Der Weg ins Kanzleramt Chats geben Einblick in Machenschaften um Kurz
08.10.2021, 19:31 Uhr
Auf dem Weg nach oben ist es nach Ansicht österreichischer Ermittler bei Sebastian Kurz mitnichten ausschließlich rechtschaffend zugegangen.
(Foto: picture alliance / Herbert Pfarrhofer/APA/dpa)
Seitenweise werten österreichische Ermittler Chatverläufe zwischen Getreuen von Bundeskanzler Kurz und Dritten aus. Sie kommen zu dem Ergebnis: Mit Steuergeldern wurden Umfragen fingiert, um dem Nachwuchspolitiker Sebastian Kurz erst an die Spitze der ÖVP und dann ins Kanzleramt zu helfen.
Es liest sich wie eine Folge von "House of Cards" - doch es geht nicht um einen fiktiven US-Politiker, sondern um den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Manipulationen, Bestechung, Untreue - all dessen sollen sich hohe Regierungsbeschäftigte in der Partei von Kurz schuldig gemacht haben. Ziel sei es gewesen, Kurz und dessen Partei ÖVP an die Spitze der österreichischen Regierung zu bringen. Seitenlange Chatverläufe zwischen Parteimitgliedern und einem österreichischen Boulevardmagazin sowie diverse "Scheinrechnungen" legen dies laut Ermittlern der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) nahe. ntv liegen die Unterlagen vor. Inzwischen steht die Koalition mit den Grünen auf der Kippe. Zusammen mit der Opposition lotet der Koalitionspartner Optionen aus.
Drei Personengruppen in Affäre verwickelt
Ist Sebastian Kurz wirklich mithilfe von Bestechung österreichischer Bundeskanzler geworden? WKStA-Ermittler sammeln Indizien zu diesem Verdacht. Ab 2016 sollen sich Kurz und sein Team um dieses ehrgeizige Ziel bemüht haben. Bei einer Razzia stellen Ermittler zahlreiche Laptops, Handys und Unterlagen sicher. Dabei finden sie Gesprächsverläufe, die die Handlungen von Kurz‘ Team gut dokumentieren sollen und nun als Beweise dienen.
Der Bericht der WKStA legt nahe, dass drei Personengruppen in die Affäre verwickelt sind:
- Bundeskanzler Sebastian Kurz sowie Vertraute aus seinem Team sollen alles dafür getan haben, um in den Medien ein positives Bild von ÖVP und Kurz zu zeichnen, und so den damaligen ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner im Rennen ums Kanzleramt auszustechen.
- Eine Meinungsforscherin, die Umfragen für die ÖVP auf Steuerkosten frisiert haben soll.
- Das Boulevardmagazin "Österreich", das gezielt Artikel im Auftrag von Kurz‘ Team in Form von wohlwollender Berichterstattung abgedruckt haben soll.
Manipulation von Umfragen
Laut dem Bericht der Ermittler hat Kurz‘ Team einen strikten Plan verfolgt. Damals waren seine Popularitätswerte noch nicht annähernd so hoch wie jüngst. Öffentlichkeit und Partei mussten noch davon überzeugen, dass er Parteichef und Kanzler werden kann. Eine Meinungsforscherin erstellte den Ermittlungen zufolge für die ÖVP geschönte Umfragen, die sie der Öffentlichkeit als "unabhängige Expertin" präsentierte. Gesteuert wurden die Ergebnisse der Umfragen allerdings von der ÖVP selbst - so die Vorwürfe der Ermittler.
Laut WKStA hat die Meinungsforscherin in mehreren Fällen die Ergebnisse nachträglich manipuliert oder vorgegeben. So habe Kurz‘ Team die Ergebnisse für eine neue Umfrage über das Abschneiden der Parteien in einer Chatnachricht diktiert: "Grüne stark, Sozis Mittel, bissl neos, VP so gut wie nichts."
Dass sich die ÖVP die Ergebnisse "schön gerechnet" haben soll, bestätigt auch eine andere Nachricht (nach Veröffentlichung einer anscheinend geschönten Umfrage) an Kurz: "Bei sozialen Themen kommen wir an SPÖ ran. Muss beim Rechnen aufpassen, sonst wird es unglaubwürdig."
Die Zeitung "Österreich":
Als Komplize soll die Zeitung "Österreich" zur Manipulation beigetragen haben: Über sie habe Kurz‘ Team die öffentliche Meinung steuern können. Teilweise seien die Art der Berichterstattung konkret in Chats vorgeplant worden.
So legt ein Chat nahe, dass die Zeitung fast immer nach den Wünschen von Kurz‘ Team gehandelt habe. Als jedoch "vereinbarte Inhalte betreffend diverse Ergebnisse von Umfragen" offenbar nicht von dem Blatt veröffentlicht werden, wird deutlich, dass gegen eine vorher besprochene "Abmachung" verstoßen worden sein muss:
"Das ist echt eine Frechheit und nicht vertrauensbildend. Wir sind echt sauer!!!! Mega sauer", schreibt Kurz‘ Team der Zeitung. Diese lenkt ein und versucht, mit einem großen positiven Artikel zu beschwichtigen: "Versteh ich voll - melde mich in 30 minuten - mache jetzt volle doppelseite über umfrage am Mittwoch. Okay?"
Wusste Kurz von all dem?
Die Ermittler sehen Kurz als "die zentrale Person", da sämtliche Tathandlungen "maßgeschneidert" in seinem Interesse begangen worden seien. Er sei über alle Schritte seines Teams informiert worden. So habe Kurz beispielsweise über die Veröffentlichung einzelner Umfrageergebnisse folgende Nachrichten erhalten:
Generalsekretär im Finanzministerium: "Umfrage am Sonntag müsste alles passen."
Generalsekretär im Finanzministerium: "Neue Werte! Call me Mr Umfrage."
Oder nach desaströser Umfrage über Kurz‘ Konkurrent, die im Boulevardmagazin "Österreich" abgedruckt wurde.
Kurz: "Danke für Österreich heute."
Generalsekretär im Finanzministerium: "Immer zu Deinen Diensten."
Finanziert wurde das Propaganda-Projekt nach Auffassung der Ermittler mit Geld aus dem Finanzministerium.
Quelle: ntv.de