Politik

Interview mit Klaus Wowereit "Gerhard Schröder war wirklich sauer"

Wowereit hat ein Buch über seine Stadt geschrieben - es ist in weiten Teilen ein Erklärstück.

Wowereit hat ein Buch über seine Stadt geschrieben - es ist in weiten Teilen ein Erklärstück.

(Foto: picture alliance / Jörg Carstens)

Mehr als ein Jahrzehnt lenkt Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister die Geschicke Berlins. Vor einigen Jahren gibt er den Posten dann ab. Mit n-tv.de spricht der SPD-Politiker über fehlende Wohnungen, seine dunkelste Stunde und Sahra Wagenknecht.

n-tv.de: Herr Wowereit, Sie waren dreizehn Jahre Regierender Bürgermeister von Berlin …

Klaus Wowereit: … dreizehneinhalb …

… und haben sich vor einigen Jahren aus der aktuellen Tagespolitik zurückgezogen. Hat sich seitdem Ihr Blick auf Berlin verändert?

Nicht wesentlich. Ich bin immer noch ganz begeistert von Berlin und versuche, mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen. Heute habe ich mehr Zeit dazu. Ich gucke noch genauso kritisch und bin genauso erfreut, wenn sich etwas verändert. Denn Berlin muss sich verändern und hat nur Chancen, wenn Veränderungen angenommen werden.

Ihr Buch soll ausdrücklich keines über Sie, sondern über die Stadt sein. Braucht Berlin eine Verteidigungsschrift?

Ich hoffe, dass viele das Buch nutzen, um mal über Berlin nachzudenken. Eine Verteidigungsschrift soll es nicht sein, aber eine Chance, mit Vorurteilen aufzuräumen. Wir nehmen etwa wie selbstverständlich hin, dass wir heute eine Startup-Szene in Berlin haben. Andere beklagen, dass die Industrie weg ist. Da ist es sicherlich hilfreich, einen historischen Abriss zu geben, um eine Perspektive zu entwickeln.

Klaus Wowereit
  • Er wird am 1. September 1953 in Berlin geboren.
  • 1972 tritt er in die SPD ein.
  • 1979 zieht der studierte Jurist ins Bezirksparlament in Tempelhof ein.
  • 2001 wird er Regierender Bürgermeister von Berlin und führt ab 2002 eine rot-rote Koalition.
  • In seiner Regierungszeit fährt die Stadt einen rigorosen Sparkurs.
  • Mit dem Satz "Ich bin schwul und das ist auch gut so" outet er sich auf dem Landesparteitag 2001.
  • Berlin beschreibt er mit dem Slogan "Arm - aber sexy". Auch dies wird zum geflügelten Wort.
  • Als Aufsichtsratschef muss er 2012 die geplante Eröffnung des BER absagen.
  • Ende 2014 tritt er zurück.
  • Wowereit lebt mit seinem Partner Jörn Kubicki in Berlin.

Berlin-Bashing scheint gerade wieder einmal schwer im Trend zu sein. Wollten Sie dagegenhalten?

Ich habe versucht klarzumachen, dass Berlin die Hauptstadt aller Deutschen ist - für die Menschen in Rostock ebenso wie für die in Garmisch-Partenkirchen. Auch für ein föderales System ist eine starke Hauptstadt kein Widerspruch. Ministerpräsidenten nutzen Berlin gern als Forum, wenn sie etwas zu verkünden haben. Wir sehen auch an den Besucherzahlen: Diese Stadt ist attraktiv. Wenn man irgendwo hinkommt, muss man Berlin nicht lange erklären. Trotzdem gibt es bei einigen das Gefühl: Die nehmen uns was weg. Aber die Banken wären nicht in Frankfurt und viele Medien nicht in Hamburg, wenn es nicht über Jahrzehnte die widernatürliche Teilung der Stadt gegeben hätte. Wenn jetzt etwas nach Berlin zurückkommt, ist das vielleicht für andere Städte bitter, aber sicher nicht ungerechtfertigt. Doch Berlin-Bashing kommt ja nicht nur von außen. Bei Angriffen ziehen Berliner immer den Kopf ein. In Hamburg und Düsseldorf haben die Menschen ein anderes Selbstbewusstsein, die würden die Reihen schließen. Bei uns haut man selbst nochmal drauf.

Eines der größten Probleme der Stadt ist fehlender Wohnraum. Sie plädieren für eine Stärkung der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften - in Ihrer Zeit als Regierungschef aber wurden Zehntausende Wohnungen privatisiert.

Damals gab es eine Debatte darüber, wie viel Wohnraum die öffentliche Hand braucht. Wir hatten 150.000 leer stehende Wohnungen und keinen Hinweis auf eine derart wachsende Bevölkerung. Und wir hatten ein riesiges Haushaltsdefizit. Der Verkauf war Teil der Konsolidierung. Aus heutiger Sicht war es falsch. Aber aus der damaligen Sicht war es nachvollziehbar. Wenn Mietpreissteigerungen jetzt nicht durch höhere Löhne bezahlt werden können, muss die Politik gegensteuern.

Hier gratuliert Schröder Wowereit zum Wahlsieg. Dass dieser mit der PDS koalierte, begeisterte den Kanzler dann gar nicht.

Hier gratuliert Schröder Wowereit zum Wahlsieg. Dass dieser mit der PDS koalierte, begeisterte den Kanzler dann gar nicht.

(Foto: picture alliance / dpa)

Macht der jetzige Senat bei dem Thema genug?

