Politik

Sabotage oder Zufall? Brandserie in Russland wirft Fragen auf

Am 21. April brannte ein militärisches Forschungsinstitut nordwestlich von Moskau aus - 20 Menschen starben dabei.

Am 21. April brannte ein militärisches Forschungsinstitut nordwestlich von Moskau aus - 20 Menschen starben dabei.

(Foto: AP)

Seit dem Angriff auf die Ukraine häufen sich Berichte über Brände an strategisch wichtigen Orten in ganz Russland. Ob ein Zusammenhang zwischen den Feuern besteht, ist unklar. Über die möglichen Ursachen der Brandserie wird jedoch bereits spekuliert.

Eine Reihe von Explosionen und Bränden an strategisch wichtigen Orten in ganz Russland sorgt seit Beginn des Ukrainekriegs für Aufsehen. Denn betroffen sind unter anderem wichtige Rüstungsbetriebe und militärische Einrichtungen. Erst am Montag waren bei einem Brand in einer Munitionsfabrik in der Millionenstadt Perm am Ural mindestens drei Menschen ums Leben gekommen. Ob es einen Zusammenhang zwischen den Bränden gibt, ist bisher allerdings völlig offen.

Einigermaßen erklärbar scheinen die jüngsten Feuer in Treibstofflagern und Munitionsdepots in Städten wie Belgorod, Brjansk und Woronesch. Diese liegen nicht mehr als 200 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, womit ein Beschuss durch ukrainische Raketen oder Flugzeuge denkbar ist. So soll nach russischen Angaben ein Angriff mit drei Raketen des Typs Totschka-U die Explosion in einem Munitionsdepot Ende März in Belgorod ausgelöst haben. Für den Brand im dortigen Öllager Anfang April machte Moskau zwei ukrainische Helikopter verantwortlich. Die Ukraine weist derartige Vorwürfe in der Regel zurück.

Es gibt jedoch auch Brände an strategischen Orten, die außerhalb der Reichweite von ukrainischen Raketen, Hubschraubern und Drohnen liegen. Am 21. April kam es zu einem verheerenden Feuer in einem Forschungsinstitut der russischen Raketenstreitkräfte in der Stadt Twer nordwestlich von Moskau - mehr als 500 Kilometer von der Ukraine entfernt. Die Einrichtung gilt als ein zentrales Institut des Verteidigungsministeriums und war an der Entwicklung der Iskander-Rakete beteiligt, die Russland im Krieg gegen die Ukraine gerade intensiv nutzt. Laut der russischen Staatsagentur Tass könnte der Brand durch veraltete Elektrokabel verursacht worden sein. Nachdem zunächst von sechs Toten die Rede gewesen war, hatte sich die Opferzahl bis Ende April Medien zufolge auf insgesamt 20 erhöht.

Ein weiterer Brand ereignete sich am selben Tag in einer der größten Chemiefabriken des Landes. Die Dimitrewski-Fabrik in Kineshma mehr als 300 Kilometer östlich von Moskau ist ein wichtiger Lösungsmittelproduzent für Russland und Osteuropa. Gleichzeitig werden dort Treibstoffe hergestellt, die für den Bau präzisionsgelenkter Raketen wichtig sind, welche Russland für den Ukrainekrieg benötigt.

Lagerhalle von umstrittenem Verlag in Flammen

Die Lagerhalle in Moskau brannte auf fast 34.000 Quadratmetern.

Die Lagerhalle in Moskau brannte auf fast 34.000 Quadratmetern.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Am Dienstag dann ging eine riesige Lagerhalle in Moskau in Flammen auf. Das Besondere daran: Das Lager wird laut Medienberichten vom russischen Verlag Prosweschtschenije ("Aufklärung") genutzt, der Schulbücher herausbringt. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hatte der Verlag mit der Entscheidung für Schlagzeilen gesorgt, die Ukraine aus russischen Schulbüchern tilgen zu wollen. Der Verlag wird Berichten zufolge zudem vom Putin-Freund Arkadi Rotenberg geleitet.

Die Brandserie gibt Rätsel auf. Handelt es sich um unglückliche Zufälle oder spielt Sabotage eine Rolle? Und wenn Letzteres der Fall ist: Wer könnte dahinter stecken? Und gibt es einen Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine?

Der Strategieberater Marcus Ewald zählt auf Twitter eine Reihe möglicher Erklärungen auf, die derzeit diskutiert werden. Etwa, dass eine Widerstandsbewegung innerhalb Russlands für die Brände verantwortlich sein könnte. "Dafür spricht, dass alle Gebäude immens wichtig sind und Insiderwissen erfordern", schreibt Ewald. "Dagegen spricht, dass dies eine sehr aufwändige und vielfältige Koordination und Infiltration bedeuten würde." Eine andere mögliche Ursache: Die Brände könnten zur Verschleierung von Korruption dienen, da womöglich Gelder abgezweigt worden seien und aufgrund von Ermittlungen nun Strafen drohten.

Ewald nennt auch Verschleiß als eine Hypothese für die Brandserie. "Es fehlen überall Ersatzteile und Software-Support, insbesondere Fabriken fahren auf Verschleiß von Teilen und auch Menschen." Dmitri Alperovitch, Vorsitzender der Denkfabrik Silverado Policy Accelerator, wies gegenüber der "Washington Post" darauf hin, dass unbeabsichtigte Brände in Russland nicht ungewöhnlich seien. Das Land sei für schlechte Wartungsarbeiten berüchtigt und westliche Sanktionen erschwerten die Beschaffung von Ersatzteilen für wichtige Maschinen.

"Vermutlich bunte Mischung aus allem"

"Zusätzlich zum Verschleiß könnte die Motivation von Mitarbeitern, auf Sicherheit und ordentlichen Betrieb zu achten, stark gefallen sein", schreibt Ewald auf Twitter. Er bezeichnet dies als "passive Sabotage". Auch der russische Geheimdienst FSB könnte hinter den Bränden stecken. "Irgendjemand im FSB könnte Interesse daran haben, dass der Krieg endet und Putin geht. Dagegen spricht, dass die Gebäude allesamt derart wichtig sind, dass kein Patriot das wollen kann." Für deutlich weniger wahrscheinlich hält Ewald, dass die Feuer von ukrainischen oder US-Geheimdiensten verursacht wurden. Die nötige Geheimhaltung, Infiltration und Koordination sei zu aufwändig.

Cyberangriffe oder geheime Satelliten der USA, die eine "bislang unbekannte Strahlungswaffe" nutzen, um Gebäude zu entzünden, hält Ewald für am unwahrscheinlichsten. Doch bisher sind die Hinweise auf die tatsächlichen Hintergründe der Brände spärlich. "Ich vermute, in der Realität ist es eine bunte Mischung aus allem", so Ewald.

Quelle: ntv.de, mit dpa/rts/AFP

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