Politik

Italiens Rechtsregierung Meloni beherrscht die Kunst des Dribbelns

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Bereit, sich schnell an die Situation anzupassen: Italiens Premierministerin Giorgia Meloni.

Bereit, sich schnell an die Situation anzupassen: Italiens Premierministerin Giorgia Meloni.

(Foto: IMAGO/ZUMA Press)

Mal volksnah, mal staatstragend, je nach Umfeld und Gegebenheit. Italiens Regierungschefin Meloni beherrscht das Metier der Politikerin wie wenig andere in Italien und weiß, wie man viel Schein als Sein darstellt - auch mal unter Pfeifkonzert.

Die Italiener vertrauen offenbar ihrer Premierministerin. Giorgia Meloni, Vorsitzende der rechten Fratelli d'Italia, bekam im Laufe dieses ersten Regierungsjahrs beinahe durchgehend gute Umfragewerte. Laut dem Institut SWG hatte Meloni im Oktober 2022 das Vertrauen von 43 Prozent der Befragten, jetzt sind es noch 39 Prozent. Weniger überzeugend wird stattdessen die Regierungsarbeit beurteilt, die nur mehr 33 Prozent überzeugen kann. Trotzdem braucht sich Meloni im Moment keine Sorgen zu machen. Elly Schlein, seit Februar neue Vorsitzende der Demokraten, ist es bis jetzt nicht gelungen ihre Partei aus dem Sumpf der knappen 20-Prozent-Marke zu befreien.

Gefühlsmäßig würde man sagen, zwischen Meloni und Schlein ist das Rennen schon zugunsten der Premierministerin entschieden. Die versteht es nämlich, auch Missstände so auszulegen, dass sie unbehelligt bleibt. Gleich, ob es sich um die Staatskassen und die Wachstumsprognosen handelt - anstatt 1,2 Prozent soll Italiens Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr nur um 0,92 Prozent wachsen -, oder um die Migranten. Bis jetzt sind über 120.000 Migranten vorwiegend auf Italiens Küsten gestrandet, das sind dreimal so viele wie im Vorjahr. Doch wie schafft es Meloni, das Vertrauen als Regierungschefin zu halten, wenn ihre Regierung viel weniger überzeugt?

Immer mal ein Thema der Gegner greifen

Melonis Stärke liegt in ihrer Chuzpe, in der Dreistigkeit, mit der sie viele Probleme angeht. Wenn Schlein an den Verstand appelliert, zielt Meloni auf den Bauch der Italiener. Sie beherrscht die Kunst des Dribbelns und schnappt sich, wenn es in ihr Schema passt, ab und zu auch ein Thema der Gegner.

So hat sie es geschafft, die von Schlein angestoßene Debatte über den Mindestlohn an sich zu ziehen. Und da sie selbst gegen die Einführung ist, reicht sie die Entscheidung an den Rat für Wirtschaft und Arbeit weiter. Wann dieser sich dazu äußern wird, ist nicht bekannt.

Auch findet die Premierministerin immer einen Anlass, die eine oder andere Enttäuschung auszubügeln, nicht eingehaltene Versprechen, zum Beispiel die Einführung einer Mindestrente von 1.000 Euro für alle, mit anderen Meldungen zu überdecken.

Im August kündigte Melloni - zur Überraschung auch einiger ihrer Minister - eine Übergewinnsteuer in Höhe von 40 Prozent auf die Extraprofite der Banken an. Diese hätten infolge der Anhebung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank (EZB) milliardenschwere Übergewinne kassiert, während sich Familien mit der Abzahlung ihrer Immobiliendarlehen immer schwerer tun.

