Panorama

Risikowahrnehmung der Pandemie Wie lässt sich die Impfquote steigern?

Die Pandemie der Ungeimpften rollt. Die langfristige Lösung ist einfach: mehr impfen. Doch Deutschland impft schon seit fast einem Jahr - und kommt nicht weiter. 2G und die Impfpflicht könnten die Lösung sein. Aber sie sind nicht die einzigen Optionen.

Mehr als 50.000 Neuinfektionen: Eine Zahl, die es seit Beginn der Pandemie nicht gegeben hat. Am Donnerstag erreicht Deutschland diesen Negativrekord. Wie konnte das trotz Impfung passieren? Seit Wochen sprechen Mediziner, Politiker und Virologen von einer "Pandemie der Ungeimpften". Schaut man in Länder wie Spanien, sieht man Zahlen, von denen Deutschland im Moment nur träumen kann - 6461 Neuinfektionen heute. Betrachtet man die Impfquote in dem südeuropäischen Land, versteht man warum: 80 Prozent der Spanier sind geimpft - rund 67 Prozent der Deutschen haben einen vollen Impfschutz. Wie kommen wir also aus dieser Pandemie der Ungeimpften raus?

Die Antwort scheint einfach zu sein: Indem die restlichen 33 Prozent sich impfen lassen. Impfbusse, mobile Impfteams, Impfstationen bei Ikea oder auf dem Supermarktparkplatz reichen offenbar nicht aus. Denn seit fast einem Jahr wird in Deutschland geimpft, und trotzdem rollt eine Corona-Welle mit solcher Wucht über das Land, dass Virologen wieder einmal zum Lockdown aufrufen. Doch bevor die Schulen, Cafés und Büros wieder schließen, könnten die Ergebnisse der "Covid-19 Snapshot Monitoring"-Studie (COSMO) Hinweise auf alternative Maßnahmen liefern.

Aufklärung leisten

Die Ergebnisse der jüngsten Datenerhebung der COSMO-Studie vom 2. und 3. November zeigen, dass Impfverweigerer sich vor allem aus zwei Gründen nicht impfen lassen. Zum einen ist das Vertrauen in die Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs bei den Nichtgeimpften sehr gering. Das heißt, sie wägen ab, wie oft Impfdurchbrüche auftreten oder wie oft Menschen an Nebenwirkungen leiden. Der zweite Grund ist die Risikowahrnehmung. "Wenn Leute fälschlicherweise davon ausgehen, dass man sich überhaupt nicht anstecken kann - und wenn doch, dann nur mit einer kleinen Erkältung -, dann lassen sie sich nicht impfen", sagt Sarah Eitze, wissenschaftliche Mitarbeiterin im COSMO-Projekt an der Universität Erfurt, im Gespräch mit ntv.de. Steigt also die Risikowahrnehmung, lassen sich die Menschen eher impfen.

Die Abwägung zwischen Impfstoffnebenwirkungen und dem Risiko einer Corona-Infektion wird von Impfverweigerern falsch eingeschätzt. Daher sehen die Forscher der COSMO-Studie dringenden Aufklärungsbedarf - und zwar nicht nur durch die Medien oder Politiker. Ärzte müssten dabei unterstützt werden, Falschinformationen zu korrigieren. "Ärzte sind nicht nur Gesundheitsexperten, sondern auch persönliche Experten für Menschen, die Sorgen haben", sagt Eitze. "Sie sind besser in der Lage, individuelle Beratung zu geben."

Auch der Berliner Charité-Virologe Christian Drosten fordert einen leichteren Zugang zur Aufklärung, aber auch zur Impfung. Die Spritze müsse in Schulen, an den Arbeitsplatz oder in den Supermarkt gebracht werden. Menschen mit Migrationshintergrund müssten in ihrer Muttersprache erreicht werden. "Die Impfung muss gezielt zu denen hingebracht werden", sagte er im Podcast "Das Coronavirus-Update" von NDR Info.

