Huthi-Attacken im Roten Meer Im Jemen droht dem Westen ein Scheitern mit Ansage
08.02.2024, 15:53 Uhr Artikel anhören
Kriegstüchtig: ein Huthi-Kämpfer in der Stadt Sanaa.
(Foto: picture alliance/dpa)
Deutschland schickt die Marine in einen gefährlichen Einsatz vor dem Roten Meer, die USA und Großbritannien bombardieren den Jemen: Nachdem die Huthi wiederholt Handelsschiffe angegriffen haben, setzt der Westen vor allem auf die militärische Karte. Berlin sollte die Konflikte lösen, anstatt sie mit anzuheizen.
In den vergangenen Monaten griffen die Huthi-Rebellen aus dem Jemen wiederholt Handelsschiffe in der Meerenge zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden an. Um internationale Schifffahrtsrouten zu sichern, haben die Regierungen der USA und des Vereinigten Königreichs seit Januar mehr als hundert Stellungen der Huthis innerhalb des Jemens angegriffen. Die EU plant, Ende Februar eine Marinemission ins Rote Meer zu entsenden. Deutschland wird daran durch die Fregatte "Hessen" beteiligt sein, die am Donnerstag in Richtung Naher Osten ausgelaufen ist.

Jonas Ecke ist ein geopolitischer Analyst und Berater für humanitäre Hilfsorganisationen. Im Jahr 2022 arbeitete er als Berater für eine humanitäre Hilfsorganisation im Jemen, die in Krisengebieten Krankheiten wie Malaria und Denguefieber bekämpft. Zuvor hat der promovierte Anthropologe in Liberia, Ghana und dem Südsudan gearbeitet.
Vergleichbare militärische Vorgehensweisen sind in der Vergangenheit gescheitert und haben lokale Gesellschaften vorhersehbar destabilisiert, auch und besonders im Jemen. Die Tatsache, dass es im Jemen nicht zielführend sein kann, auf die militärische Karte zu setzen, scheint Entscheidungsträgern bereits klar zu sein. Als Präsident Biden kürzlich gefragt wurde, ob die Luftangriffe die Huthis von weiteren Attacken abhielten, antwortete er: "Nein. Werden sie fortgesetzt? Ja."
Deutschland hat noch einen Ruf in der Region
Gerade Deutschland könnte deeskalierend wirken. Trotz erheblicher Rüstungsexporte in die Region und der Unterstützung für Israel hat die Bundesrepublik aufgrund ihrer vergleichsweise zurückhaltenden Position hinsichtlich direkter militärischer Interventionen im Nahen Osten einen guten Ruf. Auch die Flüchtlingspolitik der Merkel-Regierung - man denke nur an von Syrern verfasste Tweets wie "We Love You, Angela" - hat einen Vertrauensvorschuss geschaffen, den die Bundesregierung für diplomatische und humanitäre Bemühungen nutzen könnte.
Dies wäre dringend erforderlich, da Konflikte derzeit nicht nur im Jemen eskalieren. Hinzukommen die Kampfhandlungen zwischen Israel und Hamas im Gazastreifen sowie die vom Iran unterstützten Angriffe auf US-Militärbasen in Jordanien, Syrien und dem Irak und die US-Vergeltungsschläge als Reaktion auf diese Angriffe. Selbst scheinbar kleinere militärische Fehleinschätzungen in Teheran oder Washington könnten einen Flächenbrand auslösen, der auch für Europa hochgefährlich wäre.
Die militärischen Operationen der Huthis haben zum Ziel, die wirtschaftlichen Kosten für Israels militärisches Vorgehen im Gazastreifen zu erhöhen. Die Kosten für die Weltökonomie aufgrund des Vorgehens der Huthis sind schon jetzt immens: So meldet die Beratungsfirma Sea-Intelligence, dass die Störungen im Schiffsverkehr aufgrund der Angriffe der Huthi im Roten Meer bereits jetzt schwerwiegendere Auswirkungen auf die Lieferketten haben als die Unterbrechungen zu Beginn der COVID-19-Pandemie.
Die Huthi sind lokal gut verankert
Der Jemen ist momentan wohl eines der am stärksten gespaltenen Länder der Welt, mit einer erheblichen Polarisierung zwischen dem sunnitischen Süden und dem schiitischen Norden sowie zwei de-facto-Regierungen. Im schiitisch geprägten Norden herrschen die von Iran unterstützten Huthi-Milizen, während der Süden von einer international anerkannten Regierung regiert wird, die unter erheblichem Einfluss der Golfstaaten steht. Bis April 2022 befanden sich beide Regierungen im Krieg miteinander.
Die Huthis werden in den internationalen Medien oft vereinfacht als militärischer Stellvertreter des Iran dargestellt, und tatsächlich erhalten sie militärische sowie geheimdienstliche Unterstützung aus dem Iran. Dennoch handeln sie nicht aufgrund von Marschbefehlen der iranischen Machthaber Ajatollah Ali Chamenei oder Präsident Ebrahim Raisi.
Obwohl ihre Herrschaft als diktatorisch beschrieben werden kann, genießen sie im Vergleich zur international anerkannten Regierung im Süden eine höhere Legitimität und eine stärkere lokale Verankerung. Die Huthis entwickelten sich als Oppositionsbewegung gegen den jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh, dessen korrupte Regierung das Land in Armut stürzte und der von Saudi-Arabien und den Vereinigten Staaten unterstützt wurde. Nach der US-Invasion im Irak im Jahr 2003 entwickelten die Huthis eine Außenpolitik, die von ihrer Ablehnung der Vereinigten Staaten und Israels geprägt war. Nachdem sie aufgrund von Protesten, die durch den Arabischen Frühling inspiriert waren, im Jahr 2015 - ironischerweise gemeinsam mit dem ehemaligen Präsidenten Saleh - endgültig die Macht übernommen hatten, startete Saudi-Arabien seine Bombenangriffe gegen die Huthis.
Golfstaaten wollen Deeskalation
Trotz fehlender internationaler Anerkennung gewinnen die Huthis vor dem Hintergrund der gegenwärtigen geopolitischen Machtbalance an Einfluss. Angespornt durch chinesische Friedensbemühungen haben die Golfstaaten, die zwischen 2015 und 2022 in einen brutalen Krieg mit den Huthis verwickelt waren, erkannt, was bereits andere externe Akteure in jeweils eigenen Auseinandersetzungen mit den Jemeniten erfahren mussten: Sie sind militärisch schwer zu besiegen.
Angesichts der Aussichtslosigkeit ihrer militärischen Kampagne setzten die Golfstaaten auf Deeskalation. Vor den Kampfhandlungen im Roten Meer gab es Anzeichen dafür, dass Saudi-Arabien, als Anführer der Allianz der Golfstaaten, sich in näherer Zukunft bereit erklären könnte, die Gehälter der Mitarbeiter der Huthi-Behörden im Norden des Landes durch Gewinne aus Öl- und Gasvorkommen zu finanzieren. Dies stellt die bisher größte Hürde in den überwiegend erfolgreichen Friedensverhandlungen dar, da die Golfstaaten militärische Kontrolle über Teile des Jemens haben, in denen Trillionen Kubikmeter Erdgas und Milliarden Barrel Öl lagern. Ohne eine Waffenruhe ist eine effektive Erschließung dieser Ressourcen nicht möglich.
Die aktuelle beschwichtigende Strategie der Golfstaaten führt dazu, dass sie - mit Ausnahme von Bahrain - die britische und die US-Militärkampagne kaum unterstützen. Die fehlende regionale Unterstützung untergräbt die regionale Legitimität und damit die Erfolgsaussichten der Luftschläge. Außerdem sind die Golfstaaten nicht bereit, sich an einem Konflikt zu beteiligen, der vermeintlich israelischen Interessen dient.
