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Und wenn es noch mal Trump wird? Wie Europa die Wahlen in den USA überleben kann

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Trump 2019 beim G7-Gipfel in Kanada. "Letztlich würde er das Bündnis der USA mit der Ukraine zerstören, das ist sein Ziel."

Trump 2019 beim G7-Gipfel in Kanada. "Letztlich würde er das Bündnis der USA mit der Ukraine zerstören, das ist sein Ziel."

(Foto: picture alliance/AP Photo)

US-Senator Lindsey Graham soll bei einem Besuch in Kiew zu Präsident Selenskyj gesagt haben, die Hilfe für die Ukraine sei "the best money we ever spent", die beste Investition der USA aller Zeiten. Aber das ist keine Mehrheitsmeinung in der republikanischen Partei. Donald Trump, der als Bewerber um die republikanische Präsidentschaftskandidatur im Moment mit deutlichem Abstand vorne liegt, würde die Unterstützung für die Ukraine mit großer Sicherheit beenden. "Man kann gar nicht überschätzen, wie sehr Trump die Ukraine verabscheut", sagt Jeremy Shapiro, Experte für US-Außenpolitik. Den Europäern rät Shapiro, sich von den USA unabhängiger zu machen, "das werden sie in den kommenden Jahren brauchen, gerade im Umgang mit Russland". Die Hinwendung der USA zu Europa unter Präsident Biden sei "nur der Sprung einer toten Katze" gewesen.

Jeremy Shapiro ist Research Director beim European Council on Foreign Relations. Zuvor war er Sonderberater für Europa im US-Außenministerium.

Jeremy Shapiro ist Research Director beim European Council on Foreign Relations. Zuvor war er Sonderberater für Europa im US-Außenministerium.

(Foto: seesaw-foto.com)

ntv.de: In einem guten halben Jahr beginnen die Vorwahlen der Republikaner in den USA. Zeichnet sich schon ab, wo die zentralen außenpolitischen Unterschiede sind zwischen den potenziellen republikanischen Kandidaten auf der einen und Präsident Biden auf der anderen Seite?

Jeremy Shapiro: Die grundlegende Gemeinsamkeit ist, dass beide Seiten versuchen, die Außenpolitik zu nutzen, um die weiße Arbeiterklasse anzusprechen. In Fragen wie Handel, Einwanderung und Unterstützung der heimischen Wirtschaft nähern sie sich einander an. Aber in anderen Fragen gibt es weiter sehr große Differenzen, etwa beim Umgang mit Verbündeten und insbesondere in Bezug auf Russland und den Krieg in der Ukraine.

Lassen Sie uns zuerst über die Übereinstimmungen sprechen. In Europa fällt gelegentlich unter den Tisch, dass Biden eine ganz ähnliche China-Politik betreibt wie Trump. Dabei gab es da kaum Veränderungen, oder?

Nicht ganz - es gibt hier aus meiner Sicht schon wichtige Unterschiede. Ich würde aber insofern zustimmen, als die Unterschiede eher in den Instrumenten liegen als in den politischen Zielen. Sowohl die Republikaner als auch die Demokraten sehen China als die größte Bedrohung für die USA auf der internationalen Bühne. Sie sind beide entschlossen, China mit geoökonomischen Instrumenten zu begegnen, zum Beispiel mit strategischen Exportkontrollen.

Aber die Biden-Administration hat sich von Zöllen und Handelskriegen abgewendet und sich mehr auf technologische Beschränkungen konzentriert und darauf, die US-Wirtschaft nicht zu sehr von China abhängig zu machen - sie nennen das "de-risking". Ich würde sagen, dass die Politik der Biden-Administration strategisch wesentlich ausgefeilter und effektiver ist als die der Trump-Administration. Aber es stimmt, dass sie sich in dieselbe Richtung bewegen. Mit vielleicht einer Ausnahme, die möglicherweise in einer zweiten Trump-Amtszeit noch deutlicher würde: Trump und Biden haben zwar einen ähnlichen Ansatz in der geoökonomischen Auseinandersetzung mit China, aber sie könnten eine unterschiedliche Sicht auf die geostrategische Auseinandersetzung haben.

Das müssen Sie erklären.

Trump ist nicht wirklich daran interessiert, dass China den westlichen Pazifik dominieren will. Ihm geht es darum, bessere Handelsabkommen mit China abzuschließen. Es wäre durchaus möglich, dass Taiwan für ihn nur ein Druckmittel ist, um die Handelsbedingungen mit China zu verbessern - er hat das oft angedeutet, auch wenn es in seiner ersten Amtszeit nicht Teil seiner Politik war. Biden dagegen sieht den Kampf mit China eher als klassische geopolitische Konfrontation und ist fest entschlossen, China im westlichen Pazifik auch militärisch etwas entgegenzusetzen, nicht nur wirtschaftlich, auch wenn das die Hauptrolle spielt.

