Innenminister stellt sich Bürger "grillen" Seehofer
25.08.2018, 19:25 Uhr
Keine sanfte Landung nach der Sommerpause: Seehofer in der Bürgersprechstunde.
(Foto: picture alliance/dpa)
Horst Seehofer ist umstritten und er ist mutig: In einer Fragerunde stellt er sich Hunderten Bürgern. Er lässt sich nicht schonen - und sammelt damit Punkte.
Das Schöne an dieser Veranstaltung ist: Bürger stellen auch zeitlosere Fragen als Politikjournalisten. "Am 15. Mai 1997 haben Sie, Herr Seehofer, gegen ein Gesetz gestimmt, dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar macht. Warum?", will jemand wissen. Ja, warum eigentlich? An dem Gesetz habe ihn die Beweisfindung gestört, entgegnet der CSU-Chef etwas überrumpelt. Außerdem könne man mit der Erkenntnis der Gegenwart keine Entscheidungen der Vergangenheit abwägen. Ja, er würde heute anders abstimmen. Es ist die erste Frage und ein Vorgeschmack darauf, dass es bei dieser Runde nicht darum gehen wird, wie Horst Seehofers Urlaub war oder ob ihm der neue Job Spaß macht.
Einige Bundesminister stellen sich beim Tag der offenen Tür der Regierung Fragen der Bürger. Den mutigsten Auftritt liefert dabei der derzeit umstrittenste Mann im Kabinett ab. Der Innenminister beantwortet Fragen – nicht etwa in seinem Ministerium, sondern im großen Saal der Bundespressekonferenz, der bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Und es ist kein Heimspiel im bayerischen Festzelt. "Gegrillt" würden Politiker üblicherweise auf diesem Platz von Journalisten, erklärt der Vorsitzende der Bundespressekonferenz, Gregor Mayntz. Grillen können jedoch auch die Bürger.
Mit Twitter will sich Seehofer "wehren"
Warum sein Ministerium sämtliche Akten in dem umstrittenen Abschiebe-Fall des Islamisten Sami A. unter Verschluss halten will, will eine Zuhörerin wissen. Der "Tagesspiegel" hatte gestern über einen entsprechenden Antrag des Ministers berichtet. Seehofer versucht auszuweichen, erklärt, wie sich der Begriff "Gefährder" definiert und dass es einen großen Konsens über den Umgang mit ihnen gebe. Schließlich: Die Akten würden unter Verschluss gehalten, um die Geheimdienst-Kontakte in die islamistische Szene nicht zu gefährden. "Wenn Sie die offenlegen, können Sie das Amt gleich dicht machen", sagt er. Nicht ganz unwahrscheinlich ist aber auch, dass die Akten offenlegen könnten, wie es Seehofer misslungen ist, ein Exempel zu statuieren, was inzwischen in einem Debakel endete. Die Zweifel daran kann der Innenminister jedenfalls mit seiner Antwort nicht beseitigen.
Warum er noch nicht zu dem LKA-Mitarbeiter Stellung bezogen hat, der in Dresden bei Pegida mitgelaufen ist, will ein anderer Gast wissen. Eigentlich sei er ja noch im Urlaub, entgegnet Seehofer. "Ich habe noch keine direkten Informationen. Und wenn ich die nicht habe, sage ich auch nichts." Er meint damit Informationen aus seinem Ministerium. Die Pressefreiheit, so viel sagt er dann doch, müsse gewährleistet sein. Die Sache müsse aufgeklärt werden. "Aber ich kann etwas nicht aus dem Hörensagen beurteilen." Zu viele Politiker würden "aus der Hüfte schießen", bemängelt er.
Wie das denn dazu passen würde, dass er angekündigt hat, bei Twitter aktiv zu werden, lautet die nächste Frage – gewissermaßen dem Medium für Schüsse aus der Hüfte. Seehofer lacht und es ist ihm anzusehen, dass er von der Bissigkeit seiner Zuhörer überrascht ist. Er würde das natürlich nicht machen wie der US-Präsident. "Manchmal kann man sich nicht anders wehren als über das Internet", sagt er. Seehofer will Twitter nutzen, um sich zu "wehren": Die Bürgerpressekonferenz entlockt dem Innenminister spannende Einblicke in seine Selbstwahrnehmung.
"Der hat ja teilweise Humor"
Denn so sehr Seehofer die Pressefreiheit in Bezug auf den LKA-Pegida-Teilnehmer in Sachsen verteidigt, so leidenschaftlich kann er auch Kritik an der Berichterstattung üben - jetzt, wo die wenigsten Plätze der Bundespressekonferenz von Journalisten belegt sind. Mit den Worten "Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten", - gemeint war die Bundeskanzlerin - zitierte ihn die "Welt" während des Asyl-Streits zwischen den Schwesterparteien. Darauf angesprochen sagt er: "Was Fake News angeht, müssen wir nicht auf Russland warten. Die haben wir schon hier." Auch, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, will er nie gesagt haben. Er fühlt sich falsch zitiert: "Ich habe gesagt, dass Millionen Moslems zu Deutschland gehören. Aber dieses Land ist in erster Linie christlich geprägt."
Sollte sich Seehofer nach seinem Urlaub von der Bürgerpressekonferenz eine weiche Landung im politischen Berlin erhofft haben, lag er falsch. Gut so. Denn es deutet nichts darauf hin, dass sein Ministerium nach der Sommerpause aus der Schusslinie gerät. Der Fall Sami A. wirft drängende Fragen auf, es gibt weiterhin keine europäische Lösung für Bootsflüchtlinge und der Koalitionspartner SPD drängt auf Steuererhöhungen - ein knallrotes Tuch für den CSU-Innenminister.
Das Format des Treffens beweist, wie hoch das Interesse an Politik ist und wie wohltuend direkte Begegnungen von Politikern und Bürgern auf Augenhöhe sein können. Dass sich ein umstrittener Politiker wie Seehofer den Fragen einer so großen Menge stellt, loben anschließend viele Gäste. "So etwas müsste es öfter geben", sagt einer. Anderen ist Seehofer sympathischer geworden. Eine junge Frau, die zu Beginn ihrer Begleitung zuraunte, welch "negative Ausstrahlung" der Innenminister habe, sagt anschließend: "Der hat ja teilweise Humor und hat seine Standpunkte zumindest verständlich erklärt." Dann sagt sie noch: "Mein Lieblingspolitiker wird er trotzdem nicht." Seehofer mag umstritten sein, ein unbequemer Innenminister. Mit der Bereitschaft, sich derart offen den Fragen der Bürger zu stellen, kann er aber zweifellos Punkte sammeln.
Quelle: ntv.de