Politik

Partei sucht das Comeback-Rezept Grüne wollen mit Trotz aus Tal der Tränen finden

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Dröge und Haßelmann suchen mit ihrer Fraktion nach dem richtigen Kurs in der Opposition.

Dröge und Haßelmann suchen mit ihrer Fraktion nach dem richtigen Kurs in der Opposition.

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

Trotz allem war es gut, zu regieren, beteuern die Grünen. Tendenzen zu linkem Populismus wollen sie trotzen. Überhaupt: Mehr Trotz soll es richten für die Partei, die spät die eigene Überforderung mit dem Regieren einräumt. Sich nun in der Opposition wieder zu berappeln, fällt den Grünen dennoch nicht leicht.

Wie sehr doch die Party für die Grünen inzwischen vorbei ist, wird am Abend des Sommerfests ihrer Fraktion augenfällig. Kein Bundeskanzler ist diesmal zu Gast, überhaupt kein prominentes Gesicht einer anderen Partei erweist der Fraktion die Ehre. Aus den eigenen Reihen läuft erst recht kein Bundesminister mehr herum. Ein Jahr zuvor sah das alles noch ganz anders aus. Nun ist derselbe Veranstaltungsort, der Festsaal Kreuzberg, sichtbar weniger gut besucht. Immerhin: Ex-Außenministerin Annalena Baerbock ist lange und für alle sichtbar zugegen, bevor sie sich für ihren neuen Diplomaten-Topjob nach New York verabschiedet. Der Kürzlich-noch-Kanzlerkandidat Robert Habeck sagt auch kurz Hallo. Alles nicht so dolle gerade in der Partei, die noch vor einem halben Jahr das Land mitregiert hat.

Eine Woche später ist dieselbe Fraktion zu einer zweitägigen Klausur zusammengekommen. Thema der Veranstaltung sei "die strategische Ausrichtung der Grünen in der Opposition", wie Fraktionschefin Katharina Dröge zum Auftakt am Montagmorgen wissen lässt. Neben den 85 Bundestagsabgeordneten sind auch die beiden Parteivorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak zu Gast. Dröge und ihre Co-Fraktionschefin Britta Hasselmann haben zuvor ein Thesenpapier in Umlauf gebracht. In sechs Unterpunkten analysieren die Autorinnen bisherige Fehler und die Lektionen daraus und begründen zugleich, warum ihr Kurs der vergangenen drei Monate im Kern richtig gewesen sei.

Allerhöchste Zeit für eine Trendwende

Die Selbstbefassung aber tut Not: Mit 11 bis 12 Prozent Zustimmung im RTL/ntv Trendbarometer liegen die Grünen als einzige der drei Oppositionsparteien -wenn auch leicht - konstant unter ihrem Bundestagswahlergebnis. Die Linke dagegen rangiert nun regelmäßig auf Eigenhöhe. Vor allem aber hat sie ein Momentum. Das brauchen auch die Grünen dringend: Im kommenden Jahr wählen die Bundesländer Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ihre Parlamente neu. Nirgendwo dort haben die Grünen derzeit besonders rosige Aussichten - auch nicht im Ländle, wo Spitzenkandidat Cem Özdemir die Nachfolge des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann antreten will. Aus Grünen-Sicht heißt das: allerhöchste Zeit für eine Trendwende, die Grünen müssen auch aus der Opposition heraus medial stattfinden.

Wie das aussehen kann, hat die vergangene Woche gezeigt: Im Streit um die Masken-Käufe durch Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sucht die Partei die Rolle des Chefaufklärers. Diverse Grünen-Abgeordnete gingen den heutigen Unionsfraktionschef Spahn hart an. Von "korruptiven Vorgängen" sprach da etwa Grünen-Geschäftsführerin Irene Mihalic. Die SPD bekam wiederum ihr Fett ab, weil sie einen von den Grünen geforderten Untersuchungsausschuss im Gleichklang mit der Union ablehnt. Auf Bundesebene aber müssen die Grünen jetzt niemanden mehr schonen. So ist das nämlich als Oppositionspartei, doch diese Rolle kennen jene Fraktionsmitglieder gar nicht, die erst 2021 oder 2025 erstmals in den Bundestag kamen - und das ist die Mehrheit.

Die Union wird wieder zum Gegner

Die Fraktionsspitze fordert nun mehr "Optimismus", auch in der Außendarstellung. Zudem brauche es mehr Selbstbewusstsein: "Wir Grüne haben manchmal ein bisschen dann, wenn es richtig hart wurde, so gewirkt, als würden wir eher einen Schritt zurück machen oder uns sogar entschuldigen für das, was wir vorschlagen", sagte Fraktionschefin Dröge vor Klausurbeginn. So seien aber keine Debatten zu gewinnen. Offen spricht die Partei aus, was sie in der Regierungsrolle überrascht und überfordert hat: Wer das Ende fossiler Energien vorantreibt, fordert Unternehmen heraus, die damit ihr Geld verdienen. So werde grüne Wirtschaftspolitik zur Machtfrage, sagt Dröge am Montag. "Nur, wer diese Machtfragen klar hat, ist auch vorbereitet auf die Auseinandersetzungen, die anstehen."

Es ist ein verklausuliertes Eingeständnis, dass die Grünen eben nicht drauf vorbereitet waren, dass etwa beim Heizungsgesetz die Gas-Wirtschaft aus allen Rohren feuern werde - koordiniert mit dem politischen Gegner. "Der Union ist Klimaschutz offensichtlich völlig egal", schreiben Dröge und Haßelmann in ihrem Thesenpapier. "Sie beteiligt sich an Medien-Kampagnen, in denen Unwahrheiten über klimafreundliche Technologie verbreitet werden, die allein den Gewinninteressen von Gas-Unternehmen dienen."

