Politik

Entstehung und Ziele der Huthi Die Miliz, die die Weltwirtschaft in Schrecken versetzt

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Ein Huthi-Sympathisant posiert mit Waffe auf einer Kundgebung zum Gedenken an vom US-Militär getötete Huthi-Kämpfer.

Ein Huthi-Sympathisant posiert mit Waffe auf einer Kundgebung zum Gedenken an vom US-Militär getötete Huthi-Kämpfer.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Der Jemen ist lange ein weltweit kaum beachtetes Bürgerkriegsland. Doch die Angriffe der Huthi-Miliz auf den internationalen Schiffsverkehr rücken das Land in den Fokus. In der Nacht attackieren die USA und weitere Staaten die Huthi. Diese aber sind erfahren im Kampf gegen eine überlegene Streitmacht.

US-Präsident Joe Biden ist seit heute Nacht der dritte US-Präsident in Folge, der einen militärischen Angriff auf das Territorium des Jemen befohlen hat. Neben islamistischen Gruppierungen wie dem lokalen Arm von al-Kaida richteten sich diese Militäreinsätze gegen die Huthi-Rebellen, so auch in der vergangenen Nacht. Unterstützt von Großbritannien, den Niederlanden, Kanada und Bahrain waren die Angriffe eine Reaktion auf den wiederholten Beschuss sowie versuchte und tatsächliche Entführungen von Frachtschiffen vor der Küste des Jemen - einem Nadelöhr des Welthandels zwischen Europa und Asien. Ein Blick auf Geschichte, Fähigkeiten und Ziele der Huthis zeigt jedoch, dass sich die Gruppe eher nicht durch den einmaligen Einsatz von Waffengewalt davon abbringen lassen wird, weiter internationale Frachtschiffe anzugreifen.

Woher kommen die Huthi?
Die Huthi formierten sich um eine gleichnamige Stammesfamilie aus dem Hochland im Nordwesten des Jemen, deren Mitglieder die meisten wichtigen Positionen in der Organisation einnehmen. Die Huthi sind, wie rund 30 Prozent der Jemeniten, Schiiten. Genauer: Sie sind Zaiditen, ein Zweig des schiitischen Islams. Bis in die 1960er-Jahre herrschten sie über Nord-Jemen, doch nach ihrem Sturz wurden sie von der sunnitischen Mehrheit ausgegrenzt. In den späten 80er, frühen 90er-Jahren gründete der Huthi-Clan, angeführt von Hussein Badreddin al-Huthi, eine religiöse Erneuerungsbewegung für die Zaiditen. Sie wollten damit auch dem wachsenden Einfluss des sunnitischen Saudi-Arabiens im Jemen begegnen. Die Huthis radikalisierten sich in den Jahren nach der US-Invasion im Irak 2003. Zur rigorosen Auslegung des Islams kam eine antiwestliche Agenda hinzu, mit der sie in Opposition zur damals US-freundlichen Regierung in der Hauptstadt Sanaa standen. Aus dieser Ablehnung des Westens rührt auch der Hass auf Israel. Im Weltbild der Huthis ist der jüdische Staat ein westliches Kolonialgebilde auf arabischem Boden.

Wann wurden die Huthi zum Machtfaktor?
Nach drei Jahrzehnten autoritärer Herrschaft sowie wiederholten Bürgerkriegen geriet Präsident Ali Abdullah Salih im Zuge des Arabischen Frühlings 2011 unter den Druck von Massenprotesten. Die Huthi aber schlugen sich auf Salihs Seite, der 2013 dennoch stürzte. Daraufhin kam es zum Aufstand der Huthi, die Anfang 2015 schließlich die Millionenstadt Sanaa eroberten und die Macht im Land übernahmen. Weil aber Riad im Ringen mit dem schiitischen Iran ein von Teheran unterstützte Regierung an der eigenen Südflanke nicht hinnehmen wollte, griffen Saudi-Arabien und auch die Vereinigten Arabischen Emirate in den Konflikt ein. Bis zum Jahr 2022 konnten die von Saudi-Arabien unterstützten jemenitischen Kräfte zwar die Huthis zurückdrängen, diese kontrollieren aber unverändert weite Gebiete im Nordwesten Jemens. In dem Krieg wurden Zehntausende Menschen getötet. Die Wirtschaft des Landes ist zusammengebrochen. Rund 80 Prozent der Menschen sind abhängig von internationaler Hilfe, das Land ist beständig von Hungerkatastrophen bedroht.

