Politik

Brutkasten für junge Faschisten Eigene Parteijugend bringt Meloni in Bedrängnis

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Meloni singt mit dem Parteinachwuchs beim jährlichen Fest Atreju im Dezember 2023.

Meloni singt mit dem Parteinachwuchs beim jährlichen Fest Atreju im Dezember 2023.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Italiens Premierministerin ringt um ein seriöses Antlitz. Doch eine Undercover-Journalistin deckt auf, wie es beim Nachwuchs von Melonis Partei wirklich zugeht: offener Rassismus und Antisemitismus, Verherrlichung des Mussolini-Faschismus. Die Affäre auszusitzen, ist für Meloni diesmal keine Option.

Premierministerin Giorgia Meloni hätte die peinlichen Aufnahmen ihres Parteinachwuchses Gioventù Nazionale (Nationale Jugend) gerne kommentarlos ausgesessen. Das hat ihr die 93-jährige Liliana Segre unmöglich gemacht. Im Laufe eines TV-Interviews fragte sich die Holocaustüberlebende und Senatorin der Republik, die seit Jahren unter Personenschutz steht: "Werde ich wieder von meinem Land verjagt?"

Zwei Videos hat das investigative Medienportal Fanpage veröffentlicht unter dem Titel "Gioventù Meloniana". Sie zeigen Mitglieder der Jugendorganisation von Melonis Partei Fratelli d’Italia (FdI), die mit ausgestrecktem Arm. "Duce! Duce! Duce!" ("Führer! Führer! Führer!") und "Sieg Heil!" brüllen.

Flaminia Pace, Vorsitzende einer der römischen Kreisverbände, hört man zu einem "Camerate", wie sich die Faschisten untereinander anreden, sagen: "Das Witzigste war, zuerst mit dem Hakenkreuz gegen Ester Mieli zu hetzen und wenig später eine Solidaritätsbekundung ihr gegenüber zu verfassen." Mieli ist eine jüdische Senatorin und Mitglied der Fratelli d'Italia.

Elisa Segnini, Sekretärin einer Abgeordneten von FdI, beteuert in den Aufnahmen stolz: "Ich habe nie aufgehört eine Rassistin und eine Faschistin zu sein." Und dann ist da noch Ilaria Papini, Vorsitzende der Gioventù Nazionale in der süditalienischen Provinz Bari. Diese spricht von "infamen Juden", während ein anderer Camerate sagt, Juden seien eine Kaste, die "noch immer von der Rendite lebt, die der Holocaust abwirft."

Undercover unter Rechten

Aufgezeichnet wurden Teil eins und Teil zwei des Videos "Gioventù Meloniana" von einer Journalistin der Plattform Fanpage. Diese hatte sich als rechte Aktivistin ausgegeben und so Zugang zu privaten Partys, geheimen Treffen, Rockfestivals und anderen Anlässen bekommen. Man sieht aber auch Szenen von öffentlichen Veranstaltungen, darunter das alljährliche Parteifest Atreju, das von der Gioventù Nazionale organisiert wird. Beim Atreju im vorigen Dezember bat Meloni die Jugendlichen von Giovenù Nazionale auf die Bühne und lobte sie überschwänglich: "Es gibt noch Jugendliche, die an die Politik glauben, die für ihre Ideen einstehen. Ihr seid fantastisch."

Auf die Veröffentlichung des ersten Videos reagierte die Parteiführung nicht. Nach dem zweiten aber war Aussitzen keine Option mehr. Dabei ist Meloni keine Freundin von Pressekonferenzen. Sie spricht lieber allein und die Kamera und veröffentlicht davon Videos auf Facebook, das in Italien noch immer populär ist. Dieses Mal schien es aber auch ihr ein Anliegen zu sein, sich den laufenden Kameras zu stellen. Mit strenger Miene ließ sie wissen, dass antisemitische, rassistische und nostalgische Positionen "mit Fratelli d’Italia inkompatibel sind."

