Seit Monaten in Haft Der Iran hält eine Deutsche als Geisel fest
10.06.2021, 17:09 Uhr
Eine Wärterin im Evin-Gefängnis, aufgenommen im Jahr 2006.
Die Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi sitzt seit Monaten im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis. Was der Frau vorgeworfen wird, ist unklar. Sie dürfte vom Iran als politisches Faustpfand eingekerkert worden sein.
Kürzlich erhielt die Nahid Taghavi einen Brief, dass sie sich nun gegen Corona impfen lassen könne. "Das ist schon bitter", sagt ihre Tochter Mariam Claren. Die beiden Frauen haben sich zuletzt Ende September 2019 am Flughafen Köln/Bonn gesehen.
Taghavi sitzt im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis. Am Sonntag soll der Prozess gegen sie beginnen. Sie soll, so lautet der Vorwurf, die nationale Sicherheit gefährden und den Sturz der Regierung geplant haben. Zudem solle sie Propaganda gegen die Islamische Republik verbreitet haben. Über Monate hinweg sei ihre Mutter stundenlang mit verbundenen Augen verhört worden, sagt Mariam Claren. "Reden und Denken sind verboten. Das Sprechen über die eigenen Gedanken ist ein Verbrechen." Zwar sei Nahid Taghavi regimekritisch, aber politisch nicht aktiv gewesen. Dennoch ist für Claren klar: "Meine Mutter ist eine politische Gefangene."
Nahid Taghavi hat in Florenz Architektur studiert, bevor sie 1983 mit ihrer damals zweijährigen Tochter von Teheran nach Köln auswanderte. Zuletzt verbrachte sie meist die Hälfte des Jahres in Teheran. Vergangenes Jahr wollte sie eigentlich im März zurück nach Köln, doch entschied sich wegen der Corona-Pandemie vorerst gegen eine Reise.
Nachdem sie Mitte Oktober vergangenen Jahres spurlos verschwand, öffneten ihre beiden Brüder die Tür ihrer Teheraner Wohnung und fanden eine völlig verwüstete Einrichtung vor: Schränke waren umgeworfen worden, Bücher lagen auf dem Boden, es fehlten Unterlagen und ihr Rechner. Ein Nachbar erzählte, dass die 66-Jährige von Militärs abgeführt worden sei; seitdem sitzt sie. "Da dachte ich noch an ein Missverständnis, das sich ganz schnell klären würde", erzählt die Tochter. Nahid Taghavi ist Doppelbürgerin, aber der Iran erkennt den deutschen Pass nicht an.

Das Evin-Gefängnis in Teheran. Auch dieses Foto stammt aus dem Jahr 2006.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Das Auswärtige Amt weist auf seiner Homepage darauf hin, dass Personen, die sowohl die deutsche als auch die iranische Staatsangehörigkeit besitzen, von den iranischen Behörden beim Aufenthalt im Iran ausschließlich als iranische Staatsangehörige behandelt werden. Eine strafrechtliche Verfolgung von politischen Aktivitäten in Deutschland, etwa die Teilnahme an anti-iranischen Demonstrationen in Deutschland, bis hin zu Inhaftierung und Verurteilung im Iran könne nicht ausgeschlossen werden.
Geisel für Agenten?
Die ersten 194 Tage saß die Kölnerin in Isolationshaft im Trakt der Revolutionsgarden. Die Pasdaran, wie die Garden im Iran genannt werden, sind die mächtige militärische Eliteeinheit des Landes, sie sind Ayatollah Ali Chamenei direkt unterstellt. Während der Zeit habe niemand ihre Mutter besuchen dürfen, sagt Mariam Claren. Ihre Mutter sei nonstop mit einer Kamera bewacht worden und habe auf dem Boden schlafen müssen, weil es in der Zelle kein Bett und kein Kissen gegeben habe. Auch das Essen sei schlecht und mangelhaft gewesen. "Es reicht zum Überleben, aber es gibt auch kein Obst oder Gemüse", erzählt Claren.
Mittlerweile habe ihre Mutter Haarausfall, wunde Haut, ihre Diabetes und der Bluthochdruck hätten sich verschlimmert. Hinzu kommen Rückenschmerzen und wegen des schlechten Lichts Augenprobleme und Schlafschwierigkeiten. Mitte Mai wurde Nahid Taghavi in den Frauentrakt überführt, wo sie sich nun mit zehn Frauen eine Zelle teilen muss. Mariam Claren kann dreimal die Woche rund zehn Minuten mir ihrer Mutter reden. Weil aus dem Gefängnis heraus keine Gespräche ins Ausland möglich sind, ruft sie ihren Bruder in Teheran an, der die Tochter dann online dazu holt.
