
1999 wurden zehn Bären im Trentino angesiedelt, heute sollen es 120 sein.
(Foto: picture alliance / ROPI)
Vor rund 25 Jahren wurden im Trentino Bären ausgewildert, damit die Region wieder Heimat der Tiere wird. Nach dem tödlichen Unfall im vergangenen Jahr will die Provinzverwaltung einige der Bären nun töten. Für M90 schlug jetzt die letzte Stunde.
Von den offiziell 120 im norditalienischen Trentino lebenden Bären will die Provinzverwaltung in den nächsten zwei Jahren 16 erlegen. Sie wurden als gefährlich eingestuft. Einen hat es am Dienstagnachmittag erwischt. Die Rede ist vom Bären M90. Der rechtspopulistische Lega-Landeshauptmann und Präsident der Region, Maurizio Fugatti, will mit allen Mitteln eine Tragödie wie die im vorigen Jahr vermeiden. Am 5. April 2023 hatte Bärin JJ4-Gaia den 26-jährigen Andrea Papi, der durch den Wald joggte, angegriffen und tödlich verletzt. Überhaupt seien die Bären im Trient mittlerweile zu viele und man könne die Sicherheit der Bevölkerung nicht mehr gewährleisten, heißt es immer wieder seitens der amtierenden Politiker.
Eigentlich müssten Bären zu dieser Jahreszeit noch im Winterschlaf sein. Bei den hohen Temperaturen fällt der aber bei manchen Artgenossen anscheinend aus, wie im Fall von M90, der am Dienstag im Tal Val di Sole erschossen wurde. Die Buchstaben in der Bezeichnung der Bären stehen übrigens für die Abstammung, die Zahlen für die Reihenfolge der Geburt der Tiere.
M90 hatte sich mehrmals bewohnten Gebieten genähert. Seine Bewegungen wurden über das Sendehalsband verfolgt, das ihm als einem von wenigen Bären angelegt worden war. Schäden soll er keine angerichtet haben, schreibt die Tageszeitung "La Stampa". Da er sich aber immer wieder in der Nähe von Menschen aufhielt, wurde er vom Institut für Umweltschutz und Forschung ISPRA auf einer Gefährlichkeitsskala von 0 bis 16 auf einer 13 eingestuft. Außerdem wurde zur schnellstmöglichen Tötung geraten. Das drastische Urteil wurde nicht weiter erklärt.
Umweltminister ist irritiert
Bei der Bärin JJ4, die den Jogger tödlich angegriffen hatte, wurden zuerst ihre Jungen eingefangen, dann sie. Seitdem befindet sich die Bärin eingesperrt in einem Bärengehege bei Casser, einer Gemeinde unweit der Landeshauptstadt Trient. Anfangs hieß es, sie solle erlegt werden, am Ende setzten sich aber die Urteile gegen die Tötung durch.
M90 hatte weniger Glück. Der Empfehlung des Forschungsinstituts ISPRA folgte Fugatti auch wegen einer Begebenheit vom 28. Januar. An dem Tag war M90 für längere Zeit einem Paar gefolgt, das durch die Wälder der Val di Sole wanderte und über die Begegnung mit dem Tier und dessen Verhalten zutiefst verängstigt war.
Tierschützer haben gegen die Erlegung des Tieres vehement protestiert und Demonstrationen für Samstag sowie gerichtliche Schritte auf EU-Ebene angekündigt. "Damit Hinrichtungen dieser Art nicht mehr stattfinden", heißt es in einer ihrer Mitteilungen. Außerdem beschuldigen sie Fugatti, eine Art Nacht-und-Nebel-Aktion durchgezogen zu haben: Die amtliche Bewilligung, das Tier zu töten, erfolgte fast zeitgleich mit der Erlegung des Bären. Ein gewiefter Zug, so die Tierschützer, damit sie anders als im Fall JJ4 nicht die Zeit hatten, Berufung einzulegen.
Mit der Kritik der Tierschützer rechnet man in solchen Fällen, nicht aber mit der des Umweltministers Gilberto Pichetto Fratin, der zur in Rom regierenden rechten Koalition gehört. Der Minister zeigte sich irritiert und sagte den Medien: "Die Tötung des Tieres kann nicht die einzige Lösung sein, sondern nur die gezwungene Ausnahme." Man müsse alles unternehmen, um ein friedliches und sicheres Nebeneinander zwischen Mensch und Tier zu gewährleisten, mahnte Fratin.
Landeshauptmann Fugatti verweist gerne auf das Urteil des Forschungsinstituts. Er zitiere aber nur einen Teil der Schlussfolgerungen, heißt es in den Medien. Die Fachleute von ISPRA haben nämlich neben der Gefahr, die M90 darstellte, auch auf die Versäumnisse der Provinzverwaltung in Sachen Prävention hingewiesen. Zum Beispiel, dass in den Tälern der Brenta Dolomiten, wo sich die meisten Bären aufhalten, noch immer viel zu selten Anti-Bären-Mülltonnen zu finden seien. Diese Tonnen haben eine doppelte Funktion: Die Tiere schaffen es nicht, sie zu zerstören, was dazu führt, dass sie sich nicht an den Abfall der Menschen als Nahrung gewöhnen. Außerdem lässt laut ISPRA auch die Aufklärung der Bevölkerung - zum Beispiel, wie man sich bei einer Begegnung mit einem Bären verhalten sollte - noch sehr zu wünschen übrig.
Keine niedlichen Zeichentrickfiguren
Einer, für den Fugattis Handeln rechtens war, ist Luigi Boitano, der in Italien zu den angesehensten Zoologen mit Fachkenntnissen im Bereich Wildtieren zählt. In einem Interview mit "La Repubblica" hob Boitano hervor, dass Fugatti den Entschluss anhand eines wissenschaftlichen Gutachtens gefasst habe und er der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde. Was seiner Meinung nach bemerkenswert war: "Voriges Jahr sind im Trentino sieben Bären gestorben. Offiziell aus unbekannten Gründen", erzählte er der Zeitung. "Es ist aber nicht schwer, sich auszudenken, dass der eine oder andere die bürokratischen Hürden und Verzögerungen leid war und selbst zur Waffe gegriffen hat", schlussfolgerte der Zoologe.
Der Geologe und Naturwissenschaftler Mario Tozzi schrieb stattdessen in einem Kommentar: "Ich kann es nicht fassen. Zuerst befürwortet man ein Projekt zur Wiedereinführung großer Raubtiere, dann erwartet man aber anscheinend, dass sich die Bären wie der fiktive Balu in der Dschungelbuch-Verfilmung benehmen."
Mit dem Projekt meint Tozzi das europäische "Life Ursus" aus dem Jahr 1999. Damals wurden im Trentino zehn Bären aus Slowenien ausgewildert. 2004 endete das Projekt, wie Andrea Mustoni, ehemaliger Koordinator des Auswilderungsprojektes, in dem sehenswerten Dokumentarfilm "Gefahr durch Bären. Ausbreitung auf leisen Sohlen" von Francesca Capozzi erklärt. "Das Management wurde dann von dem Forstdienst der autonomen Provinz Trient übernommen, aber nicht richtig weitergeführt." Doch das Problem löst sich weder durch gegenseitige Schuldzuweisungen noch durch die Tötung der Tiere.
Quelle: ntv.de