Welche Rolle spielt der Krieg zwischen Israel und Hamas?
Die Huthi erklärten am 31. Oktober, sie hätten in den Krieg zwischen Israel und der Hamas eingegriffen. Drohnen und Raketen seien auf Israel abgefeuert worden. Die Huthi rechtfertigten ihre Angriffe auf Israel sowie auf Schiffe, die zu Israel gehören oder dessen Häfen anlaufen, mit israelischen Menschenrechtsverstößen im Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen. "Gott ist groß, Tod für Amerika, Tod für Israel, verflucht seien die Juden, Sieg für den Islam", lautet der Schlachtruf der Huthi. Wie die Hisbollah im Libanon oder das Assad-Regime in Syrien gehören sie zur selbsterklärten "Achse des Widerstands", ein Bündnis arabischer Israel-Gegner unter der Ägide des Iran. Nach den britischen und US-amerikanischen Angriffen auf die Huthi veröffentlichten die Hamas und Hisbollah ihrerseits Solidaritätsadressen, in denen sie die Attacken verurteilten.

Wieso sind die Huthi-Angriffe so gefährlich?
Jemen nimmt auf der arabischen Halbinsel eine strategisch wichtige Lage ein. Im Westen hat das Land eine Küste am Roten Meer, an dessen nördlichem Ende in Ägypten der Suez-Kanal liegt und ins Mittelmeer führt. Weiter im Süden grenzt der Jemen an den Bab al-Mandab zwischen der arabischen Halbinsel und dem Horn von Afrika. Diese Meerenge verbindet das Rote Meer mit dem Golf von Aden weiter im Osten, der in den Indischen Ozean übergeht. Damit befinden sich vor den Küsten des Jemens wichtige Schifffahrtsstraßen zwischen Afrika und Asien sowie über den Suez-Kanal von und nach Europa. Wegen der Huthi-Angriffswelle auf Containerschiffe meiden mehrere Reedereien inzwischen die Fahrt durch die Meerenge.

Die nötigen Umwege über das Kap der guten Hoffnung an der Südspitze Südafrikas führen zu wochenlangen Verzögerungen und damit zur Unterbrechung von Lieferketten und Verwerfungen der Industrieproduktion in Europa. Bei ihren Schiffsentführungen und Kaper-Versuchen waren die Huthi-Milizionäre erkennbar bemüht, Gewalt zu vermeiden und möglichst keine zivilen Besatzungsmitglieder zu verletzen oder gar zu töten. Ein Sprecher der Huthi sagte am Freitag, es gebe "keine Bedrohung für die internationale Schifffahrt im Roten Meer und im Arabischen Meer". Die Huthi bekämpften weiterhin "israelische Schiffe oder solche, die die Häfen des besetzten Palästinas anlaufen".

Wie kampfstark ist die Miliz?
Dank des Iran haben die Huthis in den vergangenen Jahren massiv aufgerüstet, die Miliz soll 180.000 bis 200.000 Männer umfassen. Der britische "Guardian" hingegen schreibt von nur 20.000 Kämpfern in den Reihen der Huthi. Nach Angaben des niederländischen Investigativportals "Oryx" reicht ihr Waffenportfolio von ballistischen Raketen über Marschflugkörper und Drohnen bis hin zu Anti-Schiff-Raketen. Ihre Tofan-, Borkan- und Kuds-Raketen sind Experten zufolge iranischen Waffen nachempfunden und können Ziele in einer Entfernung von bis zu 2000 Kilometern erreichen. Wiederholt musste Saudi-Arabien zuletzt die eigenen Luftverteidigungskapazitäten nutzen, um Huthi-Angriffe auf Israel abzuwehren. Saudi-Arabien war wiederholt von den Huthi-Raketen getroffen worden. Die Miliz ist in deren Einsatz geübt.