Halten sich die USA seit der Präsidentschaft von Barack Obama nicht mit Blick auf militärische Interventionen eher zurück?

Da würde ich widersprechen: Barack Obama hat sich bei militärischen Interventionen nicht zurückgehalten, auch wenn er das im Wahlkampf gesagt hatte. In der US-Öffentlichkeit gibt es zwar eine Stimmung gegen militärische Interventionen. Trotzdem schafft es die politische Führung immer wieder, zumindest für einige Jahre Unterstützung dafür zu organisieren. Das gilt für beide Parteien und ist schon sehr lange so. In den vergangenen dreißig Jahren hatte jede militärische Intervention der USA mit Ausnahme von Afghanistan zunächst keine breite Unterstützung - Zustimmung gab es immer erst später, wenn der Präsident die Öffentlichkeit überzeugt hatte. Tatsächlich war Trump der einzige US-Präsident nach dem Kalten Krieg, der keinen Krieg angefangen hat - mit Ausnahme von Biden, aber dessen Amtszeit ist ja noch nicht zu Ende. Übrigens ist auch George W. Bush mit dem Versprechen angetreten, keine Kriege anzufangen.

Und Obama?

Obama hat den Krieg in Libyen angefangen, er hat den Krieg gegen den Islamischen Staat angefangen und er hat, anders als angekündigt, die Kriege in Afghanistan und im Irak nicht beendet. Ich will ihn dafür gar nicht verdammen, vielleicht hätte ich an seiner Stelle ebenso gehandelt. Die amerikanische Öffentlichkeit ist zwar gegen Kriege, aber sie will doch, dass der Präsident auf der Weltbühne Stärke zeigt. Gerade demokratische Präsidenten sehen sich häufig unter Druck, militärische Stärke zu zeigen.

Trump sagte ein Jahr nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine, "Putin wäre niemals in die Ukraine reingegangen, wenn ich Präsident gewesen wäre", und er wiederholte, was er schon früher häufiger gesagt hat, dass er "ein sehr gutes Verhältnis zu Putin" gehabt habe. Steht zu befürchten, dass die USA ihre Unterstützung einstellen, wenn Trump erneut Präsident werden sollte?

Wahrscheinlich. Aber "Unterstützung einstellen" beschreibt es vermutlich nicht ganz richtig. Ich denke, sie würde erodieren. Trump kann die Ukraine nicht ausstehen, er glaubt nicht, dass die Ukraine in diesem Krieg die richtige Seite ist. Letztlich würde er das Bündnis der USA mit der Ukraine zerstören, das ist sein Ziel. Als Präsident hätte er die Macht, das zu tun. Aber in Washington und in der Führung seiner eigenen Partei ist er damit in der Minderheit. Der Öffentlichkeit ist es vielleicht egal, aber den republikanischen Eliten ist es nicht egal, den demokratischen Eliten auch nicht. Er hat es also mit einem ziemlich starken Konsens der Parteiführungen zu tun. Es wäre nicht einfach für ihn, diese Politik von einem Tag auf den anderen rückgängig zu machen, aber ich denke, dass er es schaffen würde. Man kann gar nicht überschätzen, wie sehr Trump die Ukraine verabscheut. Er hat wirklich das Gefühl, dass es sich um ein Land handelt, das sich gegen ihn gewendet hat, das mit seinem Gegner zusammengearbeitet hat, das sich in die US-Wahl eingemischt hat.

Die Ukraine hat sich in die US-Wahl eingemischt?

Das behauptet Trump, ja.

In welcher Weise? Wegen dieses Telefongesprächs mit Selenskyj 2019, in dem er den ukrainischen Präsidenten um einen "Gefallen" bat und das später ein zentraler Grund für das Amtsenthebungsverfahren gegen ihn war?

Nein, Trumps Behauptungen beziehen sich auf etwas anderes. Die eine, die bizarrere, bezieht sich auf eine angebliche Beeinflussung der Wahlmaschinen, aber das entbehrt jeder Grundlage. Bei der zweiten geht es darum, dass die Ukraine sich geweigert haben soll, die Aktivitäten von Hunter Biden, Joe Bidens Sohn, offenzulegen.

Was ist mit anderen möglichen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, Ron DeSantis zum Beispiel? Wie sieht der die Unterstützung der Ukraine?