Meloni raunt von fremden Mächten

Gleich danach holte sie zum Gegenangriff aus. So sagte sie, es sei ihres Wissens ein absolutes Novum, sich in eine Parteiorganisation hineinzuschleichen, um sie auszuspionieren, versteckt aufzunehmen und das Material dann publik zu machen. "Ich nehme zur Kenntnis, dass dies ein neues Format der politischen Auseinandersetzung ist", hob sie hervor und fügte abschließend hinzu, solche Methoden würden "normalerweise Regime anwenden".

Die Recherche hat aber eine Journalistin umgesetzt, kein politischer Gegner und auch kein fremdet Machthaber. Dass die angewandten Methoden gegen keinen Kodex verstoß müsste die frühere Berufsjournalistin Meloni wissen. Doch die Regierungschefin Meloni fühlt sich vom Großteil der Zunft verfolgt, weswegen sie jede Gelegenheit nutzt, Journalistinnen und Journalisten an den Pranger zu stellen.

Meloni hofft, mit der Pressekonferenz einen Schlussstrich unter die Affäre gezogen zu haben Dann meldete sich Liliana Segre zu Wort. Und wieder beteuerte die Premierministerin, diesmal in einem Brief an die Spitzen ihrer Partei, dass es für antisemitische, nostalgische und rassistische Positionen in der Partei keinen Platz gebe. Dass man sich mit der Geschichte und den Faschismus auseinandergesetzt habe und gegen alle Totalitarismen sei. "Wir sind keine Partei, die rückwärts blickt. Wir sind an die Zukunft unserer Nation interessiert." Und dasselbe gelte für die Jugendlichen der Gioventù Nazionale: "Eine gesunde und bunte Jugendorganisation, die sich offen und neugierig zeigt."

Eigentlich würde Meloni gerne als besonnene konservative Politikerin wahrgenommen werden, vor allem im Ausland. Liebend gerne würde sie sich von der Bezeichnung Postfaschistin befreien. Ihre Mitarbeiter und Weggefährten machen ihr aber immer wieder einen Strich durch die Rechnung.

Extremisten in den eigenen Reihen

Warum, hat die Holocaustüberlebende Segre im genannten TV-Interview erklärt: "Ich denke, dass es die Ausschreitungen, die in der letzten Woche an die Öffentlichkeit gedrungen sind, schon immer gegeben hat." Man habe diese Seite nur nicht öffentlich gezeigt. Das habe sich mit der Regierungsübernahme durch die Fratelli d'Italia geändert. "Jetzt schämt man sich nicht mehr dafür."

Unlängst war es Paolo Signorelli, Pressesprecher von Melonis Schwager Francesco Lollobrigida und aktueller Landwirtschaftsminister, der für unerwünschte Aufmerksamkeit sorgte. Im Rahmen einer Ermittlung waren Mails und Chats aus dem Jahr 2018 zum Vorschein gekommen. Darin hetzte Signorelli gegen Juden, sympathisierte mit neofaschistischen Terroristen der 80er- und 90er-Jahre und schwärmte von seinem Großvater, einem Gründungsmitglied der neofaschistischen Terrororganisation Ordine Nuovo.

In einem Artikel der Tageszeitung "Corriere della Sera" sagte der Politologe Marco Tarchi, einst so etwas wie Chefideologe der Neuen Rechten, jeder ideologische Wandel fordere Zeit. Die Jugendlichen seien mit bestimmten politischen Mythen und Symbolen aufgewachsen. Man könne sie deshalb nicht von einem Tag auf den anderen zu überzeugten Nationalkonservativen machen. Man müsse sie mit Geduld dazu erziehen. Sollte sich FdI dieser Aufgabe nicht annehmen, riskiere sie die Zersplitterung der Rechten, warnte Tarchi. Anders gesagt: Melonis Parteinachwuchsorganisation müsse Brutkasten für Italiens heranwachsende Neofaschisten bleiben.

Quelle: ntv.de

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