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Erst Pilot, dann Massenstart Für die Patienten ist die E-Akte ein Segen - mit technischen Fragezeichen

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Bei komplexen Krankheiten fühlen sich einige Patienten beim Gespräch mit Ärzten mitunter überfordert.

Bei komplexen Krankheiten fühlen sich einige Patienten beim Gespräch mit Ärzten mitunter überfordert.

(Foto: picture alliance/dpa)

Nach jahrelanger Debatte und vierjährigem Vorlauf beginnt an diesem Mittwoch die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte (EPA). Seit 2021 war die E-Akte in einer "Version 1.0" verfügbar, wenn Versicherte dies wollten. Jetzt startet die breite Einführung: zunächst in einer Pilotphase in ausgewählten Regionen, ab Mitte Februar geht die EPA bundesweit an den Start. Hier ein Überblick über die wichtigsten Fragen.

Was soll das überhaupt sein, eine elektronische Patientenakte?

"Die elektronische Patientenakte ist ein virtueller Aktenordner, in den künftig die Gesundheitsdaten von uns Patienten hineinkommen", sagt Sabine Wolter von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Beispielsweise Arztbriefe, Laborbefunde und Röntgenbilder liegen dann an einem einzigen, digitalen Ort, auf den die Ärztinnen und Ärzte Zugriff haben, wenn die Versicherten eine entsprechende Freigabe erteilen. Auch das Zahnbonusheft oder der Impfpass sollen dort hinterlegt sein.

Zum Start der Einführung ist die Akte allerdings noch leer. Ärztinnen und Ärzte sind zwar ab Mitte Februar verpflichtet, aktuelle Behandlungsunterlagen dort einzustellen. Ältere Befunde müssen sie aber nicht hochladen. Versicherte haben allerdings die Möglichkeit, das selbst zu tun. Oder sie können ihre Krankenkasse darum bitten. Bis zu zehn ältere medizinische Dokumente digitalisiert die Kasse dann, wie die Verbraucherzentrale erklärt.

Ist die EPA verpflichtend?

Nein. Die Nutzung der elektronischen Patientenakte ist für Versicherte freiwillig - und bleibt es auch. Angelegt wird die EPA für alle gesetzlich Versicherten ab dem 15. Januar, zunächst in den drei Modellregionen in Hamburg, Franken und NRW. Wer dies nicht will, muss bei seiner Krankenkasse Widerspruch einlegen. Über den genauen Weg informiert man sich dort. Das geht auch später noch. Man kann zudem festlegen, wer welche Zugriffsrechte hat. Einzelnen Ärzten kann so der Zugriff auf die EPA verweigert werden.

Und wenn man sie hat löschen lassen, sich aber wieder umentscheidet? "Dann kann man auch im Nachhinein die Krankenkasse bitten, erneut eine EPA anzulegen", sagt Sabine Wolter.

Welche Vorteile hat die EPA für Patienten?

Zum Beispiel einen besseren Überblick über die eigene Krankheitsgeschichte: Wann hatte ich die Bauchspiegelung, seit wann nehme ich diese Augentropfen? Wenn diese Fragen im Arztgespräch aufkommen, geraten einige Patienten ins Schlingern: "Viele Menschen haben Schwierigkeiten, ihre ganze Krankengeschichte zu schildern oder wissen Fachbegriffe nicht", sagt Sabine Wolter. Arztwechsel sollen mit der EPA leichter werden, weil die neue Praxis auf die darin hinterlegten Daten zugreifen kann.

Auch der Zugriff auf Dokumente wird über die EPA erleichtert. Wolter zufolge melden sich immer wieder Menschen bei der Verbraucherzentrale, die Schwierigkeiten schildern, weil Praxen ihnen ihre Dokumente nicht aushändigen wollen. Bei schweren Erkrankungen erleben viele Patienten zudem eine Überforderung, wenn sie die Behandlung durch unterschiedliche Ärzte selbst koordinieren müssen. Das soll mit der EPA einfacher werden.

Und ein dritter Punkt: Im Notfall soll die EPA eine bessere Behandlung ermöglichen. Sie informiert über Vorerkrankungen, über Allergien und über Untersuchungen, die bereits durchgeführt wurden. Trägt man die elektronische Gesundheitskarte bei sich, kann sie spätestens in der Notaufnahme Zugang zur EPA ermöglichen und damit wichtige Informationen für die Behandlung liefern.

Wie bekomme ich Zugriff auf meine EPA?

Die Arztpraxis, die Physiotherapeutin oder das Sanitätshaus bekommen über das Auslesen der elektronischen Gesundheitskarte Zugriff auf die Daten, die in der EPA liegen und die für sie sichtbar sind. "Wer die vollen Möglichkeiten nutzen will, braucht die EPA-App seiner Krankenkasse", ergänzt Sabine Wolter. Wie die genau heißt, kann man über eine Liste der Gematik herausfinden, die als "Nationale Agentur für Digitale Medizin" zuständig ist für die Telematik-Infrastruktur, also die sichere Vernetzung der medizinischen Versorgung innerhalb Deutschlands. Alternativ soll auch die Möglichkeit geschaffen werden, sich über eine Browser-Anwendung am PC Zugang zur EPA zu verschaffen.