Das ist etwas schwieriger zu entschlüsseln. Öffentlich hat er gesagt, dass die USA ihre eigenen Probleme haben und dass Russland und die Ukraine nicht dazugehören. Seiner Meinung nach sollten wir deshalb nicht so viele Waffen und Munition an die Ukraine liefern. Im Fall von DeSantis ist es aber viel schwieriger zu beurteilen, ob er das wirklich so meint oder es nur sagt, weil er glaubt, dass die republikanischen Wähler in den Vorwahlen das hören wollen. Wenn ich mit außenpolitischen Experten aus den Reihen der Republikaner rede, dann hoffen und glauben sie, dass er am Ende das tun wird, was sie selbst für richtig halten - sie glauben das alle, auch wenn sie ganz unterschiedliche Positionen haben. Da besteht offensichtlich der Verdacht, dass er das, was er sagt, nicht so meint. Ich weiß nicht, was DeSantis als Präsident machen würde, aber generell würde ich sagen, dass Präsidenten ihre Wahlversprechen im Allgemeinen einhalten. Wir sollten die Dinge, die er im Wahlkampf sagt, also ernst nehmen.

Sie haben mit zwei Kolleginnen einen Artikel darüber geschrieben, was die Präsidentschaftswahlen für Europa bedeuten könnten. Der letzte Abschnitt trägt die Überschrift "Wie die Europäer die Wahlen in den USA überleben können". Wie soll das gehen?

Natürlich können die Europäer die Wahl überleben. Aber als erstes müssten die Europäer erkennen, dass sie sich vorbereiten müssen. Die Biden-Administration hat die transatlantischen Beziehungen in einem Ausmaß gepflegt, das sogar die Europäer überrascht hat. Aber das war nur ein Ergebnis des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Die Europäer müssen verstehen, dass dies nur der Sprung einer toten Katze ist.

Nach dem englischen Sprichwort: Selbst eine tote Katze springt, wenn man sie nur tief genug fallen lässt.

Die Europäer müssen in der Außenpolitik besser und unabhängiger werden. Das werden sie in den kommenden Jahren brauchen, gerade im Umgang mit Russland, denn die USA werden erstens verstärkt mit sich selbst beschäftigt sein und sich zweitens mehr auf den asiatisch-pazifischen Raum konzentrieren. Unter einem demokratischen Präsidenten wird diese Entwicklung langsam und verantwortungsbewusst stattfinden, unter Donald Trump wahrscheinlich schnell und verantwortungslos, und unter einem anderen republikanischen Präsidenten irgendwo dazwischen. Die Europäer müssen sich also auf jeden Fall vorbereiten, egal, wie diese Wahl ausgeht: Sie müssen darüber nachdenken, wie sie untereinander eine größere Einheit organisieren, wie sie die Probleme lösen, bei denen sie von Amerika Hilfe erwarten, und wie sie eine Politik entwickeln, die in erster Linie ihren eigenen Interessen dient. Dabei geht es nicht darum, sich komplett von den Vereinigten Staaten abzukoppeln, im Gegenteil: Das ist aus meiner Sicht der einzige Weg, um die Beziehungen zu den USA aufrechtzuerhalten. Die USA werden nur an einem europäischen Partner interessiert sein und gut mit ihm zusammenarbeiten, der in der Lage ist, etwas zu den Beziehungen beizutragen und nicht nur ein Vasall ist.

Die Entwicklung einer eigenständigen Außenpolitik wäre ein mittel- bis langfristiges Vorhaben, aber Hilfe für die Ukraine muss unter Umständen schon in naher Zukunft ohne die USA organisiert werden. Ist es überhaupt möglich, dass Europa das ohne die USA schafft?

Das ist definitiv möglich. Es wäre schwierig und es würde eine Übergangsphase erfordern. Aber warum sollte es nicht möglich sein, dass ein sehr reicher Kontinent mit starken militärischen Fähigkeiten die Ukraine im Kampf gegen Russland unterstützt? Russland ist viel weniger reich und viel schwächer als Europa. Denken Sie daran, was im vergangenen Winter passiert ist. In Europa galt es als unmöglich, vom russischen Gas wegzukommen. Aber dann stellte sich heraus, dass Europa das in sechs Monaten schaffen konnte. Es hat viel Geld gekostet und es war nicht einfach, und freiwillig hätte Europa das nicht gemacht. Aber wenn ein reicher, fähiger Kontinent wie Europa beschließt, dass etwas nötig ist, dann ist viel mehr möglich, als wir denken.

Mit Jeremy Shapiro sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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