Luftangriffe bestätigen Feindbild vom Westen
Die jemenitische Bevölkerung und verschiedene Regierungen in der Geschichte Jemens haben sich als Befürworter der Rechte der Palästinenser verstanden. Die international anerkannte Regierung im Süden des Landes bricht jedoch mit dieser historisch weit zurückreichenden Tradition. Beides, Luftangriffe auf palästinensische Gebiete und die saudischen Bombardements im Jemen im Rahmen ihrer Kampagne gegen die Huthis, wurden sowohl diplomatisch, logistisch, geheimdienstlich als auch militärisch von westlichen Ländern unterstützt. Vor diesem Hintergrund betrachten viele Jemeniten den Westen generell als Aggressor, auch wenn sie Deutschland innerhalb der westlichen Allianz als weniger bedrohlich wahrnehmen.
Die Luftangriffe Saudi-Arabiens haben im Jemen die laut den Vereinten Nationen "schlimmste humanitäre Krise der Welt" ausgelöst. Eine Kontaktperson im Nordjemen betonte kürzlich: "Wir haben nichts mehr zu verlieren." Bis zum letzten Jahr wurden weniger als ein Drittel der von den UN in ihrem Hilfsappell für den Jemen geforderten Gelder finanziert. Das UN-Welternährungsprogramm hat im Dezember bekannt gegeben, dass es die Lebensmittelhilfe für 9,5 Millionen Jemeniten "pausieren" musste. Eine Seeblockade Saudi-Arabiens gegen den Nordjemen, deren Auflösung Teil der Friedensverhandlungen ist, hat maßgeblich zur humanitären Krise beigetragen. Zusätzliche Sanktionen, die kürzlich von den USA verhängt wurden, verschärfen die Versorgungslage. Neben einem Gefühl der Resignation aufgrund ihrer bedrohlich prekären Lebensumstände entwickelt sich unter den Jemeniten, besonders im Norden, eine neue Entschlossenheit, sich dem Westen zu widersetzen.
Die Huthis antizipieren, dass eine Medienkampagne, die ihre Strategie im Roten Meer erklärt, ihre Legitimität und Zustimmung im Jemen erhöhen wird - selbst in Gebieten, die nicht unter ihrer Kontrolle stehen. Ihr gegen Israel und seine westlichen Schutzmächte gerichtetes Vorgehen bringt ihnen außerdem Sympathien im gesamten Nahen Osten, im globalen Süden und sogar unter Teilen der westlichen Öffentlichkeit, die Israels militärisches Vorgehen in Gaza ablehnt. Ebenso ist es denkbar, dass der Nordjemen durch diplomatische Zugeständnisse seitens Saudi-Arabien in Zukunft regional de facto eher wie ein eigenständiger Staat wahrgenommen wird - und sich die Huthis entsprechend inszenieren könnten.
Für die Störung des Welthandels braucht es nicht viel
Die Militäroperationen der USA und des Vereinigten Königreiches untergraben derzeit die fragilen Friedensbemühungen im Jemen und verstärken das Huthi-Narrativ. Dieses erzählt, dass die Huthis, beeinflusst von der Gewalt im Gazastreifen, wie der sprichwörtliche David den bedrohlichen Goliath in Form des Westens herausfordern. Auch massive Luftschläge der Golfstaaten hatten zuvor die Huthis nicht besiegt. Luftschläge werden vermutlich nicht in der Lage sein, sämtliche den Huthis vom Iran zur Verfügung gestellten Rüstungsgüter zu zerstören. Mithilfe dieser Technologien können die Huthis zu vergleichsweise geringen Kosten Manöver durchführen, die den Welthandel weiter enorm beeinträchtigen.
Anstatt eines militärischen Vorgehens, das ein Scheitern mit Ansage ist, wäre es moralisch und auch langfristig für die Aufrechterhaltung des Welthandels konstruktiver, Friedensbemühungen sowohl im Jemen als auch in Gaza zu unterstützen. Gleichzeitig sollte die Bundesregierung verstärkt in die Linderung der katastrophalen humanitären Notsituationen im Jemen und in Gaza investieren. Nach den militärischen Misserfolgen in Mali und Afghanistan könnte gerade die Bundesrepublik ihren Einfluss in der Region positiv geltend machen.
Quelle: ntv.de