Politik

Zwielichtige neue EU-Kommissare Brüssels Rumpelkammer

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Wird trotz erheblicher Bedenken EU-Kommissar: Tibor Navracsics aus Ungarn.

(Foto: REUTERS)

Die Zeichen verdichten sich, dass alle nominierten Kommissare vom Parlament bestätigt werden. Dabei sind einige von ihnen für den Job ungeeignet. Jetzt steht sogar der Chef der Truppe in der Kritik.

Die Abgeordneten des EU-Parlaments haben in den vergangenen Tagen ganz schön laut gebellt. Seit sie die Truppe kennen, die in Kürze als EU-Kommission den Kontinent verwalten soll, haben sie allerlei Belastendes über die Kandidaten zusammengetragen: Verstrickungen in Lobbyfirmen und Ölhändler, zweifelhafte Gesetze, Schuldenhaushalte und frappierende Ahnungslosigkeit von der zukünftigen Materie. In den dreistündigen Anhörungen feuerten die Parlamentarier einige Spitzen gegen die designierten Kommissare, einige von ihnen mussten nacharbeiten.

Es geht um eine Machtdemonstration. Die Abgeordneten wollen sich bemerkbar machen und dem zukünftigen Kommissionschef Jean-Claude Juncker das Leben nicht zu leicht machen. Dahinter steht die Frage, wem sich die mächtige EU-Kommission eigentlich mehr verpflichtet fühlt: dem vom Volk gewählten Parlament oder den Regierungen der Mitgliedstaaten? Wenn die Parlamentarier ihren Einfluss nicht geltend machen, verlieren sie ihn.

Schon deswegen war es unwahrscheinlich, dass sie Junckers Mannschaftsaufstellung einfach so akzeptieren und einen ersten Änderungswunsch gibt es auch: Der Ungar Tibor Navracsics sollte als Kulturkommissar auch für Bürgerrechte zuständig sein. Dabei war er Justizminister in Ungarn, als die Regierung die Meinungsfreiheit einschränkte. Nach Navracsics' Darstellung wäre es zwar noch schlimmer gekommen, wenn er nicht zwischen Budapest und Brüssel vermittelt hätte. Doch die Zuständigkeit für Bürgerrechte wirkt dann doch merkwürdig.

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Jean-Claude Juncker muss wohl nur wenige Veränderungen an seinem Team vornehmen.

(Foto: REUTERS)

Das EU-Parlament kann zwar nur im Ganzen über die neue Kommission abstimmen. Aber es kann klarmachen, dass es das ganze Team durchfallen lässt, wenn ihm einzelne Besetzungen nicht passen.

Vier zweifelhafte neue Kommissare

Trotz der heftigen Kritik ist jetzt schon klar, dass Navracsics der neuen Kommission angehören wird. Denn die Parlamentarier ließen ihn weich fallen: Auf einem anderen Posten würden sie den Ungar akzeptieren. Vielleicht reicht es sogar aus, wenn Juncker die Zuständigkeit für Bürgerrechte bei einem anderen Kollegen ansiedelt. Der sanfte Biss, der auf das laute Bellen der Abgeordneten folgte, ist zu verschmerzen. Das könnte im Falle Navracsics daran liegen, dass man von dessen Regierungschef Victor Orbán keinen besseren Kandidaten erwartet hatte. Aber es gibt noch mehr zweifelhafte Fälle.

Der Spanier Miguel Arias Cañete scheint die Mehrheit des Parlaments nun zufriedengestellt zu haben: Bei seiner ersten Anhörung hatte sich der designierte Energiekommissar noch nicht über die Beziehungen seines Schwagers zur Ölindustrie geäußert. Nun gab er zu, dass dieser noch immer Anteile hält und in Aufsichtsräten sitzt. Cañete selbst hatte seine Verbindungen vor Kurzem gekappt, Linken und Grünen reicht das allerdings nicht.

Der Brite Jonathan Hill weigert sich weiterhin, die Kunden einer früheren Beratungstätigkeit offenzulegen. Dennoch wird er sein Amt als Finanzmarktkommissar wohl antreten können – die großen Fraktionen haben schlicht kein Interesse daran, die Briten weiter zu verärgern. In dem Land fordern ohnehin genug Wähler den Austritt aus der EU.

Die Schwedin Cecilia Malmström wurde als Handelskommissarin gebilligt, obwohl ihr eine gewisse Nähe zu den USA nachgesagt wird, mit denen sie künftig das TTIP-Abkommen aushandeln wird.

Noch drei Wackelkandidaten

Dagegen muss der Franzose Pierre Moscovici weiter zittern: Die konservativen Abgeordneten, insbesondere die deutschen, können sich einfach nicht vorstellen, wie der Franzose, der bis vor Kurzem Finanzminister war und einen Schuldenhaushalt hinterließ, künftig als Finanzkommissar die Einhaltung der Defizitgrenzen überwachen soll. Die Sozialdemokraten werden alles dafür tun, Moscovici zu verteidigen.

Noch nicht entschieden wurde auch über die Ernennung der Tschechin Vera Jourova zur Justizkommissarin. Sie saß vor acht Jahren wegen Korruptionsverdacht in Untersuchungshaft ­– allerdings erwiesen sich die Vorwürfe nicht als haltbar.

Eng wird es für die Slowenin Alenka Bratušek, die bis vor Kurzem Ministerpräsidentin war. Sie war schon abgewählt, als sie sich selbst als Kommissarin nominierte. Bratušek verteidigt sich damit, dass sie Juncker insgesamt drei Namen zur Auswahl gegeben habe. Allerdings war die Vorstellung der designierten Vizepräsidentin nicht überzeugend. Bratušek soll für die Energieunion zuständig sein, konnte Fachfragen aber kaum beantworten. Auch als Politikerin ist sie unerfahren: Erst 2011 wurde sie Abgeordnete, Regierungschefin war sie gerade einmal 15 Monate lang. Doch selbst Bratušek wird wohl der neuen Kommission angehören, heißt es in Berichten aus Brüssel.

Und noch ein Problem für Juncker

Wenn sich durch diesen Fall die Bildung der Kommission in die Länge zieht, dürfte das Jean-Claude Juncker ganz gelegen sein. Denn in Kürze müssen die Eurostaaten ihre Haushalte in Brüssel vorlegen und es zeichnet sich ab, dass Italien und Frankreich von der Kommission gerügt werden. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, dass Juncker die unangenehme Aufgabe gerne den noch amtierenden Vorgängern überlassen würde. Generell wird es Juncker aber recht sein, wenn er keine allzu großen Änderungen mehr vornehmen muss. Das würde sein Team als Ganzes schlecht aussehen lassen.

Nun gibt es aber auch noch Kritik an Juncker selbst. Der noch amtierende Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia nimmt sich derzeit nämlich Luxemburg zur Brust: Das Land habe dem Online-Händler Amazon Steuervorteile gewährt, die nach EU-Recht verboten sind. Die Vereinbarung ist zehn Jahre alt – fällt also voll in Junckers Regierungszeit. Seinen neuen Job gefährden diese Ermittlungen erst einmal nicht. Denn Juncker ist als einziges Mitglied der neuen Kommission bereits vom gesamten Parlament bestätigt.

Quelle: ntv.de

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