Politik

Reformen in Saudi-Arabien Das bisschen Freiheit ist teuer

Eine Frau liest in Mekka im Koran. In keinem anderen Land der Welt sind Frauenrechte derart beschränkt wie in Saudi-Arabien.

Eine Frau liest in Mekka im Koran. In keinem anderen Land der Welt sind Frauenrechte derart beschränkt wie in Saudi-Arabien.

(Foto: REUTERS)

Seit knapp einem Jahr ist Kronprinz Mohammed bin Salman de facto der Machthaber in Saudi-Arabien. Seine Reformen versprechen Freiheit. Doch die Hoffnung darauf weicht zunehmend Resignation.

Saudi-Arabien galt jahrzehntelang als Paradebeispiel eines erzkonservativen, ultraradikalen islamischen Staates. Einem, in dem sich bei einer Vergewaltigung die Frau, nicht der Mann strafbar macht. In dem Homosexualität und "Abfall vom Glauben" Straftatbestände sind, für die sprichwörtlich die Köpfe rollen. Ein Land, der den internationalen Terrorismus finanziert und zu dem der Westen dennoch beste Beziehungen halten – einzig und allein wegen seines Ölreichtums. Dass sich an dieser Lage etwas ändern sollte, galt lange als aussichtslos. Doch plötzlich scheinen sich Dinge zu bewegen. Ein wenig zumindest.

Mit seinem Reformkurs hat Mohammed Bin Salman große Erwartungen geweckt - in Saudi-Arabien und außerhalb davon.

Mit seinem Reformkurs hat Mohammed Bin Salman große Erwartungen geweckt - in Saudi-Arabien und außerhalb davon.

(Foto: AP)

Seit Mohammed bin Salman vor rund einem Jahr, im Juni 2017, zum Kronprinzen aufgestiegen ist, geschehen Dinge in dem Wüstenstaat, die zuvor als unmöglich galten. Ein Gesetz, das Frauen das Autofahren verbietet, wurde gekippt, Kinos eröffnen in dem Land. Touristen können Saudi-Arabien bereisen – einen Staat, der bisher nur Geschätftsreisenden und Pilgerern Visa ausgestellt hat. Bin Salman will mit seinem Billionen-Projekt "Vision 2030" die Wirtschaft des Landes reformieren und vom Erdöl unabhängiger machen und stellte eine Abkehr von ultrakonservativen Religionsprinzipien in Aussicht. Während einer USA-Reise kündigte er an, sich dafür einzusetzen, dass Frauen künftig nicht mehr die Abaya, den traditionellen Schleier, tragen müssten. Und er erkannte in einem Interview mit der US-Zeitschrift "The Atlantic" im April 2018 erstmals das Existenzrecht Israels an.

Der Kronprinz geht mit seinen Reformen weiter als jeder seiner Vorgänger. Doch die Saudis zahlen einen hohen Preis dafür. Kurz bevor das Fahrverbot für Frauen außer Kraft gesetzt wurde, ließ Bin Salman vergangene Woche die bekanntesten Frauenrechtlerinnen des Landes verhaften. Sie hätten sich der Spionage und des Verrats schuldig gemacht, hieß es. 9 von 17 Verhafteten gestanden schließlich "feindliche Elemente außerhalb des Landes" unterstützt zu haben. Kritiker des Regimes gehen davon aus, dass es sich um fingierte oder erzwungene Geständnisse handelt.

Schon zuvor machte der Prinz mit spektakulären Verhaftungswellen von sich reden. Drei Monate nach seinem Aufstieg zum De-facto-Regenten des Königreichs wurden rund 70 Personen festgesetzt. Darunter waren viele religiöse Prominente wie der Prediger Salman al-Odah oder Awad al-Qarni. Beide hatten sich geweigert, die harte Position gegenüber dem Nachbarstaat Katar zu übernehmen und forderten in sozialen Medien bessere Beziehungen zu Doha. Unter dem Vorwurf der Spionage soll Al-Odah einem Bericht von Al-Jazeera zufolge allein vier Monate in Isolationshaft verbracht haben – für Äußerungen bei Twitter, Facebook und Instagram.