Noch im Wahlkampf war von dieser Sicht auf die Union wenig bis nichts zu spüren. Da wollte die Grünen-Spitze auch dann noch nicht die Möglichkeit einer schwarz-grünen Koalition ausschließen, als die eigene Klientel wegen des gemeinsamen Abstimmens von CDU, CSU und AfD schon völlig entrüstet war. Viele Wähler wechselten von den Grünen daher zur Linkspartei.

Abgrenzen von der Linken

Die Grünen haben mit der erstarkten, bewusst krawallig auftretenden Linken ein echtes Problem: Da ist nun eine Partei, die alle grünen Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit, Gleichstellung, Umverteilung und Klimaschutz durch Maximalforderungen übertrumpft. Eine Partei, die sich nicht als Regierungspartei im Wartestand sieht. Die Grünen dagegen wollen "staatstragend" bleiben - und verweisen mit Stolz darauf, der neuen Regierung die Grundgesetzänderung zur Aufnahme massiver Schulden ermöglicht zu haben.

"Gute Politik ist mehr als die steilste These, die beste Pose", schreiben die Fraktionsvorsitzenden. Gute Oppositionspolitik bedeute Kontrolle, Kritik und das Vorlegen von Gegenvorschlägen, aber eben auch "eine Regierung, deren Kurs wir falsch finden, dann unterstützen, wenn sie in der Sache etwas richtig macht". Das sei nicht der leichteste Weg, aber er sei richtig.

Zugleich wollen die Grünen inhaltlich durchdringen mit eigenen Vorschlägen, was eben besonders schwierig ist, wenn eine Partei absehbar nicht mitregiert. Haßelmann bringt vor der Fraktionsklausur Steuergutschriften für alleinerziehende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ins Gespräch sowie mehr Entlastungen für pflegende Angehörige.

Die Politik müsse sich auf konkrete Alltagsprobleme konzentrieren. "Stattdessen beschäftigen wir uns mit Schlagzeilen wie 'Die neue Frauenministerin nutzt den Genderstern nicht'", ätzte Haßelmann. "Wen interessiert das?" Die Partei sehnt sich danach, nicht immer wieder populistischen Anfeindungen Raum zu geben, sie seien eine radikal-linke Verbotspartei. Doch dann kommen immer wieder einzelne, wie zuletzt die Grüne-Jugend-Vorsitzende Jette Nietzardt mit ihrem "All Cops Are Bastards"-Pullover.

Weg vom "Zerrbild"

Solche Aufreger bekommen viele Menschen mit, die Ideen der Grünen für Arbeitnehmer, die sich nebenher noch um pflegebedürftige Eltern kümmern, eher nicht so viele. Im Kampf um Aufmerksamkeit schlägt Krawall Konzept, sei es durch die eigenen Linken oder durch die Linksfraktion. Dröge und Haßelmann sehen das Problem: "Bürgergeld, höhere Familienleistungen, günstigerer Strom, eine BAföG-Reform, das Deutschlandticket, das Start-Chancen-Programm, der Kulturpass - all das waren Grüne Herzensthemen. Für all das haben wir uns starkgemacht", blicken beide auf die Erfolge der Ampel-Jahre zurück. "Und doch verfängt zu oft noch das Zerrbild der alltagsfernen Elite-Partei. Das muss uns zu denken geben."

Der Widerspruch: Zugleich wollen die Grünen, so das Thesenpapier ihrer Fraktionsspitze, künftig nicht mehr die Zumutungen von Klimaschutzpolitik kleinreden. Zu oft hätten die Grünen beschwichtigt und den Eindruck erweckt, alles könne bleiben wie bisher, nur eben "mit grünem Anstrich". "Wenn man aber das Offensichtliche nicht ausspricht, schürt das Misstrauen. Wir brauchen deswegen Eindeutigkeit und Ehrlichkeit", so die Autorinnen. Beide sind derzeit die - nicht sonderlich bekannten - Aushängeschilder ihrer Partei. Die seit einem halben Jahr amtierenden Parteivorsitzenden finden noch weniger statt und haben auch im eigenen Lager noch keine Begeisterung entfachen können. Ihr Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sorgte wegen der eher diffusen Botschaft darin parteiintern für Stirnrunzeln.

Vakuum an der Spitze

Die im Vergleich zu Haßelmann jüngere Fraktionschefin Dröge gilt derzeit als am ehesten geeignet, der Partei wieder ein Gesicht zu geben. Eloquent, erfahren, tief in den Themen und zunehmend auch einmal rauflustig tritt die 40-jährige Mutter vor den Kameras auf. Mit dem Charisma von Baerbock und Habeck, die in den Fridays-for-Future-Jahren als Politiker neuen Typs in alle möglichen Wählergruppen hineinstrahlten, kann aber auch Dröge nicht mithalten. Noch gibt man sich in der Partei ob des Führungsvakuums gelassen. Es brauche Zeit, bis andere in die Rolle der plötzlich abhandengekommenen Spitzenpolitiker Baerbock und Habeck hineinwachsen könnten.

Zumindest mit Blick auf die näher rückenden Landtagswahlen stimmt das zwar nicht, andererseits kann ja auch die Beliebtheit der Regierungsparteien im Bund wieder schnell einbrechen - zum Wohl der Opposition. Das Problem der Grünen: Diese nach ihrem Selbstverständnis staatstragende Partei wünscht der Koalition kein Scheitern. Schlimmer noch: Mit Blick auf die wachsende Polarisierung des Landes und den wachsenden Zuspruch für AfD und Linke wünschen viele Grüne den Schwarz-Roten sogar heimlich Erfolg. Aber so etwas schreibt man in kein Thesenpapier - und kluge Frauen schon gar nicht.

Quelle: ntv.de

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