Was es für den Zugang braucht:

Nötig ist eine elektronische Gesundheitskarte mit NFC-Funktion: "Die erkennt man daran, dass sich ein kleines Funkwellen-Symbol auf der Karte befindet", sagt Wolter. Zudem müssen Versicherte eine PIN bei ihrer Krankenkasse anfordern - das kann man auch vorab schon tun. "Die bekommen Sie allerdings nicht einfach so per Post zugeschickt, sondern Sie müssen sich authentifizieren", sagt Wolter. Gängig ist das Postident-Verfahren, bei dem man sich in der Postfiliale vor Ort mit dem Personalausweis legitimiert. Dieser Prozess wirkt auf manche ziemlich kompliziert: "Die App freizuschalten, erfordert Frustrationstoleranz", schreibt die Zeitschrift "Finanztest". Wer Unterstützung braucht, kann sie bei seiner Krankenkasse bekommen: Mit dem Ausrollen der EPA sind die Kassen verpflichtet, Ombudsstellen einzurichten, die bei der Einrichtung unterstützen.

Was für Einstellungen kann ich in meiner EPA vornehmen?

Sie können etwa Zugriffsrechte bestimmen. Nicht jeder Arzt, der auf die EPA zugreift, kann dann alles sehen, was dort abgelegt ist. Wer also nicht möchte, dass die Zahnärztin von der Psychotherapie erfährt, kann dafür sorgen. Der Zeitschrift "Finanztest" zufolge ist es sogar sinnvoll, bei den Zugriffsrechten nachzujustieren, denn viele Versicherte seien sich der sehr weitreichenden Voreinstellungen nicht bewusst. Die EPA sei so programmiert, dass "viele Personen, mit denen Sie aktuell im Gesundheitssystem zu tun haben, die meisten Inhalte aus der Versichertenkarte auslesen können", so "Finanztest". Also auch die Praxisangestellte oder der Apotheker.

"Man kann auch die Dauer der Zugriffsrechte verändern", sagt Sabine Wolter. "Standardmäßig sind in der EPA für Arztpraxen 90 Tage Zugriffsrecht eingestellt. Wenn die Karte dort eingelesen wird, startet diese Zeit." Für Apotheken sind standardmäßig drei Tage Zugriffsrecht programmiert.

Was gilt für Kinder?

Auch Kinder bekommen eine EPA, sofern die Eltern dem nicht widersprechen. "Ein Baby, das im März auf die Welt kommt, würde mit Beginn seiner gesetzlichen Familienversicherung eine EPA eingerichtet bekommen. Die verwalten dann natürlich die Eltern", sagt Sabine Wolter. Ab dem 15. Geburtstag kann das Kind selbst über seine EPA entscheiden.

Wie widerspreche ich?

Die Nutzung der EPA ist und bleibt freiwillig. Wer nicht möchte, dass eine für ihn oder sie eingerichtet wird, sollte rechtzeitig widersprechen.

Sind meine Daten sicher?

"Das Schutzniveau ist schon sehr hoch", sagt Sabine Wolter. "Die Daten werden schließlich nicht per Mail verschickt, sondern über die spezielle Telematikinfrastruktur, die eine Art geschlossenes Datensystem im Gesundheitswesen ist."

Dem widerspricht der Chaos Computer Club. CCC-Mitglied Martin Tschirsich sagt in einem Interview mit dem "Stern", sein Verein habe gezeigt, "wie wir uns die Schlüssel für den Zugang zu allen Akten besorgen können". Potenziellen Angreifern wäre "der Zugriff auf sämtliche digitalen Patientenakten möglich". Bereits im August 2024 habe er die Manipulationsmöglichkeiten der Gematik mitgeteilt, so Tschirsich. Im Dezember habe er die Sicherheitslücken praktisch demonstriert. Darauf habe Gesundheitsminister Karl Lauterbach den CCC über sein Büro kontaktiert und "sehr dringlich" um ein persönliches Gespräch gebeten. Bei einer Videokonferenz am 20. Dezember hätten die Vertreter des CCC jedoch keine Gelegenheit gehabt, ihre Bedenken vorzubringen und auf weitere Sicherheitsmängel einzugehen. "Er hat uns zu verstehen gegeben, dass diese Akte kommt - komme was wolle, so unser Eindruck", sagt Tschirsich dem "Stern".

Ist der CCC denn generell gegen die elektronische Patientenakte?

"Nein, aber die aktuelle EPA bleibt weit hinter dem zurück, was möglich wäre", so Tschirsich. "Für einige kann sie aber jetzt schon nutzbringend sein, darunter Menschen, die auf eine vernetzte Versorgung angewiesen sind, wo es wichtig ist, dass alle Daten, zum Beispiel die Medikationsliste, vollständig vorliegen. Es bleibt eine persönliche Entscheidung."

Was ist mit Privatversicherten?

Die privaten Krankenversicherungen können ihren Versicherten ebenfalls eine EPA anbieten, schreibt das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Webseite. Viele Versicherer bereiteten dies derzeit vor.

Daten auch für die Forschung

Einen Schub bringen soll die E-Akte auch für die Forschung. Geplant ist, dass von Juli 2025 an Daten der EPA für Forschungswecke an eine zentrale Stelle weitergeleitet werden. Die Daten werden dafür pseudonymisiert verwendet, wie das Ministerium erläutert - also ohne direkt personenbeziehbare Angaben wie Name und Adresse. Versicherte können aber auch dieser Nutzung in der App oder bei einer Ombudsstelle der Krankenkasse widersprechen. Gesundheitsminister Lauterbach sieht enorme Chancen für die Forschung mit großen Datenbeständen, wenn auch noch Daten aus Registern und Kassen-Abrechnungen einbezogen werden.

Quelle: ntv.de, hvo/dpa

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