Politik

Gewinner oder Verlierer? Der bittere Triumph der Grünen

Cem Özdemirs Zukunft ist ungewiss - trotz Erfolg und Beliebtheit.

Cem Özdemirs Zukunft ist ungewiss - trotz Erfolg und Beliebtheit.

(Foto: REUTERS)

Die Grünen haben sich 2017 aus einer prekären Lage wieder ins Zentrum der Bundespolitik manövriert. Bis die Jamaika-Sondierungen scheiterten. Jetzt können sie sich nur über ein Comeback freuen, das einen üblen Nachgeschmack hinterlässt.

Im Frühjahr sah es düster aus. "Die Grünen: Beliebig statt beliebt", titelte eine große deutsche Tageszeitung. Die Partei stürzte in den Umfragen ab. In einer kam sie zum ersten Mal seit 15 Jahren nur noch auf 6 Prozent. Dass die Partei aus dem Bundestag fliegen würde, galt unter den meistern Beobachtern zwar als unwahrscheinlich, aber ganz ausschließen wollte das auch niemand.

Der Partei wurde nachgesagt, dass sie konturlos sei. Erstens, weil sie sich auf keinen Koalitionspartner festlegen wollte. Und zweitens, weil sie nach der Sozialdemokratisierung und Ökologisierung der Union durch Kanzlerin Angela Merkel keine eigenen Themen mehr hätte.

Was dann geschah, haben so wohl nur die Wenigsten vorhergesehen: Bei der Bundestagswahl holte die Partei 8,9 Prozent. Kaum besser als nach der "Wahlniederlage" 2013. Aber ein Triumph, gemessen an der Ausgangslage. Dann trat die Partei in Sondierungsgespräche mit CDU, CSU und FDP ein. Und den Grünen gelang etwas noch Erstaunlicheres. Die Delegation der Grünen verhandelte so diszipliniert und zielgerichtet, dass selbst CSU-Politiker die Partei bis heute in höchsten Tönen loben. Die üblichen öffentlich ausgetragenen Flügelkämpfe zwischen Linken und Realos vermied die Partei.

Hinzu kam: Während die Grünen mit der eigentlich so ungrünen CSU und der ebenso ungrünen FDP über Migration, Gerechtigkeit und Klima diskutierte, hatte die Ökopartei immer wieder Gelegenheit, deutlich zu machen, dass eine Regierungsbeteiligung durchaus einen Unterschied machen würde. Die Grünen mussten sich zwar auf harte Kompromisse einstellen, doch es war offensichtlich: In einer schwarz-gelben Koalition wäre es etwa beim Thema Kohleausstieg überhaupt nicht vorangegangen.

Kleinste Oppositionspartei im Parlament

Bei ihrem Parteitag nach dem Ausstieg der FDP aus den Verhandlungen übertrieben es die Grünen zwar gehörig mit ihrem Selbstlob. Doch im Kern hatten sie durchaus einen Sieg zu feiern. Einen Sieg, der allerdings einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt.

Das grüne Sondierungsteam: Habeck links und Baerbock rechts.

Das grüne Sondierungsteam: Habeck links und Baerbock rechts.

(Foto: picture alliance / Michael Kappe)

Weil es mit Jamaika nicht klappt, bleiben der Partei die Regierungsbänke womöglich weitere vier Jahre versperrt. Sie verhielten sich in den Sondierungen ziemlich staatstragend, Verantwortung übernehmen dürfen sie jetzt wohl trotzdem nicht. Wie sollen sie da unter Beweis stellen, dass sie es wirklich noch können? Als kleinste Oppositionspartei im Parlament müssen die Grünen jetzt womöglich einen völlig anderen Kurs fahren. Wer da allzu staatstragend auftritt, hat meist Schwierigkeiten, Gehör zu finden. Abgrenzen, Anmahnen, Auffallen. Ein schwieriges Hin-und-Her.

Bitter ist der Triumph auch auf personeller Ebene. Der Erfolg der Grünen bei der Bundestagswahl ist im hohen Maße Parteichef und Spitzenkandidat Cem Özdemir zuzuschreiben. Aus dem früheren Problemkind in der Schule ist zunächst der erste Parteivorsitzende in Deutschland mit türkischen Wurzeln geworden. Und jetzt, nach den Sondierungen der zweitbeliebteste Politiker der Republik. Eine große Karriere. Nur vielleicht ohne Zukunft.

Özdemir galt als sicherer Anwärter auf einen Ministerposten in der Jamaika-Koalition. Nun wird er wohl leer ausgehen im doppelten Sinne. Özdemir hatte angekündigt, dass er für die Wiederwahl als Parteichef nicht mehr zur Verfügung steht. Im Falle von Neuwahlen würde er zwar wieder Spitzenkandidat werden und wohl auch den Parteivorsitz noch eine Weile länger innehaben, aber im Grunde will er sein Wort nicht brechen.

Özdemir wird vielleicht durchgereicht

Bei den Grünen läuft auch schon längst die Neubesetzung. Hoffnungsträger Robert Habeck aus Schleswig-Holstein kann auf großen Rückhalt in der Partei hoffen. Ins Rennen geht auch die Brandenburgerin Annalena Baerbock. Die Grünen wagen damit womöglich gar den Schritt, endgültig die Flügelarithmetik der Partei zu überwinden und zum Teil auch die strikte Trennung von Amt und Mandat. Habeck und Baerbock werden eher den Realos zugeordnet. Habeck ist zudem noch Umweltminister in Schleswig-Holstein. Die Wahl ist für Ende Januar angesetzt. Dass es zu einer weitreichenden personellen und strukturellen Veränderung der Partei kommt, ist nicht unwahrscheinlich.

Für Özdemir ist damit aber völlig unklar, wie es weitergeht. Hier und da ist vom Fraktionsvorsitz die Rede. Doch auch, wenn die Grünen an ihren komplizierten Quotierungsregeln ein wenig schrauben, um eine starke neue Parteispitze zu etablieren, werden sie diese kaum ganz vergessen. Die zweite Spitzenkandidatin der Grünen, Katrin Göring-Eckard gilt als Fraktionschefin als gesetzt. Damit braucht die Reala einen linken Partner im Amt. Das dürfte auch in Zukunft Anton Hofreiter bleiben. Özdemir wird womöglich in die dritte Reihe durchgereicht. Den einzigen Ausweg ermöglicht vielleicht der Ausstieg von Winfried Kretschmann aus der Politik. Özdemir könnte dann in Baden-Württemberg den Posten des Ministerpräsident übernehmen. Dieses Szenario ist bisher aber nur Spekulation. Kretschmann, der nächstes Jahr 70 wird, sendet keine klaren Signale. Und so lange das so bleibt, wirken auch die grünen Personalien so richtig triumphal nicht.

Quelle: ntv.de

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