Programmatisch haben alle drei Koalitionspartner (SPD, Linke und Grüne) dies zu einem Schwerpunktthema gemacht. Offensichtlich hapert es aber an der Zahl der Baugenehmigungen und deren Umsetzung. Es muss in der Stadt verstanden werden, dass das Problem nur abgemildert wird, wenn mehr gebaut wird. Wir haben so gut wir keinen Leerstand mehr. Die Mentalität, "ja wir brauchen Wohnungen, aber nicht bei mir", wird nicht funktionieren. Man wird auch verdichten und Freiflächen nutzen müssen. Und das ist manchmal schmerzlich. Schließlich muss man schauen, ob man nicht stärker in die Höhe baut.

Ein großer Abschnitt Ihres Buches widmet sich dem BER. Sie nennen die verschobene Eröffnung des Flughafens 2012 die "dunkelste Stunde" Ihrer Amtszeit. Können Sie das Thema noch hören?

Natürlich würde ich lieber hören, dass er fliegt und die Kapazitäten nicht ausreichen. Ist leider nicht der Fall. Das schmerzt mich nach wie vor, denn der Flughafen wird gebraucht, nicht nur für Berlin. Bei aller berechtigten Kritik - es gibt zu viele, die ein Interesse und eine Freude am Misslingen des Projekts haben. Das ärgert und bewegt mich noch immer. Man darf nicht vergessen, dass an dem Flughafen drei Gesellschafter beteiligt sind: Berlin, Brandenburg und der Bund. Wenn es Ärger gibt, liegt der Flughafen in Berlin; wenn es etwas zu verteilen gibt, ist Brandenburg immer kräftig dabei. Und der von CSU-Ministern vertretene Bund denkt vielleicht ein bisschen zu viel an München.

Lassen Sie uns noch über Ihre Partei sprechen. Sie plädieren für einen Linksschwenk der SPD, ohne die Vergangenheit zu diskreditieren. Kann das ohne Aufarbeitung der Agenda 2010 funktionieren?

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Leider fällt den meisten zur Agenda 2010 nur Hartz IV und keiner der anderen neun Punkt ein. Es gibt die, die betonen, dass es ohne die Agenda den Aufschwung nicht gegeben hätte. Man muss aber auch sagen, dass die SPD unter der Agenda-Debatte stark gelitten und viel Glaubwürdigkeit bei unserer eigenen Klientel verloren hat. Dazu gehört auch die Rente mit 67, die ja gar nicht Teil der Agenda 2010 war. Mathematisch war sie vielleicht richtig, emotional aber ein absoluter Killer.

Die Menschen dürfen nicht das Gefühl bekommen, aussortiert zu werden und Almosen zu bekommen. Für mich gehören dazu in erster Linie mehr Jobs und eine gute Bezahlung. Altersarmut entsteht nicht im Alter, sondern während der aktiven Zeit. Kinderarmut gibt es nicht ohne Elternarmut. Deswegen sind Themen wie Mindestlohn und die Höhe des Hartz-IV-Satzes entscheidend. Oder die Frage, wie man Menschen ohne Chance auf dem Arbeitsmarkt helfen kann. Es kann nicht schaden, das System mal auf Effizienz zu überprüfen. Dazu brauche ich aber keine Ideologie, sondern eine schonungslose Analyse der Strukturen.

Was wäre daran links?

Arbeitnehmerrechte, Mindestlohn, Entlastung, Steuergerechtigkeit. Dazu gehört auch die Frage nach einem solidarischen Grundeinkommen. Ich selbst bin da eher skeptisch. Ich glaube aber, dass viele junge Menschen das demnächst ganz anders sehen werden.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass in Zeiten des rot-roten Senats Gregor Gysi und der damalige Kanzler Gerhard Schröder "dickste Freunde" waren. Wie kam es dazu?

Als wir 2002 die Koalition mit der PDS eingingen, war Schröder wirklich sauer. Er wollte lieber, dass wir mit der FDP und den Grünen regieren. Mit Gysi hatte er sich wegen der Afghanistan-Frage im Bundestag überworfen. Da war Funkstille. Aber Schröder war immer ein Pragmatiker. Und wenn er Berlin im Bundesrat bei Abstimmungen brauchte, war die Sichtweise etwas differenzierter. Wir hatten mal einen Termin im Kanzleramt. Da sind wir beide hin als Koalition und die Atmosphäre war ganz vertraut und ganz lieb - und Berlin hat dann zugestimmt. Ich glaube, wenn die sich heute begegnen, haben sie keine Probleme miteinander.

Was halten Sie von der Sammlungsbewegung, die Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht vorgeschlagen haben?

Nichts. Die SPD muss ihr Verhältnis zur Linkspartei ordnen. Wir hatten in Berlin eine erfolgreiche Koalition. Das waren bestimmt nicht die schlechtesten Jahre für die Stadt. Deswegen habe ich da keine Berührungsängste. Es gibt aber auch erhebliche Unterschiede zwischen den Landesverbänden und der Bundespartei. Frau Wagenknecht ist nun, mit Verlaub, eine Protagonistin dafür, dass eher gespalten wird, als dass man irgendwas gemeinsam machen kann. Und zu Oskar Lafontaine fällt einem auch nicht mehr viel ein.

Sorgen Sie sich manchmal um das politische Überleben der SPD?

Man hat schon viele Kommentare in diese Richtung gelesen. Komischerweise war die SPD bei der Regierungsbildung dann doch wieder wichtig. Und das soll sie auch sein. Wir brauchen eine linke Volkspartei in dieser Republik. Und das kann nur die SPD.

Mit Klaus Wowereit sprachen Hubertus Volmer und Jürgen Wutschke

Quelle: ntv.de

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