur zugelassene Impfstoffe für 12 aufwärts - für die unter 12-Jährigen haben wir noch nichts. Insofern ist es müßig jetzt darüber zu diskutieren, ob wir Kinder oder Jugendliche impfen sollten. Ich würde im Augenblick mehr Energie darauf verwenden, die Älteren konsequenter zu impfen und die Kinder durch gezielte Teststrategien in den Schulen und Kindergärten deutlich sicherer zu machen.

Es hieß erst immer, das Coronavirus ist für Kinder und Jugendliche gar nicht so gefährlich, da gibt es eher milde Verläufe. Wie gefährlich ist denn jetzt die Delta-Variante für diese Altersgruppe?

Ich glaube dafür ist es zu früh, um ein abschließendes Urteil fällen zu können, inwieweit tatsächlich mehr schwerere Verläufe, auch bei Kindern und Jugendlichen, zu sehen sind. Grundsätzlich geht es mir darum, Infektionen zu vermeiden. Es ist ganz wichtig, auch wenn wir jetzt in der Akutphase relativ wenig schwere Verläufe bei den Kindern sehen, trotzdem da sehr, sehr genau hinzuschauen und Infektionen zu vermeiden, wo es eben geht. Damit wir uns nicht hinterher vorwerfen lassen müssen, wir hätten zu wenig für unsere Kinder getan.

Der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister, Clemens Hoch, bringt jetzt einen Diskothekenbesuch nur noch für Geimpfte ins Spiel. Kann man so einen Anreiz schaffen für noch junge, unentschlossene Menschen?

Wir sollten jetzt nicht anfangen, Menschen über irgendwelche Boni zu motivieren, sich impfen zu lassen. Es hinterlässt immer so ein bisschen einen faden Beigeschmack, dass man die Leute über eine Hintertür zu den Impfungen zwingt. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass Impfen immer etwas Freiwilliges sein sollte. Wir müssen einfach die Menschen aufklären, was es für sie selber bringt und was es eben auch für die Gesellschaft bringt, wenn man sich impfen lässt. Da würde ich meine Energie drauf verwenden, und nicht für andere Dinge.

Werfen wir noch einen Blick auf die Fußball-EM. Da reisen gerade viele Menschen durch ganz Europa. Claudia Roth findet das nur noch irre. Sind Sie Fußballfan? Wie sehen Sie das Ganze?

Ich bin Fußballfan. Ich schau auch, wenn es geht, jedes Spiel, und natürlich, wenn man sich zurückdenkt, dann freut man sich, wenn die Stadien voll sind und ordentlich Atmosphäre und Stimmung gemacht wird. Aber wenn ich jetzt zu dieser Zeit volle Stadien sehe, dann habe ich schon ein ganz, ganz komisches Gefühl. Da ist zu viel Normalität drin. Da wird zu viel Normalität vermittelt. Das Virus ist immer noch unter uns und es kann jederzeit wieder zu massiven Ausbrüchen kommen. Und wenn ich gerade nach Großbritannien schaue, wo die Delta-Variante eben doch deutlich auf dem Vormarsch ist, die Inzidenzen entsprechend hoch sind, und dann höre ich, dass Fußballspiele mit vollen Stadien dort stattfinden sollen - dann weiß ich nicht, wie das Ganze gut funktionieren soll.

Mit dem Virologen Martin Stürmer sprach Nele Balgo

Quelle: ntv.de

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