Trumps Vize braucht ein Wunder Mike Pence, Charmeur mit eisenharten Positionen
05.06.2023, 19:58 Uhr Artikel anhören
"Das Abtreibungsrecht auf den Aschehaufen der Geschichte geworfen": Mike Pence bei der Veranstaltung der "Faith & Freedom Coalition" in Iowa.
(Foto: REUTERS)
Der ehemalige Vize von Ex-US-Präsident Trump will selbst ins Weiße Haus. Länger als zwei Jahre lang braucht Pence, um seinen ehemaligen Chef deutlich zu kritisieren. Und nun ein kleines evangelikales Wunder.
Zum Abschluss, der Ex-US-Vizepräsident hatte grade im Saal gesprochen und mehrfach angesetzt, der Journalistentraube vor der Werbewand der konservativen Iowa Faith & Freedom Coalition ("Koalition Glaube & Freiheit") davonzulaufen, vollführt der Republikaner noch einen Seitenhieb. "Die Begeisterung im Saal, Paul, war greifbar, ich war tief bewegt vom warmen Empfang", säuselt Mike Pence in Richtung des Reporters: "Außer Iowa fühlt sich kein Ort in Amerika so an wie Indiana." Der Fragende wollte wissen, ob Pence die Absage von Ron DeSantis als "verpasste Chance" des Konkurrenten sehe.
Pence' Antwort ist der Teil einer breiten Charmeoffensive, mit der er sich seit Monaten als ernsthafter Anwärter auf das Weiße Haus positionieren will. Indiana ist seine Heimat, viele Jahre saß er als Abgeordneter für den Bundesstaat im Kongress, er war Gouverneur, bevor er Donald Trumps running mate wurde und mit ihm die Präsidentschaftswahl 2016 gewann. Ein Schlüssel dazu war er selbst: Als Evangelikaler, der auch härteste politische Positionen sanft mit sakralen Untertönen vermittelt. Der polternde, improvisierende New Yorker Trump; der gläubige, gewissenhaft abwägend wirkende Pence als Brücke zu religiösen Wählern.
Im kommenden Jahr wählen die Vereinigten Staaten einen neuen Präsidenten, und Pence wird am 7. Juni öffentlich seine Bewerbung um die Kandidatur der Republikaner verkünden, die Unterlagen sind schon eingereicht. Damit erhält der Vorwahlkampf durch alle Bundesstaaten noch mehr Drama-Potenzial. Nach den ersten Entscheidungen im Februar dünnt sich das Bewerberfeld häufig rapide aus. Iowa trifft seine zuerst. Trump führt auch dort die Umfragen mit rund 50 Prozent meilenweit an, es folgt Floridas Gouverneur DeSantis. Pence kam vor der Verkündung zuletzt auf 5 bis 7 Prozent.
Christliche Werte als Grundlage der Kritik
Es erscheint angesichts solcher Zahlen derzeit unmöglich, aber Iowa kann die Dynamik verändern, und Pence hat einen Trumpf. Er ist Evangelikaler, und die bilden auch die wichtigste Wählergruppe des Bundesstaates im Mittleren Westen. Gemeinsam mit 18 Prozent Katholiken bilden die protestantischen Kirchen die fast 80 Prozent Christen der 3,1 Millionen Einwohner. Der überwältigende Anteil der Republikaner ist gläubig. Wer sie von sich überzeugt, hat die Stimmen für die Kandidatur sicher. Seit Wochen geben sich deshalb die Präsidentschaftsbewerber in Iowa die Klinke in die Hand.
Während seiner Auftritte als Vizepräsident drosch Pence immer dieselben, halbleeren Phrasen. Während Trump reihenweise Regierungsmitglieder feuerte, wurde Pence nie infrage gestellt. Er war der perfekte Parteisoldat, eckte nicht an, schluckte womöglich vieles herunter. Bis zum 6. Januar 2021, als er sich bei der Auszählung der Wahlleutestimmen im Senat weigerte, sich an Trumps legislativem Putsch zu beteiligen.
Stattdessen stellte Pence als Senatspräsident den Wahlsieg von dessen Konkurrent Joe Biden so gut wie unverrückbar fest. Trumps Anhänger stürmten das Kongressgebäude und beschimpften Pence brüllend als Verräter, manche forderten, ihn zu hängen. Der Secret Service versteckte Pence und seine Familie. Ein Aufständischer hinterließ eine Nachricht auf seinem Pult: "Es ist nur eine Frage der Zeit, die Gerechtigkeit kommt."