Eine "politische Gefangene" ist Nahid Taghavi insofern, als sie möglicherweise aus politischen Gründen verhaftet wurde. Immer wieder kommt es vor, dass der Iran Gefangene, die über einen ausländischen Pass verfügen, in Verhandlungen als Geiseln einsetzt. Erst im November wurde die britisch-australische Islamwissenschaftlerin Kylie Moore-Gilbert nach mehr als zwei Jahren Haft im Iran gegen drei in Thailand inhaftierte Iraner ausgetauscht, die einen Anschlag auf den israelischen Botschafter in Thailand geplant haben sollen und deswegen seit 2012 in thailändischer Haft einsaßen. Ende vergangenen Jahres befanden sich fünf Bundesbürger aus politischen Gründen in iranischer Haft, wie eine Anfrage des Grünen-Außenpolitikers Omid Nouripour ergab. Nouripour mutmaßt, dass die Gefangenen für in Deutschland festgehaltene iranische Agenten eingetauscht werden sollen. Oder als Faustpfand für die Gespräche über des Atomabkommens, in die nach dem Wahlsieg von Joe Biden in den USA wieder Bewegung gekommen ist.
Tochter fordert mehr Druck auf den Iran
Das im Juli 2015 unterzeichnete internationale Nuklearabkommen, welches nach jahrelangen Verhandlungen mit den Vetomächten der UN sowie mit Deutschland zustande kam, erlaubt dem Regime die zivile Nutzung der Atomtechnologie. Zugleich sollte es aber sicherstellen, dass der Iran seine Möglichkeiten zum Bau einer Atombombe nicht ausweitet. Obwohl sich der Iran an den Vertrag hielt, kündigte US-Präsident Donald Trump im Mai 2018 das Abkommen einseitig auf. Die anderen Unterzeichnerstaaten jedoch hielten an dem Abkommen fest. Mit dem Regierungswechsel in Washington keimte wieder Hoffnung auf, dass das Abkommen doch noch zu retten sei. Im April begannen die neuen Gespräche in Wien, erneut mit deutscher Beteiligung.
Der iranische Präsident Hassan Ruhani, ein Verfechter des Abkommens, darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr für die Präsidentschaftswahlen kandidieren, die am 18.Juni in der Islamischen Republik stattfinden. Wegen seiner prowestlichen Reformpolitik steht der moderate Konservative schon seit seinem ersten Amtsantritt im Jahr 2013 in der Kritik der Ultranationalisten. Deren Druck hat seit nach den Wahlen im Februar 2020 zugenommen, seitdem stellen die Hardliner eine klare Mehrheit im Parlament.
Kürzlich wurde der Staatspräsident gar vom Parlament wegen angeblicher Gesetzesverstöße angezeigt. Beobachter mutmaßen, dass die Wiener Gespräche Anlass für den Vorstoß waren, mit dem moderate Politiker vor einer Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen abgeschreckt werden sollen. Momentan gilt Justizminister Ebrahim Raisi als Favorit. Der soll in den 1980er Jahren als Teheraner Vizestaatsanwalt an Hinrichtungen Tausender politischer Häftlinge mitverantwortlich gewesen sein.
Was auch immer der konkrete Hintergrund für die Einkerkerung ihrer Mutter ist - Mariam Claren ist sauer. "Ich glaube nicht, dass alle diplomatischen Möglichkeiten von der Bundesregierung bisher genutzt wurden, um meine Mutter frei zu bekommen. Deswegen werde ich der Stein im Schuh der Bundesregierung bleiben." Um Druck zu machen, hat sie eine Onlinekampagne gestartet: "Nur wenn wir zeigen, dass wir dieses Unrecht nicht akzeptieren, können wir auf die Regierungen Einfluss nehmen. Ich glaube nicht an diplomatische Stille." Gleichzeitig fürchtet sie, dass es nun keinen fairen Prozess für ihre Mutter geben wird. "Ich rechne nicht damit, sie in naher Zukunft zu sehen, und bin im dauerhaftem Krisenmodus", sagt sie, und schiebt hinterher: "Innerlich stelle ich mich auf ein Worst-Case-Szenario ein, dass sie eine harte Verurteilung bekommt."
Quelle: ntv.de