"Wie ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht"

Im November folgte die wohl spektakulärste Verhaftungswelle: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurden unterschiedlichen Angaben zufolge bis zu 500 der bekanntesten Geschäftsmänner, Politiker und Mitglieder der Königsfamilie, darunter der reichste Mann des Landes, Prinz al-Walid ibn Talal, im Luxushotel Ritz Carlton in Riad festgesetzt und rund 800 Milliarden US-Dollar Vermögen auf mehr als 2000 Konten eingefroren. Die Staatsanwaltschaft warf den Verdächtigen Korruption und Veruntreuung vor. Die allermeisten von ihnen konnten sich im Rahmen von "Vergleichen" ihre Freiheit zurückkaufen. Allein Mutaib bin Abdullah, der Minister der Nationalgarde, soll über eine Milliarde Dollar gezahlt haben.

Die Botschaft hinter diesen Kampagnen, so deuten es Kritiker des Kronprinzen, lautet: Mohammad bin Salman allein bestimmt, wie schnell und in welchem Umfang Reformen durchgesetzt werden und wie mit Abweichlern umgegangen wird.

Und offenbar zieht Bin Salman mit seinem Kurs auch im Zirkel der Mächtigen des Landes zunehmend Zorn auf sich. Der aus Saudi-Arabien geflohene und in Deutschland lebende saudische Prinz Khaled bin Farhan sagte kürzlich in einem Interview mit dem Nachrichtenportal "Middle East Eye", dass der Kronprinz vor allem mit der zweiten Verhaftungswelle viele Mächtige verprellt habe. "Da ist sehr viel Zorn in der Königsfamilie über die aktuelle Politik", so Bin Farhan. Viele Einflussreiche Militärs und Angehörige des Sicherheitsapparates seien gegen den Reformkurs, ein Putsch werde immer wahrscheinlicher. "Die Situation ist wie ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht."

Ein Wirtschaftswunder wie in China?

Anfängliche Hoffnungen auf mehr Freiheiten und Menschenrechte sind innergesellschaftlich zunehmend Resignation gewichen. "Die Situation in Saudi-Arabien war noch nie so schlecht. Wir haben gelitten, es gab Risiken, aber es war nie, wie es jetzt ist", sagte der im Ausland lebende saudische Oppositionelle Yahya Assiri dem "Wall Street Journal". "Jetzt müssen Sie komplett auf Seiten des Regimes sein, es reicht nicht mal mehr, sich herauszuhalten." Auch die Europäische Union verurteilte vergangene Woche die "die andauernde Unterdrückung von Menschrechtsaktivisten (…) die die Glaubwürdigkeit des Reformprozesses untergraben", hieß es in einem Statement.

Den Repressalien und Ängste im Innern des Landes stehen hohe Erwartungen im Ausland gegenüber. Investoren in aller Welt wittern bereits ein Riesengeschäft in dem Land, das sich bisher ausschließlich auf seine Öleinnahmen verlassen hat. Von einer vergleichbaren Entwicklung wie in China ist sogar die Rede, die saudische Wirtschaft könne sich zu einem globalen Faktor entwickeln. Statt momentan 40 sollen bald 65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Privatfirmen erwirtschaftet werden. Der saudische Ölförderer Aramco, das wertvollste Unternehmen der Welt, wird derzeit an die Börse gebracht. Mit gigantischen Infrastrukturprojekten will Riad mögliche Hemmnisse beim Wirtschaftswachstum aus dem Wege räumen. In Riad entsteht ein komplett neues U-Bahn-System und eine Strecke für Hochgeschwindigkeitszüge. Im Norden des Landes sollen rund 500 Milliarden Dollar in einen Technologiepark fließen, der halb so groß werden soll wie Niedersachsen.

Ob Mohammed Bin Salman derartige Mega-Projekte durchsetzen und die Wirtschaft des Landes reformieren kann, wird maßgeblich davon abhängen, wie viele Feinde er sich auf seinem Weg macht. Und nur wenn seine "Vision 2030" auch wirtschaftlich Früchte trägt, wird sich letztlich auch an der Menschenrechtslage etwas verändern. Was das angeht, sieht zumindest der in den USA lebende saudische Journalist Jamal Khashoggi Schwarz: "Mohammed Bin Salman erschafft sich gegenwärtig eine Opposition, die er zuvor nicht hatte und die er nicht braucht".

Quelle: ntv.de

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