Die 2G-Regel

Aber das reicht möglicherweise nicht mehr aus. Schließlich sind die Hürden für Impfwillige bereits sehr niedrig, und dennoch gerät die Impfkampagne ins Stocken. Der COSMO-Studie zufolge erhöhen zwar weder eine Impfpflicht, ein Lockdown für Ungeimpfte noch eine nachrangige Intensivbehandlung für Ungeimpfte die Impfbereitschaft. Daten aus Österreich zeigen jedoch ein anderes Bild.

Im deutschen Nachbarland gilt seit Anfang der Woche eine flächendeckende 2G-Regelung - das heißt, dass sich nur genesene oder geimpfte Personen in öffentlichen Innenräumen aufhalten dürfen. Bereits am Wochenende vor Einführung der Maßnahme meldete Österreich steigende Impfzahlen. Am Dienstag, einen Tag nachdem 2G eingeführt wurde, ließen sich 21.439 Menschen zum ersten Mal impfen - so viele wie seit Mitte Juli nicht mehr. "Ich finde es interessant zu sehen, dass das offenbar zu Umdenken führt", sagte Drosten im Podcast dazu.

Wichtig für die Wirksamkeit dieser Regelung ist die Kontrolle der Impfnachweise in Gastronomiebetrieben. Laut der COSMO-Studie müssen nur 18 Prozent der Geimpften in Deutschland häufig einen Impfnachweis vorlegen - ein Drittel dagegen nie oder nur sehr selten. Wenn also eine 2G-Regelung eingeführt wird, müssten die Kontrollen auch konsequent durchgeführt werden.

Die Impfpflicht

Eine weitere Möglichkeit, Druck auf die Ungeimpften auszuüben, wäre die Einführung einer Impfpflicht in bestimmten Berufen - insbesondere für diejenigen, die mit vulnerablen Menschen arbeiten. Nachrichten über tödliche Corona-Ausbrüche in Pflegeheimen machen immer wieder Schlagzeilen- mit einer Gemeinsamkeit: Ein großer Teil der Pflegekräfte im Heim ist nicht geimpft.

In Deutschland werden die Forderungen nach einer Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen immer lauter. So fordert der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina im "Spiegel" eine "Impfpflicht für Multiplikatoren". Dazu gehören Ärzte und Pflegepersonal - aber auch Lehrkräfte und andere Berufsgruppen, die viel Kontakt zu Menschen haben. Kritiker befürchten jedoch, dass dies zu einer Kündigungswelle und damit zu Engpässen in diesen Bereichen führen könnte. In der Pflege herrscht bereits jetzt ein Notstand, weil es an Personal mangelt - auch Schulen berichten immer wieder von einem Lehrer-Mangel.

Erfahrungen in Frankreich zeigen jedoch, dass sich solche Befürchtungen nicht unbedingt bewahrheiten. Dort wurde im Sommer eine Impfpflicht für bestimmte Berufe eingeführt, etwa im Gesundheitswesen und bei der Feuerwehr. Mitte September ist sie in Kraft getreten - Zwei Monate später ist es noch nicht zu einer größeren Kündigungswelle gekommen. Nur einen Tag nachdem der französische Präsident Emmanuel Macron die Maßnahme angekündigt hatte, wurden 900.000 Anmeldungen für neue Impftermine registriert.

Der harte Weg

Wenn all diese Maßnahmen nicht greifen. Wenn die Pflichtimpfung nicht hilft und eine Informationskampagne nicht zu mehr Impfungen führt, bleiben nicht viele Alternativen übrig. Es könnte aber ungewollt eine Situation entstehen, die zu mehr Impfungen führt.

Denn wie die COSMO-Studie zeigt: Je mehr Risiko man wahrnimmt, desto eher lässt man sich impfen. Dies ist keineswegs eine wünschenswerte Situation, aber Länder wie Spanien haben gezeigt, dass dies zu höheren Impfraten führen kann. Eine tödliche erste und zweite Welle - viel schlimmer als in Deutschland, mit einem Lockdown inklusive Militär auf den Straßen - hat das Risiko sehr nah an die Menschen gebracht. "Je näher man dem Virus kommt, desto höher ist die Risikowahrnehmung", sagt Eitze. "Aber das wünschen wir uns natürlich nicht".

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen