Politik

Vom Buchautor zum Abgeordneten Ex-General Vannacci verzückt das rechte Italien

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Der General und der Generalsekretär: Roberto Vannacci im Wahlkampf mit Matteo Salvini.

Der General und der Generalsekretär: Roberto Vannacci im Wahlkampf mit Matteo Salvini.

(Foto: IMAGO/Avalon.red)

Mit seinen provokanten Rechtsaußen-Thesen hat sich der Karrieremilitär Roberto Vannacci aus der Armee gekegelt - dafür aber in kurzer Zeit einen prominenten Platz in Italiens Politik ergattert. Der nationalpopulistische Matteo Salvini war sein Türöffner und hat jetzt schon Ärger seinetwegen.

Noch vor einem Jahr wussten die Italiener nicht einmal von der Existenz des heute 55-jährigen Generals Roberto Vannacci. Das hat sich beinahe schlagartig geändert: In weniger als zwölf Monaten schaffte er es, 560.000 Italiener von sich zu überzeugen. So viele Stimmen bekam er bei den EU-Wahlen Anfang Juni. Angetreten war er als unabhängiger Kandidat der nationalpopulistischen Regierungspartei Lega, für die er in der gerade gegründeten rechtsextremen Fraktion der Patrioten für Europa sitzt. Lega-Chef Matteo Salvini hat Vannacci zu seinem Frontmann im EU-Parlament gekürt - und nun ein Problem.

Vannacci kam wie aus dem Nichts. Plötzlich war er da, genauer: war sein Buch da mit dem Titel "Il mondo al contrario" ("Die verdrehte Welt"). Er hatte es in Eigenregie veröffentlicht und zum Kauf auf Amazon platziert. In der Woche vom 14. zum 20. August eroberte es Platz eins des Verkaufsrankings. Wobei der Erfolg nicht dem Schreibtalent des Generals geschuldet ist, sondern dem provokanten Inhalt. Er sei es leid gewesen, erklärte Vannacci in den darauffolgenden Interviews, ein Gefangener des Mainstreams, der Political Correctness zu sein. Deswegen habe er beschlossen, sich den Frust von der Seele zu schreiben.

Frustriert ist Vannacci über so einiges. Über gleichgeschlechtliche Paare schreibt er: "Liebe Homosexuelle, ihr seid nicht normal, findet euch damit ab." Zum Thema Selbstverteidigung heißt es: "Wenn ich den Kugelschreiber dem Halunken, der mich angreift, in die Halsschlagader ramme und ihn töte, verstehe ich nicht, warum ich wegen fahrlässiger Überschreitung der Notwehr angeklagt werde, nur weil der Kerl es allein auf meine Uhr abgesehen hatte." Vannacci klagt über eine angeblich alltägliche Hirnwäsche, deren Ziel es sei, "allen eine Normalität aufzudrängen, die (...) jegliche Differenz zwischen Frau und Mann, zwischen Ethnien (um nicht von Rassen zu sprechen), (...) zwischen Nichtsnutz und Fleißigem löscht."

Behinderte und das selektive Leben

In einem Interview mit der Tageszeitung "La Stampa" sagte Vannacci, getrennte Schulklassen würden sowohl Hochbegabten als auch Jugendlichen mit Beschränkungen helfen, sich ihren Fähigkeiten entsprechend zu entwickeln. Eine Form von Diskriminierung wollte Vannacci hierin nicht erkennen. "Ich würde ja auch nie im Leben einen Gehbehinderten an einem Wettrennen teilnehmen lassen." Die Schule müsse demzufolge auch streng und selektiv sein, denn so sei nun mal das Leben. Sonderklassen oder -schulen sind in Italien ein Tabu. Weswegen auch die italienische Bischofskonferenz vehement gegen Vannaccis Forderung nach Selektion protestierte. Doch der Meister der schwammigen Aussagen ließ sich davon nicht beirren: Er habe doch nie von Sonderklassen gesprochen, beteuerte er.

Zum Thema Schule sorgte er auch mit einer anderen Bemerkung für große Irritation. Zu den Vorfällen im Frühling in Pisa, wo Polizisten mit Schlagstöcken gegen Oberstufenschüler losgegangen waren, meinte Vannacci: "Es ist nicht die Polizei, die mit Schlagstöcken auf die Studenten geht, sondern es sind die Studenten, die sich in die Lage begeben, geschlagen zu werden." Und über die italienische Volleyballspielerin Paolo Egonu, deren Eltern aus Nigeria stammen: "Ihre körperlichen Merkmale stehen nicht für Italien."

Ein weiteres Beispiel dieser rhetorischen Camouflage-Taktik lieferte er mit seiner Behauptung, der faschistische Diktator Benito Mussolini sei ein Staatsmann gewesen, genauso wie Graf von Cavour, erster Ministerpräsident des Königreichs Italien, und Stalin. "Im Wörterbuch ist ein Staatsmann jemand, der staatliche Ämter belegt hat", ergänzte er belehrend. Und über den rund zwei Jahrzehnte währenden Faschismus in Italien dozierte Vannacci: "Die Geschichte besteht aus Fakten, duldet kein moralisches Urteil, daher urteile auch ich nicht." Über den russischen Staatschef Wladimir Putin sagte er, der Kremlchef sei "sicher nicht schlimmer als Stalin". Es lohne sich also, mit ihm einen Frieden auszuhandeln.

Armee verärgert, Salvini beeindruckt

Vannacci ist verheiratet und lebt mit Frau und zwei Töchtern in der toskanischen Küstenstadt Viareggio. Er habe für seine Töchter kandidiert, sagte er während der Wahlkampagne, weil er etwas zu ihrer Zukunft beitragen wolle. Bevor er in die Politik einstieg, war Vannacci mehr als 30 Jahre in der Armee und brachte es bis zum Divisionsgeneral und Chef des Stabs der Operativen Landstreitkräfte. Er war an zahlreichen Missionen im Ausland beteiligt, unter anderem im Irak, in Afghanistan, in Ruanda und im Jemen.

In der Armee schätzte man ihn. Zumindest bis zum Erscheinen seines Buchs. Mit diesem schaffte er es auch die höchsten Militärränge zu verärgern, weil er es ohne ihre Genehmigung veröffentlicht hatte. Als noch Dienender in der Armee hätte er das machen müssen. Deswegen wurde Vannacci auch bis auf Weiteres suspendiert.

Der Generalsekretär der nationalpopulistischen Partei Lega, Matteo Salvini, hingegen war vom ersten Moment an Feuer und Flamme für Vannacci. Der einstige Hoffnungsträger der Rechtsaußenkräfte steht selbst nicht mehr so gut da. Seine erratische Politik, sein ständiges Stänkern gegen Premierministerin Meloni, in deren Koalition er das Amt des Vizepremiers und des Infrastrukturministers bekleidet, ist selbst politischen Weggefährten und Lega-Wählern nicht mehr geheuer.

Le Pens Partei will Vannacci nicht

Im Angesichts des eigenen verblassenden Scheins kam Salvini der aufsteigende Stern Vannacci gelegen. Er soll der Lega neuen Glanz verleihen, zumal beiden die Freude an der Provokation gemein ist. Also heuerte Salvini den Militär Vannacci für die Liste der Lega-Kandidaten für das EU-Parlament an. Doch der vermeintliche Coup ist fürs Erste nach hinten losgegangen.

Salvini wollte Vannacci als Stellvertreter von Jordan Bardella im EU-Parlament installieren. Der Vorsitzende der französischen rechten Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen führt die neu gegründete EU-Fraktion "Patrioten für Europa" an. Doch der Franzose wollte Vannacci nicht und begründete eine Ablehnung mit Vannaccis homophoben Positionen. Das Kräftemessen gewann am Ende Bardella. Da half auch nicht Salvinis enge Freundschaft zu Marine Le Pen, der Gründerin des RN.

Gestoppt ist damit Vannaccis kometenhafter Aufstieg längst nicht. Es wird spannend zu sehen sein, ob er wie andere italienische Politiker der jüngsten Vergangenheit mehr als ein Blender ist, der sich selbst erledigen wird. Ein einprägsames Beispiel hierfür lieferte der Komiker und Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung Beppe Grillo. Erst war er weg, dann verloren die Sterne massiv an Zuspruch. Womöglich verfolgt der General und Buchautor aber auch eine eigene Agenda, nachdem ihm der Weg in die hohe Politik geebnet wurde. In diesem Fall hätte ihm Salvini als nützlicher Idiot zu Diensten gestanden.

Quelle: ntv.de

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