Eine Deutsche in der Toskana "Ich liebe Italien, aber ich verstehe es nicht"
25.01.2018, 10:51 Uhr
Die Maremma, in der Hannah Lesch lebt, liegt im Süden der Toskana.
(Foto: picture-alliance / dps)
Warum wird in Italien ständig am Wahlgesetz herumgewerkelt, warum lassen sich die Italiener das bieten? Für eine junge Deutsche, die seit ihrer Kindheit in Italien lebt und selbst politisch aktiv ist, bleibt das Land schleierhaft.
Eine Deutsche, die im Stadtrat einer toskanischen Kleinstadt sitzt und zugleich Vorsitzende der örtlichen sozialdemokratischen Partei PD ist, obwohl sie gar nicht wählen darf, jedenfalls nicht bei den anstehenden italienischen Parlamentswahlen, ist natürlich eine Nachricht wert. Für die italienischen Medien sowieso. Hannah Lesch, 25 Jahre alt, Studentin der Politikwissenschaften und internationalen Beziehungen, lebt seit 2001 in Montemerano, einer malerischen Ortschaft in der toskanischen Maremma mit gerade einmal 400 Einwohnern, die zur Gemeinde Manciano gehört.
Zur Welt kam Lesch in München, und was ihre Leidenschaft für die Politik betrifft, verdankt sie diese sicher ihrer Mutter, Sabine Csampai, einer Grünen, die in den 90er-Jahren dritte Bürgermeisterin der bayerischen Landeshauptstadt war. "Stimmt", sagt Lesch im Gespräch mit n-tv.de. Sie spricht fließend Italienisch mit toskanischem Akzent. "Aber dann ist da auch noch das Bewusstsein, dass man so einen schönen Fleck Erde, wie die Maremma einer ist, schützen muss, damit es weiter so lebenswert bleibt."
Lesch hat einen Sinn für das Gemeingut, der ihr bei vielen Italienern fehlt. "Wohlgemerkt, ich liebe dieses Land und dieses Volk. Nur: Ich verstehe dieses Immer-dagegen-Sein nicht, dieses ständige Klagen. Es mag abgedroschen klingen, aber ist die politische Klasse nicht letztendlich das Abbild der Gesellschaft? Es gibt Leute, die wettern gegen die 'Kaste', sind aber die Ersten, die eine Warteschlange überspringen, wenn sie jemanden in gehobener Position kennen."
Dass sie nicht wählen darf, tut ihr natürlich leid. Aber im nächsten Jahr müsste es klappen, die italienische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Bisher konnte sie nicht das dafür erforderliche Einkommen aufweisen. Mit 18 ist sie dem PD beigetreten, politisch aktiv ist sie also schon seit sieben Jahren. Nichtsdestotrotz gibt es noch immer Sachen, die für sie schleierhaft sind. Angefangen beim neuen Wahlgesetz - nicht Gesetz an sich. "Das hört sich komplizierter an als es ist", sagt Lesch und erklärt es in einem Satz: "Zwei Drittel der Stimmen werden anhand von Kandidatenlisten proportional verteilt, das bleibende Drittel wird über Direktmandate nach dem Mehrheitsprinzip vergeben." Was sie nicht versteht, ist etwas anderes, nämlich "warum hier immer wieder das Wahlgesetz geändert wird, obwohl das parlamentarische Zweikammersystem immer das gleiche ist".
In der Tat: Fünf Mal hat Italien seit 1945 das Wahlgesetz geändert. Da liegt der Verdacht nahe, die Parteien würden sich die Regeln je nach ihren Gewinnchancen zurechtschneidern. Und dass das Einprägsamste an den Gesetzen ihre Namen sind, ist auch kein Ansporn, an den Wahlen teilzunehmen. Eines hieß "Porcellum", Ferkel. "Warum hinterfragen die Wähler nicht, weswegen die Regeln ständig geändert werden?", fragt Lesch sich.
Hinzu kommt, dass der eigentliche Wahlkampf nur sehr kurz ist, gerade vier Wochen: Die endgültigen Kandidatenlisten stehen erst Ende Januar fest, gewählt wird am 4. März. "Anders als in Deutschland geht es hier viel weniger um Inhalte und Programme, weit mehr um Schlagworte, um Marketing. Nur wenige machen sich die Mühe, sich die Versprechen und Vorhaben der Parteien genauer anzusehen." In den Programmen gibt es tatsächlich den einen oder anderen Punkt, der einer genaueren Betrachtung unterzogen werden sollte, das bedingungslose Grundeinkommen für alle etwa, das die Fünf-Sterne-Bewegung verspricht, oder die Einheitssteuer von 20 Prozent des italienischen Wiedergängers Silvio Berlusconi.
Apropos Berlusconi, auch sein Comeback gehört zu den Mysterien dieses Landes. "Ich kann mich noch genau erinnern, wie meine Eltern schon am Anfang seiner politischen Karriere der festen Überzeugung waren, die Italiener würden schnell erkennen, dass Berlusconi nur eine Witzfigur ist."
Bekanntlich kam es anders, Berlusconi hat über zwei Jahrzehnte die Politik hierzulande bestimmt. "Dank seiner TV-Sender war er in jedermanns Haus", sagt Lesch. "Eine ganze Generation ist damit groß geworden. Um diese zu entwöhnen, braucht es Zeit und Geduld."
Quelle: ntv.de