Pence beschreibt sich als prinzipientreuen Konservativen, aber er ist kein Lautsprecher. Mehr als zwei Jahre lang war Pence bohrenden Fragen über den 6. Januar 2021 ausgewichen, während es sichtlich in ihm brodelte. "Mit seinen rücksichtslosen Äußerungen hat er meine Familie und alle im Kapitol gefährdet", sagte er erst im März in aller Deutlichkeit: "Die Geschichte wird Donald Trump zur Verantwortung ziehen." Das war die härteste Kritik an seinem ehemaligen Chef, basierend auf christlichen Eckpfeilern: Der Schutz der Familie, eine übergeordnete Gerechtigkeit, die am Ende waltet. Ein Viertel aller US-Amerikaner bezeichnen sich als Evangelikale, eine deutliche Mehrheit als Christen. Dazu kommen Pence konservative Positionen: schlanker Staat und niedrige Steuern, weitreichende Rechte für Religionen, und vor allem ein restriktives Abtreibungsrecht.
Trump nicht mehr unantastbar
Die Mehrheit der Evangelikalen hatten Trumps Präsidentschaft als "Auftrag des Himmels" verstanden. Er lieferte wie bestellt, installierte drei konservative Richter am Supreme Court, die das allgemeine Abtreibungsrecht kippten und zurück an die Bundesstaaten verwiesen. Die machen seither, was sie wollen. Es war ein historischer Triumph für die christlichen Konservativen, den Trump ermöglicht hatte; ein jahrzehntelang erbittert geführten gesellschaftlicher Kampf war entschieden. Doch inzwischen ist Trump unter Evangelikalen nicht mehr unantastbar.
Als im vergangenen Herbst die Republikaner nicht wie erhofft den Kongress unter ihre Kontrolle brachten und Biden damit einen unverhofften Wahlerfolg bescherten, beschwerte sich der Ex-Präsident: Schuld an der Niederlage sei nicht er, sondern die Abschaffung des Abtreibungsrechts. Das Thema hatte die Demokraten und insbesondere Frauen in den Vorstädten in Scharen an die Urnen getrieben. Verschiedene evangelikale Anführer haben seither erklärt, sich noch nicht für einen Bewerber entscheiden zu wollen. "Das ist illoyal", beschwerte Trump sich darüber beim "Christian Broadcasting Network".
Die Abtreibungsregelungen und deren Zukunft sind die wichtigsten Themen der konservativen Christen, daran richten sie im Zweifel ihr Stimmverhalten aus. Trump deutete durch seine Schuldzuweisung an, den eigenen Erfolg für wichtiger zu halten. Pence grenzte sich in Iowa ab und sagte: "Ich bin für das Leben und ich werde mich nicht dafür entschuldigen." Trump glaube, es sei Sache der Bundesstaaten, dies zu regeln, Pence sagt, er sehe das anders - und stellt ein nationales Abtreibungsrecht in Aussicht. Eisenharte Positionen wie diese garniert er mit versöhnlichen Sätzen, in diesem Fall: Die Aufgabe der Gesellschaft sei, die Verwundbarsten zu schützen, aber "nicht jeder in der Gesellschaft teilt derzeit diese Ansicht". Die meisten US-Amerikaner wollen kein striktes, allgemeines Abtreibungsverbot.
Pence braucht im Vorwahlkampf frühe Erfolge, vielleicht sogar ein kleines evangelikales Wunder in Iowa, sonst wird seine Bewerbung schnell in sich zusammenbrechen. "Ich bin sicherer als jemals, dass die Menschen in Iowa unserer Partei einen Fahnenträger geben werden, der uns den Wahlsieg bringen und Amerika führen wird", sagte er bei der Veranstaltung in Iowa. Überall versicherten ihm die Menschen, dass sie die Politik aus der Trump-Pence-Regierung wiederhaben wollten: "Aber sie sagen auch, dass sie eine neue Art der Führung wollen, die das Land einen kann." Die Republikaner davon zu überzeugen, dass er diese Führung ist, dafür hat Pence bis Februar Zeit.
Quelle: ntv.de