"Die Kämpfer mit Flipflops und Stammestracht sind zu einer gewaltigen Streitmacht geworden", sagt Farea al-Muslimi vom Londoner Forschungsinstitut Chatham House in einem Interview mit dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Hinzukommt ihre Erfahrung im Umgang mit Luftangriffen einer technologisch überlegenen Streitmacht. "Alles, was es wert war, angegriffen zu werden, wurde in den letzten neun Jahren von der saudischen Koalition angegriffen", sagte Abdulghani al-Iryani, ein leitender Forscher am Sanaa Center for Strategic Studies, dem arabischen Nachrichtensender Al-Jazeera. Dennoch konnten die Huthi nur zurückgedrängt, aber nicht geschlagen werden. Die Huthis operierren mit einer mobilen Infrastruktur, die keine leichten Ziele für Luftangriffe biete, so al-Iryani. Die Miliz fühle sich strategisch daher nicht unwohl in einem Krieg mit den USA.

Was wollen die Huthi erreichen?
"Die formale Anerkennung könnte für die Huthis das Wichtigste sein", sagte Raiman al-Hamdani, Forscher beim European Council on Foreign Relations, dem Nachrichtensender al Jazeera. "Das Hauptanliegen der Gruppe ist es, die Macht über das Land weiter zu festigen". In diesem Sinne ist eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe mit den USA womöglich im strategischen Interesse der Huthi. Sie verhandeln bereits seit 2022 mit Saudi-Arabien über eine Befriedung des Jemen und könnten langfristig gar einen Ausgleich mit Riad suchen. Auch die US-Regierung hatte schon zum Amtsantritt eingestanden, dass sie an den Huthi nicht vorbeikommt: Joe Biden nahm die Huthi im Februar 2022 von der Liste ausländischer Terrororganisationen, auf die sie sein Vorgänger Donald Trump gesetzt hatte. Bidens Schritt sollte nicht nur humanitäre Hilfe für die von den Huthi kontrollierten Regionen erleichtern, sondern auch direkte Verhandlungen grundsätzlich ermöglichen. Denn mit Terroristen darf die US-Regierung nicht verhandeln.

Steuert der Iran die Huthi?
Es ist unstrittig, dass das schiitische Regime in Teheran maßgeblicher Unterstützer der Huthi ist. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte am Mittwoch: "Es ist schon so, dass die Huthi seit Jahren durch den Iran unterstützt werden und dass die jüngsten Angriffe ohne die langjährige Unterstützung des Iran für die Huthi nicht möglich gewesen wären." Ähnlich wie bei den von Iran unterstützten Gruppierungen Hamas und Hisbollah ist aber unklar, in welchem Ausmaß Teheran die Huthi steuern kann. Die Huthis seien "entgegen saudischer Wahrnehmung kein von Iran aus gesteuerter Akteur; sie nehmen zwar Ratschläge aus dem Iran an, haben aber auch immer wieder entgegen iranischen Empfehlungen gehandelt", schrieb Marie-Christine Heinze vom Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO) in einem Beitrag für die Welthungerhilfe. Der Iran verurteilte die britischen und US-Angriffe als klare Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität des Jemen und ein Verstoß gegen das Völkerrecht.

Welche Haltung nimmt Saudi-Arabien ein?
"Es ist so, dass Saudi-Arabien glaubhaft von einer militärischen Lösung abgerückt ist", sagte das Auswärtige Amt über die Rolle Riads. Das Scheichtum wolle die begonnenen Verhandlungen über eine politische Lösung des Konflikts nicht aufgeben, trotz der Angriffe der Huthi auf Frachtschiffe in der Region. Das Land hatte die USA noch im Dezember um Zurückhaltung gebeten und nun vor einer Eskalation der Gewalt gewarnt. Riad hat offenbar kein Interesse an einer erneuten Auseinandersetzung, nachdem es den Huthis während des Krieges wiederholt gelungen war, erfolgreich saudische Infrastruktur anzugreifen und zu zerstören, insbesondere Anlagen der Ölindustrie. An den jüngsten Angriffen auf die Huthi war Saudi-Arabien folglich nicht beteiligt. Der Regionalexperte Raiman al-Hamdani hält sogar eine Annäherung der Huthis an Saudi-Arabien und eine Loslösung vom Iran für denkbar. Auch wenn der schiitische Iran natürlicher Partner sei, wäre ein Bündnis mit Saudi-Arabien eher im Interesse der Huthi, um dauerhaft den Jemen oder zumindest weite Teile des Landes zu regieren.

Quelle: ntv.de, mit Reuters

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