Deswegen sollten die zwei Milliarden Euro, die sie sich von dieser Maßnahme erwartete, Unternehmen und Familien zugute kommen. Wie schon andere Maßnahmen, die den Bürgern unter die Arme greifen sollen, gilt diese auch nur bis Jahresende. Dass auf diese Ankündigung ein dramatischer Absturz der Bankaktien folgte und Mahnungen seitens der EZB, die Investoren nicht zu verprellen, war ein Kollateralschaden, der Meloni anscheinend nicht besonders beeindruckte. Die Regierung hält an der Übergewinnsteuer fest. Es bleibt nur noch abzuwarten, ob sie wirklich bei 40 Prozent liegen wird. Für den Normalbürger ist es aber eine Genugtuung zu wissen, dass auch die Banken zur Kasse gebeten werden.

Sie scheut das Volk nicht

Da Meloni selbst in einem Arbeiterviertel in Rom aufgewachsen ist, weiß sie genau, wann es wichtig ist, sich dem Volk zu zeigen wenn nicht sogar zu stellen. Als vor einigen Wochen die dramatische Geschichte zweier minderjähriger Cousinen öffentlich wurde, die im neapolitanischen Drogenviertel Caivano wohnten und von ebenfalls Minderjährigen mehrmals vergewaltigt wurden, forderte der dortige Priester Don Maurizio Patriciello die Premierministerin auf, sich selbst ein Bild zu machen.

Und Meloni kam, schon wenige Tage später. Sie wurde von vielen ausgepfiffen und ließ es über sich ergehen. Sie versprach, das Viertel von der Camorra, der neapolitanischen Mafia, zu säubern und strengere Maßnahmen gegen die Jugendkriminalität zu ergreifen. Keine Woche später verabschiedete die Regierung ein Dekret. In diesem heißt es, dass ein 14-Jähriger in Untersuchungshaft kommt, wenn er eine Straftat begeht, die eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren vorsieht. Vorher waren es neun Jahre. Außerdem drohen Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken, bis zu zwei Jahre Haft.

Keine Frage, Meloni weiß sich abwechselnd als volksnahe oder resolute Politikerin ins Licht zu stellen. Das von der Fünf-Sterne-Bewegung eingeführte Bürgergeld, war ihr schon immer ein Dorn im Auge. Sie kündigte an, es allen Arbeitsfähigen, die es beziehen, zu streichen und zog das auch durch. Bei anderer Gelegenheit bemüht sich die Regierungschefin, wie eine "Freundin" aufzutreten, die ihre Notizen auf Facebook teilt.

Ein Paradebeispiel, wie sie sich auf zwei Spuren fortbewegt, hat Meloni jüngst geliefert. Anfang September erzählte sie einer Klatschzeitung lang und breit über ihren Sommer. Am Dienstag erschien das Buch "Giorgias Version", in dem sie, von einem regierungsnahen Journalisten interviewt, ihre Sicht auf Italien, die EU und die Welt darlegt.

Die Wahlen nächstes Jahr werden ein Test

Apropos Europäische Union: In knapp einem Jahr finden die EU-Wahlen statt. In Italien nimmt der Wahlkampf schon Fahrt auf. Für diese rechte Regierungskoalition wird es ein wichtiger Test sein. Ihr Ziel ist es, die Vorherrschaft der Europäischen Volkspartei und der Sozialisten endlich zu durchbrechen.

Der nationalistische Lega-Chef, Verkehrsminister und Vizepremier Matteo Salvini, hat sich in den letzten Tagen an dem EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung festgebissen. Der zur Demokratischen Partei gehörende Ex-Premier Paolo Gentiloni vertritt nach Salvinis Ansicht Italiens Interessen nicht genügend.

Auch Meloni hat sich dazu geäußert nur auf diplomatischere Art. Was wiederum ihrem Stil und ihrer Strategie entspricht. Salvini will unbedingt an Wählerkonsens zurückgewinnen. Ist deswegen ständig auf Konfrontationskurs. Meloni lässt ihn machen, genaugenommen kommt ihr sein polternder Stil sogar zugute, denn so kann sie sich als bedachte Politikerin und Staatsfrau ins Licht setzten und Salvini ausdribbeln.

Quelle: ntv.de

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