Politik

Böblingen testet gegen Corona an Jens Spahn ruft in Deutschlands Zukunft an

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Die Mitarbeiterin eines Böblinger Testzentrums scannt ein Testergebnis ein, um es der getesteten Person digital zuzuschicken.

(Foto: picture alliance/dpa)

Als der Bundesgesundheitsminister Ende Februar massig Schnelltests ankündigt und kurz darauf alles wieder zurücknehmen muss, ist das flächendeckende Testen in Böblingen längst etabliert. Der Landkreis ist einer der erfolgreichsten Pandemie-Manager und zeigt, was hätte sein können.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn unternimmt heute eine Reise in ein Deutschland, wie er es sich vorstellt und das er auch den Menschen einst versprochen hatte: Böblingen heißt der Ort und Spahn reist auch nicht wirklich hin. Aber immerhin trifft er am späten Nachmittag virtuell den Apotheker und Mann hinter dem "Böblinger Modell", Björn Schittenhelm, sowie den CDU-Bundestagsabgeordneten Marc Biadacz und den Landrat des Landkreises Böblingen, Roland Bernhard. Die drei sollen Spahn erzählen, wie sie die Corona-Lage erfolgreich mit Tests im Griff behalten.

Schon Anfang Februar hatte Böblingen, das 20 Kilometer südwestlich von Stuttgart liegt, begonnen, was in vielen Orten Deutschlands noch immer Zukunft ist: ein flächendeckendes Schnelltestangebot. Seither können sich die Bürgerinnen und Bürger zweimal pro Woche gratis auf eine akute Coronavirus-Infektion testen lassen. Fünf Testzentren plus zahlreiche angehängte Teststellen garantieren kurze Wartezeiten. Das Testergebnis wird digital übermittelt.

Böblingen steht besonders gut da im Ländle

"Die Schnelltests sorgen dafür, wenn man sie flächendeckend fokussiert anwendet, dass man frühzeitig Infektionsketten entdeckt", sagt Apotheker Schittenhelm in der ARD. Das Risiko falscher Testaussagen sieht er nicht: "Unsere Erfahrungen aus dem Landkreis Böblingen haben gezeigt, dass 99,8 Prozent aller positiven Schnelltestergebnisse durch PCR-Tests bestätigt wurden." Auch die Kosten seien vertretbar. "Ich glaube, der Lockdown kostet täglich eine Milliarde. Die Schnelltest-Strategie wird lange nicht so viel Geld auffressen."

Tatsächlich planen inzwischen viele Kommunen und Länder in ähnlichem Umfang zu testen, darunter auch Berlin. Doch der Regierende Bürgermeister Michael Müller beklagte zuletzt ein mangelndes Interesse der Bevölkerung am Testangebot.

Schittenhelm will daher ein Lockangebot machen: Freiheiten zum Beispiel in der Kultur oder Gastronomie auf Basis von flächendeckenden Schnelltests könnten nach seiner Einschätzung mehr Menschen davon überzeugen, sich testen zu lassen. "Wenn ich den Leuten etwas mehr Freiheiten gebe durch einen Test, dann steigen Testmoral und Akzeptanz erheblich", sagte Schittenhelm im ARD-"Morgenmagazin". "Das ist genau das, was wir letztendlich brauchen. Wir brauchen viel, viel mehr Tests."

Mit einer Inzidenz von 77,6 Neuansteckungen auf 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen hat der Landkreis Böblingen zusammen mit Pforzheim die niedrigsten Ansteckungswerte in Baden-Württemberg. Der vielfach gelobte Nachbar-Landkreis Tübingen lag zuletzt bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 104,1, so wie die meisten Landkreise im Südwesten dreistellige Inzidenzen zu vermelden haben.

Zu spät für Deutschland

Dass in Böblingen vieles besser zu laufen scheint, zeigt auch ein kurzer Blick auf die Webseite des Landkreises. Für Covid-19-Erkrankte, die an Langzeitfolgen leiden, wird eine Selbsthilfegruppe angeboten. Die Informationsapp NINA, die über die jeweiligen Corona-Regeln aufklärt, wird beworben. Eine übersichtliche Seite führt zu den Schnelltestangeboten.

Fraglich ist dennoch, ob das Böblinger Modell in der aktuellen Lage überall weiterhilft. Wenn etwa Berlin in gleichem Umfang Tests anbietet, die sogar das Termin-Shopping ermöglichen sollen, hilft das womöglich, die Ansteckungen im Griff zu behalten. Ob sie so auch gesenkt werden können, ist hingegen umstritten. Nicht nur Kanzlerin Angela Merkel meldete Zweifel an.

Böblingen hatte seine umfassende Teststrategie gestartet, als die Ansteckungen nach dem harten Winter-Lockdown am Boden waren. Dennoch sind sie auch dort inzwischen auf dem Weg zur 100er-Schwelle. Für Städte und Kommunen, die erst in diesen Tagen breit zu testen begonnen haben, ist das der Ausgangswert. Den Böblinger Weg hätte Deutschland also nur gehen können, wenn ein ähnliches Schnelltestangebot schon überall zur Verfügung gestanden hätte, als Anfang März die Corona-Maßnahmen gelockert wurden.

Quelle: ntv.de, mit dpa

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