Jäger über Folgen des Attentats "Trump will nicht in die Rolle des Versöhners"
15.07.2024, 15:53 Uhr Artikel anhören
"Er hat in der ersten Sekunde realisiert, was er macht", sagt Jäger über Trumps Verhalten während des Attentats.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
"Ich bin ziemlich sicher, dass der Ausgang nicht entschieden ist", sagt Politikwissenschaftler Thomas Jäger über die US-Präsidentschaftswahl. Doch die Lage sei für US-Präsidenten Biden noch schwieriger geworden - erst recht, wenn sich Trump nun zahm geben sollte. Diese taktische Rolle könne Trump aber nicht durchhalten.
ntv.de: Herr Professor Jäger, wo in der langen Reihe ikonischer Momente von US-Präsidenten ist das Bild des Attentats auf Donald Trump einzuordnen?
Thomas Jäger: Das kann man noch nicht so richtig sagen. Trump und seine Anhänger versuchen, das als ein Bild darzustellen, das den Kämpfer zeigt. Trump, der sich vor die amerikanische Gesellschaft wirft, der sich für sie die Kugeln einfängt und nicht aufgibt. Die gegenteilige Darstellung besagt: Hier sieht man das Ergebnis und die Fortführung einer Aufladung der amerikanischen Gesellschaft mit politischer Gewalt. Das abschließende Urteil über dieses Ereignis fällt nicht jetzt und auch nicht in den nächsten Wochen und Monaten.
Trump ist als Anschlagsziel erst einmal das Opfer. Sie sehen dennoch Raum für eine Debatte über Trump als Täter, der die politische Stimmung in den USA mitverantwortet?
Ja, denn Donald Trump ist ein wesentlicher Akteur hinter der Zunahme politischer Gewalt in der amerikanischen Gesellschaft. Er ist verantwortlich für den Sturm auf das Kapitol. Er ist verantwortlich für die Brutalisierung der Sprache. Er ist verantwortlich dafür, dass Menschen als "Schädlinge" bezeichnet und angesehen werden, wenn er von einer "Invasion" spricht, die das Blut der amerikanischen Gesellschaft vergifte. Er hat dazu beigetragen, dass die Menschen so zornig sind.
Die allgemeine Stimmung lässt sich an seiner Person festmachen?
In Umfragen geben die Amerikaner schon seit einiger Zeit an, sie befürchteten politische Gewalt. Das sind inzwischen zwei Drittel der Befragten. Zudem halten 20 Prozent der Amerikaner die Anwendung von Gewalt für ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Das hat zum einen damit zu tun, dass Trump einen anderen Ton, einen anderen Stil in die politische Debatte eingeführt hat. Zum anderen hat das damit zu tun, dass er das Projekt einer imperialen Präsidentschaft verfolgt. So hat der Historiker und Präsidentenberater Arthur Schlesinger Entwicklungen beschrieben, in denen sich alle Macht auf den US-Präsidenten konzentriert. Ob diese Tatsachen etwas mit dem Motiv des Attentäters zu tun hatten, wissen wir nicht.
Wenn ich der Gegenseite Gewalt zutraue, muss ich selbst aufrüsten, wenn nicht gar zuerst zuschlagen. Wird die Angst vor politischer Gewalt so zur selbsterfüllenden Prophezeiung?
Zumindest bereit man sich darauf vor, ja. Das war während der "Black Lives Matter"-Demonstrationen in Trumps erster Präsidentschaft zu beobachten. Da formierte sich als Reaktion auf der rechten Seite die Miliz der Proud Boys. Die Proteste schaukelten einander hoch und Trumps Antwort darauf war der Einsatz der Nationalgarde. Er reagierte auf Gewalt mit noch mehr Gewalt. Und er spielt mit deren Einsatz, wenn er von einem Wahlausgang raunt, dessen Ausgang er nicht kenne. Diese Strategie befeuert wiederum Verschwörungserzählungen auch unter Trumps Gegnern.
Trump hätte nach dem Attentat problemlos den Pausenknopf drücken können, stattdessen will er den Nominierungsparteitag der Republikaner in Milwaukee durchziehen. Ein Hinweis darauf, dass er das Momentum für sich nutzen will?
