Sprengmeister oder Brückenbauer? Gabriels Griechen-Roulette
08.07.2015, 14:14 Uhr
(Foto: AP)
SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel gefällt sich in der Rolle des scharfen Athen-Kritikers. In der eigenen Partei kommt das gar nicht gut an.
Am Dienstagabend ist Sigmar Gabriel wieder staatstragend. "Die Lage ist zu ernst für politische Spielchen, wir müssen den Menschen helfen. Europa lebt vom Kompromiss, nicht davon, dass einer seinen Kopf durchsetzt", schreibt er bei Facebook. Darunter zeigen Bilder den Vizekanzler im Gespräch mit dem französischen Präsidenten François Hollande. Es geht – natürlich – um Griechenland.
Gabriel, der Mann, der die Dinge anpackt und an vorderster Front verhandelt – so kann man das interpretieren. Der Vizekanzler versucht, sich beim Thema Griechenland zu profilieren. Doch viele Genossen beäugen ihren Parteichef argwöhnisch. Ihnen missfällt Gabriels Auftreten, sein Ton. Dass er so heftig gegen die Griechen poltert, häufig die Positionen wechselt und gegen Absprachen verstößt.
Was ist passiert? In der Fraktionssitzung Ende der vergangenen Woche hatten sich die SPD-Abgeordneten darauf geeinigt, den Ausgang des Referendums vorerst nicht zu kommentieren. "Füße stillhalten" lautete die Devise. Doch die Abstimmung war noch nicht vollständig ausgezählt, da meldete sich Gabriel am Sonntagabend zu Wort. Er sehe nach dem Nein der Griechen kaum Chancen für einen Kompromiss, sagte er dem "Tagesspiegel". Tsipras habe "letzte Brücken eingerissen, über die Europa und Griechenland sich auf einen Kompromiss zu bewegen konnten." Verhandlungen über neue Hilfsprogramme seien kaum mehr vorstellbar.
Von der Kanzlerin oder dem Finanzminister war an diesem Abend nichts zu hören. Kaum ein EU-Spitzenpolitiker wagte sich in diesen Stunden vor ein Mikrofon, aus Sorge, ein Satz könne missverstanden werden. Gabriel tat es.
"Dürfen nicht weiter Griechenland-Bashing betreiben"
In der eigenen Partei kam es nicht gut an, dass der Vorsitzende ohne Absprache vorpreschte. Mehrere SPD-Abgeordnete, darunter Fraktionsvize Axel Schäfer, äußerten Kritik. Der Parteilinke Klaus Barthel spricht von einem gewissen Unverständnis in der Fraktion. "Ich hätte es für sinnvoll gehalten, eine Denkpause einzuhalten. Man kann sich erst äußern, wenn man einen Plan hat, wie es weitergehen kann." In dieser Situation noch einmal zuzuspitzen, sei nicht klug gewesen. Was Gabriel sich dabei gedacht hat? Vermutlich habe er versucht, die Stimmungen aus Umfragen aufzufangen, sagt Barthel n-tv.de.
Gabriel gilt als Instinktpolitiker. Als einer, der sich stark von Stimmungen im Land beeinflussen lässt. Laut einer ZDF-Umfrage sind 51 Prozent der Deutschen für den Grexit, 70 Prozent lehnen weitere Hilfen ab. Barthel hält Gabriels Äußerungen vom Sonntag für falsch. Die griechische Regierung anzugreifen, sei unangebracht. Die Griechen hätten sich eindeutig hinter Tsipras gestellt, dies sei zu respektieren. "Wir dürfen nicht weiter Griechenland-Bashing betreiben. Am Ende muss man sich einigen und Griechenland entgegenkommen." Die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann sagte der "Welt", die SPD müsse Brückenbauer in Europa sein und nicht Sprengmeister.
Zu Wochenbeginn äußerte sich Gabriel in einer Pressekonferenz plötzlich zurückhaltender. Die Entscheidung des griechischen Volkes verdiene "vollen Respekt". Man dürfte das Land "nicht im Stich lassen", hieß es. Ausgerechnet Gabriel riet nun, "einen Moment innezuhalten". Der Parteichef war inzwischen intern bearbeitet worden. In einem Redeentwurf, aus dem die "Süddeutsche Zeitung" zitiert, hieß es noch: "Es gibt auf der Grundlage des Referendums keine neuen Milliarden-Hilfsprogramme für Griechenland. Ob Griechenland im Euro noch eine Zukunft hat, ist deshalb zur Stunde ungewiss." Doch die Sätze verschwanden, Gabriel sagte sie nicht.
Politik ist wie Golf
Es ist nicht das erste Mal, dass der Vizekanzler beim Thema Griechenland die Marschrichtung ändern muss. Ähnliches geschah auch nach Bekanntwerden des griechischen Referendums. Anders als fast sämtliche EU-Finanzminister begrüßte Gabriel zunächst die Volksabstimmung. Man wäre klug beraten, den Vorschlag von Tsipras nicht einfach abzutun, sagt er an jenem Samstag dem Deutschlandfunk. Zwei Tage später erklärte Gabriel nach einer Fraktionssitzung plötzlich: "Das Beste wäre, wenn Herr Tsipras das Referendum absagt."
Die Kanzlerin fällt in der Griechenland-Krise vor allem durch Zurückhaltung auf. Umso stärker wirken die Sätze von Gabriel. Er schwankt zwischen diplomatisch und aggressiv. Im Februar hatte die SPD der Verlängerung der Griechenland-Hilfen noch einstimmig zugestimmt. Wie wird sich die Partei bei einer neuen Abstimmung verhalten? Welche Linie der Parteichef vorgibt, ist unklar. Auf seine harte Haltung angesprochen, verwies er am Montag auf unzählige Mails von Mitgliedern, die vor zu viel Verständnis gegenüber Griechenland warnen.
Tatsächlich dürfte den SPD-Chef auch die innere Ungeduld antreiben. Zwei Jahre vor der Bundestagswahl läuft Gabriel die Zeit davon. Ob Mindestlohn oder Rente mit 63: Die SPD hat viel durchgesetzt, aber in Umfragen kommt die Partei nicht über 25 Prozent. Es muss etwas geschehen. Möglicherweise ist es das, was Gabriel dazu bewegt, sich von der ruhigen Sacharbeit zu verabschieden, die er seiner Fraktion nach der Wahl auferlegt hat. Auf seiner Sommerreise im vergangenen Jahr verglich Gabriel in einem Hintergrundgespräch die Politik mit Golf. Die ersten zwei Jahre in der Koalition werde man nur auf Sicht spielen. Erst wenn das gelinge, könne man auf die Driving Range wechseln - für die ganz langen Schläge.
Quelle: ntv.de