Politik

Lockdown lässt Afrikaner hungern "Bei Corona reden wir von Chaos"

In afrikanischen Slums, wo es kein fließend Wasser gibt, ist es kaum möglich, Hygieneregeln zu beachten.

In afrikanischen Slums, wo es kein fließend Wasser gibt, ist es kaum möglich, Hygieneregeln zu beachten.

(Foto: picture alliance/dpa)

Wer in einem afrikanischen Land als Tagelöhner arbeitet, hat beim Lockdown nichts mehr zu essen. Corona bedeutet für viele Staaten den Kollaps, sagt Katharina Ebel, die bislang für die SOS Kinderdörfer in Äthiopien arbeitete, im Gespräch mit ntv.de. Die Menschen würden hungern, dann plündern und dann auf die Straße gehen.

ntv.de: Sie waren bis vor Kurzem in Äthiopien, wo derzeit 55 Corona-Fälle gemeldet sind. Kurz nachdem Sie nach Deutschland flogen, wurde der Flughafen geschlossen. Sind viele Länder Afrikas so früh dran mit strengen Maßnahmen?

Katharina Ebel: Nachdem viele Staaten in Europa den Lockdown beschlossen hatten, waren tatsächlich die afrikanischen Länder sehr viel schneller, obwohl es noch keine Infektionsfälle gab. Sie haben sofort die Schulen, die Flughäfen, die Grenzen geschlossen, und letztlich geht die Welle der Infektionen dort jetzt erst los.

Katharina Ebel

Katharina Ebel

(Foto: Foto: Ralph Gladitz)

Man setzt dort also auf Eindämmung des Virus? Die Gesundheitssysteme sind ja sehr oft marode ...

Mit dem Lockdown setzt man auf Eindämmung. Aber wie wollen Sie so eine Pandemie in einem Armenviertel eindämmen? Schon aus wirtschaftlichen Gründen: Wenn ich darauf angewiesen bin, dass ich als Tagelöhner Geld verdiene und plötzlich die Wirtschaft kollabiert, dann stehe ich bei Null. Wenn alle Geschäfte, alle Hotels, alle Restaurants, Flughäfen - alle Einkommensmöglichkeiten geschlossen werden, dann hat das sehr, sehr schnell tragische Folgen für die Leute, die keine Ersparnisse haben.

Das heißt, Stillstand in der Wirtschaft hat Folgen, die man nicht - wie in Deutschland - mittelfristig erst mal abfedern kann, sondern die Folgen spüren die Menschen quasi am nächsten Tag?

Durch den Lockdown können Güter weder reinkommen noch rausgehen. Die Städte werden nicht mehr versorgt, weil die Ausgangssperren dafür sorgen, dass Nahrung vom Land nicht mehr in die Stadt kommt. Die Supermärkte sind plötzlich leer, es gibt nichts mehr auf den Märkten. Durch den Mangel steigen die Preise von einem Tag auf den anderen enorm. Das heißt: Die Leute können sich sehr schnell nichts mehr leisten. Sie verdienen nichts mehr und gleichzeitig wird alles teurer.

Das klingt, als sei der wirtschaftliche Lockdown allein schon ein Desaster.

Viele Länder Afrikas haben zwei Katastrophen gleichzeitig: eine gesundheitliche und eine wirtschaftliche. Die Wirtschaftskatastrophe wird zuerst zu Mangel führen, dann werden die Menschen hungern, dann werden sie plündern und auf die Straße gehen. Das heißt, man hat dann auch noch mit einer Sicherheitslage zu tun, die schwer zu kontrollieren sein wird. Wir reden bei Corona nicht von einem medizinischen Problem, wir reden von Chaos.

Lassen sich im Chaos Abstands- und Hygieneregeln überhaupt durchsetzen?

Das geht fast gar nicht. Wie soll ich Abstand halten, wenn ich mit zehn Leuten in einer Hütte wohne, die genau einen Raum hat? Wenn mein Nachbar von mir durch eine Blechwand getrennt ist? Wenn es kein fließend Wasser gibt, ich für Wasser bezahlen muss und entscheiden: Wasch ich mir die Hände oder trinke ich es? Dann werde ich mich wahrscheinlich entscheiden, es zu trinken. Wenn ich entscheiden muss: Kaufe ich Brot oder Seife? Dann werde ich das Brot nehmen.

Die wirtschaftliche Not sei schon da, haben Sie gesagt. Wie nehmen die Menschen die Bedrohung für ihre Gesundheit wahr? Die kommt ja erst noch.

Zum einen sagten viele zunächst: Wir haben das Virus nicht eingeschleppt, wir reisen ja gar nicht. Warum sollen wir uns jetzt bemühen? Da haben sie ja auch Recht. So aber lässt sich eine Verbreitung nicht verhindern. Zum anderen haben die Afrikaner mit Ebola und Malaria zu kämpfen, mit maroden Gesundheitssystemen. Das soll nicht zynisch klingen, aber sie sind Kummer gewohnt. Trotzdem ist die Nachricht angekommen: Sie sprechen von einem "tödlichen Virus". Das ist für die Menschen sehr bedrohlich.

Wobei afrikanische Staaten ja im Schnitt oft eine junge Bevölkerung haben. Hilft das?

Die Demographie ist hier ein positiver Faktor, ja. Aber Afrika hat ganz andere Vorerkrankungen - Kinder sind mangelernährt, Menschen hatten Malaria, sind HIV-positiv, bei vielen ist der Organismus sehr geschwächt, da gibt es ganz andere, große Risikogruppen. Wenn ich dann zusätzlich weiß: Es gibt für mich keine Schutzmaßnahmen - in Addis Abeba zum Beispiel war vom ersten Tag an kein Desinfektionsmittel zu bekommen - Preise für Lebensmittel, für Wasser und für Energie steigen. Alles, was ich zum Leben brauche, wird mir genommen oder ist nicht verfügbar. Medizinische Hilfe ist nicht verfügbar. Was würden Sie machen? Ich würde in Panik geraten.

Passiert das bereits?

Mein Kollege aus Kenia hat schon von Ausschreitungen in den Slums berichtet, dort wendet die Polizei auch schon Gewalt an. Man versucht, das zu vermeiden, aber es geht nicht immer. In Südafrika genauso. Die Menschen wollen nicht hungern und nicht kämpfen. Aber für viele afrikanische Länder bedeutet Corona schlicht Kollaps.

Wie sind die SOS-Kinderdörfer aufgestellt gegen das, was kommen wird?

Für unsere Dörfer haben wir Vorkehrungen getroffen, da geht keiner rein oder raus. Lebensmittelvorrat und Medikamente sind für drei Monate aufgestockt. Wir haben Isolationsstationen in den Kinderdörfern eingerichtet, Dieselgeneratoren aufgestockt. Das Personal geht teilweise nicht mal mehr nach Hause, um Kontakte zu verringern. Schulen und Kindergärten sind geschlossen. Das sind Vorkehrungen, die einfach waren.

Und was ist schwierig?

Manche Kinderdörfer, in Kenia zum Beispiel, liegen recht nahe an Slums. Wenn die Menschen dort beginnen werden Hunger zu leiden, und unsere Dörfer dann einer der wenigen Flecken in der Umgebung sind, die sich noch versorgen können, muss man damit rechnen, dass die Leute auch dorthin kommen. Dafür haben wir keine Lösungen, wir könnten nur evakuieren aber müssten erst mal schauen: Wohin können wir evakuieren?

Mit Katharina Ebel sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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