Ja, natürlich. Er hat in der ersten Sekunde realisiert, was er macht. Sonst wären diese Bilder vom Attentat nicht entstanden. Die Republikaner stehen nun vor der Frage, welche Strategie sie weiter verfolgen wollen. Bleiben sie bei der Darstellung, dass Präsident Joe Bidens Regierung Trump um jeden Preis verhindern will? In diesem Sinne hatten sie schon das Amtsenthebungsverfahren und die vielen Gerichtsverfahren gegen Trump umgedeutet. Einige Republikaner haben bereits auch das Attentat in diesen Zusammenhang gebracht.
Oder? ...
Oder treten die Republikaner jetzt gezähmter auf und machen es Biden so noch schwerer, Trump frontal anzugreifen? Nach dem Attentat musste sich Biden mit Trump solidarisieren. Dabei war sein Plan, in den kommenden Wochen noch deutlicher die Unterschiede herauszuarbeiten. Je milder sich die Republikaner jetzt geben, desto schwerer kann Biden wieder in die Offensive gehen. Wenn ich das recht beobachte, gehen die Republikaner zu einer religiösen Sprache über. Ihr Motto: "Gott hat Trump beschützt, damit Trump Amerika beschützen kann." So etwas verfängt bei Trumps Anhängern.
Wie soll Biden dagegen ankommen?
Er muss abwarten, was Trump als Nächstes macht. Das Heft des Handelns liegt nach dem Anschlag beim Herausforderer. Bidens Strategie lautete, Trumps "Projekt 2025" in den Mittelpunkt zu stellen. So heißt der Plan zur Aushebelung der demokratischen Institutionen. Trump will die Kompetenzen des US-Präsidenten massiv ausbauen, in Bundesbehörden hineinregieren dürfen und das Haushaltsrecht des Kongresses aushöhlen. Die Demokraten betrachten das zu Recht als Vorbereitung einer Diktatur. Das laut auszusprechen, werden die Republikaner nun aber erst recht als Anstachelung zu Gewalt zurückweisen.
Ob Trump nun selbst in Rolle des Versöhners schlüpft, wird weithin spekuliert. Kann er das überhaupt? Will er das?
Nein, Trump will nicht in die Rolle des Versöhners. Wenn er das dennoch macht - und das deutet sich an -, ist das rein taktisch. Dann will er den maximalen Nutzen aus dem Attentat für den Wahlkampf ziehen. Aber dass Trump dauerhaft in die Rolle des Versöhners tritt, ist völlig ausgeschlossen. Er ist derjenige, der die Linken als Kommunisten, Faschisten, unamerikanisch und so weiter bezeichnet. Er will einen Teil der amerikanischen Bevölkerung deportieren. Er will elf Millionen Menschen in Lager einsperren. Trump lebt davon, dass er die USA einteilt in ein falsches Amerika und ein richtiges Amerika, das er angeblich repräsentiert.
Das Attentat lenkt zumindest von der Debatte über Bidens Alter und Gesundheit ab. Eine Chance für den Amtsinhaber?
Die Altersdebatte wurde in Deutschland etwas überschätzt. Nach dem TV-Duell haben sich die Umfragedaten nur leicht zugunsten von Trump entwickelt. Das wäre wieder einzufangen gewesen. Nach dem Attentat dürften Trumps Werte weiter steigen, aber die Frage ist: wie sehr und wie dauerhaft? Die Umfragen zeigen momentan einen stabilen Vorsprung für Trump von ein bis drei Prozent. Doch beim amerikanischen Wahlleute-System sind nur die Verschiebungen in den Bundesstaaten relevant, wo der Ausgang noch offen ist. Am Ende sind das Größenordnungen von mal hier 10.000, mal da 10.000 Wählerinnen und Wählern in einer Handvoll Staaten, die den Ausschlag geben. Jetzt vorherzusagen, wie die sich im November entscheiden werden, ist nicht möglich.
Sie stimmen also nicht ein, in den Chor derjenigen, die das Rennen um die Präsidentschaft nach dem Attentat für gelaufen halten?
Ich bin ziemlich sicher, dass der Ausgang nicht entschieden ist. Da wird dieses Ereignis überschätzt. Die Republikaner haben vor ihrem Nominierungsparteitag sowieso Rückenwind, auch weil in Milwaukee der noch unbekannte Kandidat für die Vize-Präsidentschaft präsentiert wird. Dieses Momentum flaut zum August hin wieder ab und die Demokraten haben dann ihren Parteitag. Bis zum November kann noch viel passieren, aber klar ist auch: Mit dem Attentat ist der für Joe Biden ohnehin schon schwierige Wahlkampf nicht einfacher geworden.
Mit Thomas Jäger sprach Sebastian Huld
Quelle: ntv.de